Henrik Müller: "Wirtschaftsfaktor Patriotismus"
Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung
Deutschlands Eigenheiten als Nation
und reale Chancen für seine Zukunft
Gelegentlich gewinnt man den
Eindruck, dass die Deutschen geradezu lustvoll nörgeln. Sie glauben nicht an
sich selbst und noch weniger an ihr Land. Von der "Nation" Deutschland sollte,
von Patriotismus darf man gar nicht sprechen, es sei denn, man ist Politiker,
definitiv nicht "rechts", und zeiht abwandernde deutsche Unternehmer eines
Mangels am Letztgenannten. Die Deutschen sehen sich als Verlierer im
Globalisierungskampf.
Österreich mit seinen ähnlichen Ausgangsbedingungen hat
Deutschland überholt und zieht aus der Globalisierung Vorteile. Was machen die
südöstlichen Nachbarn besser als der müde Koloss im Herzen Europas? Vor allem
aber: woher rührt die Unfähigkeit der Deutschen, sich - im Gegensatz zu ihren
europäischen Nachbarn - mit ihrer Nation zu identifizieren?
Natürlich hat
diese Haltung wesentlich mit den Gräueln des Dritten Reichs zu tun, das stellt
auch Henrik Müller in seinem Buch heraus. Doch sein Erklärungsansatz führt
weiter zurück in die Geschichte, und es zeigt sich, dass Deutschland schon
immer, das heißt, bereits in der Zeit des
Heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation, einiges fehlte, was die sich seit dem Beginn der Aufklärung rasch
entwickelnden Nationalstaaten wie England, Frankreich und Spanien verband: zum
Beispiel eine einheitliche Sprache, eine einzige Religion, eine eng umrissene
Region, die eine Hegemonialmacht auf der Basis einer Herrscherfamilie
hervorbrachte, sowie gemeinsame Mythen. Der Autor erläutert, wie Deutschland
zumindest nach der Gründung des Zollvereins eine Wirtschaftsnation wurde, eine
Erwerbs- und Verteilungsgemeinschaft; die nationalen Bewegungen des frühen 19.
Jahrhunderts hingegen dienten vor allem als Vehikel zu einer liberalen Politik.
Ein anderes Fundament als die prosperierende Wirtschaft gab es praktisch nicht,
vor allem, nachdem
Bismarck die Sozialversicherung eingeführt hatte.
Logischerweise kam es in den 1920er Jahren zu Auflösungserscheinungen, als die
Wirtschaft zusammenbrach. Die anderen europäischen Staaten wurden mit der
Weltwirtschaftskrise wesentlich besser fertig, denn ihre Bürger verstanden sich,
eingebettet in ihre jeweilige Nation, als Schicksalsgemeinschaft. Das Dritte
Reich wiederum stellte das Volk durch eine scheinbare wirtschaftliche
Absicherung ruhig. Danach kam die D-Mark, der die Deutschen vertrauten und die
eine Art nationales Symbol wurde. Als ab 1968 alle Belange des Staates und
seiner Geschichte hinterfragt und viele diskreditiert wurden, verlor auch die
Wirtschaft an Ansehen, und alles Nationale, Patriotische wurde verdammt. Die
Wiedervereinigung, die voranschreitende Globalisierung und das Fehlen einer
angepassten Reaktion darauf nahmen der D-Mark den Rest ihres Glanzes - die
Wirtschaftsnation begann zu bröckeln.
Der Autor erklärt weiterhin die
ökonomischen, politischen und sozialen Funktionen der nationalen Identität:
Diese schafft Vertrauen und so etwas wie ein soziales Gewissen, sodass
Sicherheiten existieren, aber nicht "ungebührlich" ausgenutzt werden, Bildung,
Fleiß und Flexibilität sich jedoch für das Individuum und die gesamte Nation
lohnen. Hierfür gibt es viele Beispiele von Skandinavien bis
Südwesteuropa.
Ein Kapitel befasst sich mit den Aufgaben der nationalen
Eliten insbesondere angesichts der Globalisierung. Deutschlands Eliten erhalten
hier ein schlechtes Zeugnis, weil sie, anders als etwa französische oder
britische Eliten, unfähig zur Kooperation untereinander sind, ein Mangel, der
bereits bei ihrer Heranbildung eintritt. Daher arbeiten Politik, Wirtschaft,
Gewerkschaften und andere Gruppen vehement gegeneinander, statt ernsthaft nach
einem Konsens zu suchen.
Der Autor führt auch die demografische Krise
Deutschlands auf die fehlende nationale Identität zurück. Es ist nicht nur die
ungenügende Ausstattung des Landes mit Betreuungseinrichtungen, die deutsche
Frauen von der Mutterschaft abhält, sondern die nicht vorhandene Identifikation
mit der Nation, die jedoch den "Nachschub" an Kindern zum reibungslosen,
nachhaltigen Funktionieren benötigt.
Im letzten Kapitel wartet der Autor mit
einem interessanten Lösungsansatz auf, den er beinahe wie ein Kaninchen aus dem
Hut zaubert, und der zugegebenermaßen logisch, durchführbar und viel
versprechend wirkt. Er ist überraschend und von der Grundidee her bestechend
einfach, soll hier aber nicht verraten werden.
Henrik Müller vermittelt
dem Leser ein umfassendes Verständnis für den Begriff des Nationalstaats und die
Hintergründe der deutschen Wirtschaftsnation, deren Selbstverständnis sich so
gründlich von jenem anderer Nationen unterscheidet. Seine Argumentation ist
stets schlüssig und nachvollziehbar, auch wenn ihre Direktheit manchen Leser
zunächst abschrecken mag. Wo gehobelt wird, fallen Späne, aber das Verkommen
notwendiger Reformvorhaben zu eher kontraproduktiven Reförmchen macht
Perspektiven zunichte, wie jeder politisch Interessierte beobachten kann.
Deshalb lohnt es sich, objektiv den Ausführungen des Autors zu folgen, auch wenn
dies uns träge Kinder des Sozialstaats - der brüchig gewordenen, allzu
ängstlichen Wirtschaftsnation - ebenso wie Angehörige der zu Recht kritisierten
Eliten zuweilen schmerzt. Das Buch könnte den in verschiedentlicher Hinsicht
fälligen, doch nie erfolgten Herzogschen Ruck anstoßen, der durch Deutschland
gehen sollte. Zumindest zeigt es, dass ein gesunder, pragmatischer Patriotismus
bei allem Geschichtsbewusstsein kein "Bäh-Wort" zu sein braucht. Für ein breites
Publikum angelegt, aber keineswegs von populärwissenschaftlicher Gemütlichkeit,
ist das Buch geeignet, die stets im Keim erstickte oder gleich verdrängte
Diskussion um Deutschlands gar nicht schlechte Perspektiven im Zeitalter der
Globalisierung in allen Bevölkerungsgruppen konsequent zu eröffnen.
(Regina Károlyi; 04/2006)
Henrik Müller: "Wirtschaftsfaktor
Patriotismus"
Eichborn, 2006. 237 Seiten.
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Henrik Müller, geboren 1965 in
Rinteln/Weserbergland, studierte Volkswirtschaft in Kiel, besuchte die deutsche
Journalistenschule in München und promovierte parallel zu seiner Tätigkeit als
Journalist zum Dr. rer. Pol. Nach Stationen bei "Sonntagsblatt" und "Stern" ist
Henrik Müller seit 2000 beim "manager magazin". Im Jahr 2002 wurde er mit
dem Holtzbrinck-Preis ausgezeichnet, 2004 mit dem
Wissenschaftsjournalismus-Preis "Im Zentrum der Mensch", 2005 mit dem
Zukunftspreis des Deutschen Instituts für Altersvorsorge.
Ein weiteres
Buch des Autors:
"Wirtschaftsirrtümer"
Schluss mit den
Lügen und
Killerphrasen über die Wirtschaft!
Falsche Aussagen über die Wirtschaft
werden nicht dadurch wahrer, dass man sie ständig wiederholt. Dieses Buch bringt
Klarheit.
Steigende Löhne schaden der Wirtschaft!
Arbeitszeitverkürzung
schafft Arbeitsplätze!
Eine starke Währung schwächt die Wirtschaft!
Je
niedriger die Zinsen, desto besser!
Ein großer Staatssektor behindert
die Wirtschaft!
Stimmt alles nicht, sagt der promovierte Volkswirt und
Wirtschaftsjournalist Henrik Müller. Anhand der größten und verbreitetsten
Irrtümer über die
Wirtschaft klärt er auf über die tatsächlichen Zusammenhänge.
Zum Beispiel steigende Löhne: Nur wer belohnt wird, ist bereit, mehr und
effektiver zu arbeiten und trägt damit zur Steigerung der Produktivität bei, die
einer von vier Faktoren für Wirtschaftswachstum ist. Und Arbeitszeitverkürzung
führt nicht zu neuen Arbeitsplätzen, denn nur eine Gesellschaft, die viel
arbeitet, kauft viele Dienstleistungen ein und schafft dadurch Arbeitsplätze.
(Eichborn, Piper)
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