Ulrich Peltzer: "Teil der Lösung"


Ratlosigkeit und verschwommene Selbstbildnisse innerhalb einer orientierungslosen Gesellschaft

In Ulrich Peltzers Roman "Teil der Lösung" geht es um zwei junge Männer Mitte 30. Diese beiden verkörpern zwei unterschiedliche Typen von Intellektuellen, wie man sie heute oft vorfindet. Der eine ist arriviert, oder befindet sich zumindest auf dem Weg dorthin, der andere ist irgendwann an einer Hürde gescheitert, die er vielleicht in dem Moment gar nicht als solche erlebt hat, und seitdem befindet er sich auf einem Weg ins gesellschaftliche Abseits, auch wenn ihm das zu Beginn jedenfalls noch wie ein unabhängiges Leben außerhalb der allgegenwärtigen gesellschaftlichen Zwänge erscheint.

In "Teil der Lösung" gibt es jenen gescheiterten Christian Eich, ehemals hoffnungsvolles Mitglied des neuen Prekariats. Er hat Germanistik studiert und bestreitet jetzt seinen kargen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten. Eich schreibt Kritiken, ist permanent ohne Geld und aktuell vom Verlust seiner bescheidenen Wohnung bedroht. Krankenversichert zu sein ist etwas, das er sich schon lange nicht mehr leisten kann.

Sein Freund aus alten Kinder- und Jugendzeiten im Rheinischen heißt Jakob Schüssler. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, und mit zielstrebigem Ehrgeiz verrichtet er seine Arbeit als unterrichtender und forschender Privatdozent, wobei er unablässig auf freie Lehrstühle im Land achtet. Hat er einen solchen einmal ergattert, wird er endgültig sesshaft werden (und sich anpassen?).

"Sony Center
Die Silhouette des Mannes zeichnet sich deutlich vor den Bildschirmen ab. Wie es im Halbdunkeln scheint, hat er seinen Kopf leicht in den Nacken gelegt. Rechts von ihm steigt eine dünne Rauchfahne aus dem Aschenbecher auf der Konsole hoch, ein schmuckloses längliches Pult mit zwei Tastenfeldern. Mentholzigaretten, eine zerlesene Zeitung. Unter dem Pult stehen die Speichergeräte, Empfänger und verkabelte Rechner, deren grüne Dioden wie brennende Augen aus dem Schatten hervortreten. Es ist still, ein Raum ohne Fenster, in dem man jetzt nur sich selbst und entfernt noch das Rauschen einer Klimaanlage hört. Die Monitore sind stumm, kein Ton, nicht einmal Knistern gruppiert die Szenen zu einem Ganzen: all die Leute im Freien, ihre hierher übertragenen Wege an Schaufenstern und dichtgefüllten Caféterrassen vorbei zu diesem großen Brunnen mitten auf der überdachten Piazza. Man sieht sie am Rand des Edelstahlbeckens sitzen, müde Blicke in Reiseführer und Hochglanzprospekte aus der Volkswagen Youth.lounge werfen, durch die Sucher ihrer Kameras schauen, telefonieren. Andere kreuzen durchs Bild und verdecken sie einen Moment lang, Körper und Gesten. Im Wasser planschen zwei kleine Jungen, spritzen sich nass, während eine Frau im Hintergrund sie für ihr digitales Heimkino filmt. Sie schwenkt den Camcorder nach oben zur Spitze der Dachkonstruktion, die wie ein gewaltiges Zirkuszelt aus Fiberglas und weißem Segeltuch über dem Rund der Gebäude aufgespannt ist, zehn oder zwölf Stockwerke hoch. Spektakulär, heißt es, auch schwindelerregend, wenn man vom Boden ein paar Wimpernschläge in die Leere hinaufspäht, umschlossen von den gläsernen Fassaden des Atriums, Neonschriften, einem gedämpft federnden Hall aus Gesprächsfetzen, leiser Musik, Informationen."
(Aus dem Roman)

Zwischen diese beiden unterschiedlichen Freunde hat Ulrich Peltzer eine Frau gestellt. Nele Fridrich ist 23 Jahre alt, studiert in Berlin und schreibt gerade bei Jakob eine Arbeit über Jean Paul. Sie hat sich in Christian verliebt und ist in ihrer Jugendlichkeit vielleicht so, wie die beiden unterschiedlichen Freunde dereinst einmal waren. Nele ist spontan, politisch aktiv, extrem wissbegierig und kann sich schnell über Missstände aufregen. Vor allen Dingen tut sie etwas. Weil es ihr zuwider ist, ewig nur zu diskutieren und zu reflektieren, hat sie sich einer im Untergrund operierenden Gruppe angeschlossen, die nach einigen kleineren Aktionen jetzt "etwas Größeres" plant.

Schon in "Bryant Park", seinem vorigen Buch, hat sich Ulrich Peltzer mit dem 11. September 2001 auseinandergesetzt und die Frage der Rechtmäßigkeit des Widerstandes gegen ein System diskutiert, das inzwischen alles beobachten kann, was es will.

Auch in "Teil der Lösung" geht es unter Anderem um diese Frage. Denn nicht nur Nele ist in engem Kontakt mit diesem Problem, auch Christian arbeitet für einen Feuilletonartikel, mit dem er endlich aus seinem intellektuellen Schattendasein herauszukommen hofft, über die Geschichte der Roten Brigaden. Dafür lässt er sich auf eine Situation ein, die ihm fast den Boden unter den Füßen wegzieht, indem er seine Liebe zu Nele zu verlieren droht.

Peltzers Buch ist sowohl ein Liebesroman, der seine Helden in tiefe Konflikte stürzt und mit großen Gefühlen nicht spart, als auch ein gelungener Berlin-Roman, der souverän mit einer Vielzahl von Schauplätzen spielt und ein hervorragendes Bild von der Metropole eines Landes, das im Wandel begriffen ist und dessen Zeichen man überall in der Stadt sehen kann, entwirft. "Teil der Lösung" ist ein großer Roman unserer Zeit, der genial und sehr tiefgehend verschiedene Möglichkeiten von aktueller Existenz durchdekliniert, immer auch verstanden als politische und intellektuelle Existenz.

Eine außergewöhnliche Erzähltechnik mit vielen filmartigen Schnitten ermöglicht es Peltzer, diese Gesamtheit an uferlosen Themen in einem erzählerisch stetigen Fluss zu halten.

(Winfried Stanzick)


Ulrich Peltzer: "Teil der Lösung"
rororo, 2009.
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Ulrich Peltzer, geboren 1956 in Krefeld, studierte Philosophie und Psychologie in Berlin, wo er seit 1975 lebt. Er veröffentlichte die Romane "Die Sünden der Faulheit" (1987), "Stefan Martinez" (1995), "Alle oder keiner" (1999), "Bryant Park" (2002), "Teil der Lösung" (2007) und "Das bessere Leben" (2015). Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter Anderem dem "Preis der SWR-Bestenliste", dem "Berliner Literaturpreis" und dem "Heinrich-Böll-Preis".

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Das bessere Leben"

Ulrich Peltzer hat einen großen Zeitroman geschrieben. Was hält unsere undurchschaubare Welt zusammen: Träume, Geldströme, Gott oder der Teufel?
Im 20. Jahrhundert diskutierten, lebten und kämpften junge Menschen an us-amerikanischen Universitäten, in Frankfurt und Moskau für eine gerechte Ordnung, für eine bessere Zukunft. Doch die Utopien sind in Terror umgeschlagen. Wir leben in einer radikal kapitalistischen Welt, unsere Gegenwart scheint undurchschaubar. Was ist aus unseren Utopien, Sehnsüchten und Träumen geworden?
Aus ehemaligen Revolutionären sind Manager geworden, Akteure der Wirtschaft. Sie sind involviert in globale Geschäfte zwischen Mailand, Südamerika und China, ihre Geschäfte sind dubios. Haben sie alles verraten? Was heißt es heute in dieser Welt, gut zu leben? Was wäre das bessere Leben?
Jochen Brockmann ist erfolgreicher Sales Manager, doch er verstrickt sich in ein abstürzendes System. Die Bank gibt keinen Kredit mehr, Indonesien investiert nicht, es bieten sich die Chinesen an. Sylvester Lee Fleming ist ein skrupelloser Geschäftemacher, Finanz-Investor und Risiko-Berater. Er erscheint, als Retter, Verführer und Versucher. Ist er ein Abgesandter des Teufels oder nur ein Psycho? Er kreuzt Brockmanns Weg. Ist das Zufall oder Plan?
Ein philosophischer Roman, ein metaphysischer Reißer über das 21. Jahrhundert und die Gespenster der Vergangenheit. (S. Fischer)
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"Bryant Park"
Erzählung.
Ein Nachmittag in Manhattan. Im Bryant Park laufen die Vorbereitungen für das Freiluftkino; ein Mann sitzt in der Bücherei und durchforstet Namensregister; seine Gedanken schweifen ab. In der 36. Straße stürzt ein Gerüst zusammen. Ausnahmezustand. Katastrophenmeldungen, live und in Farbe, stoßen Erinnerungen an weiter zurückliegende, selbst erlebte Geschichte: ein gescheiterter Drogenhandel in Sizilien, der allmähliche Verfall und Tod des Vaters. Und sie verweisen darauf, was an Brüchen noch kommen wird. (Fischer)
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"Alle oder keiner"
"Erinnere dich mal, sagte Christine eines Nachmittags, als wir auf ihrem Bett saßen, und erzähl' mir, das dürfte doch nicht so kompliziert sein, wie geht die Geschichte?"
Ein Mann, Diplompsychologe, Ende Dreißig. Er lebt im Berlin der 1990er Jahre und schreibt an einem neuen Handbuch der forensischen Psychologie. Im Rahmen dieser Arbeit untersucht er auch Tatverdächtige auf ihre Schuldfähigkeit. Nicht zuletzt durch die Begegnung mit Christine wird ihm klar, dass sein Leben die Richtung ändern wird.
Aber wie immer bei Ulrich Peltzer überholt die Intensität der Beschreibungen den Handlungsverlauf der Geschichte. Alle oder keiner - mit eben dieser Ausschließlichkeit und Konsequenz schafft der Autor ein Mosaik der Wahrnehmung. (Fischer)
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