Véronique Ovaldé: "Alles glitzert"


Wir befinden uns auf einer arktischen Insel im hohen Norden Kanadas in einer Siedlung namens Koukdjuak. Die Menschen dort leben seit Generationen von der Jagd und vom Fischfang, bis eine "Fabrik" eröffnet wird, die vor allem den Männern Arbeit und Brot gibt. Sie hat keinen Namen, diese Fabrik, aber bald wird deutlich, dass dort giftige und hochradioaktive Stoffe bearbeitet und verbrannt werden. Schiffe kommen mitten in der Nacht, entladen ihre lebensgefährliche Last und fahren lautlos wieder ab.

Die Fabrik verändert die jahrhundertealten Traditionen der Menschen in Koukdjuak. Alkohol und Prostitution halten Einzug. Doch erst als das "Große Unglück" passiert, kommen sie etwas ins Nachdenken. Nikko, die Ich-Erzählerin dieses kleinen, aber wundervollen Romans, überlebt als einziges Kind. Alle anderen Säuglinge, die damals geboren werden, sterben nach wenigen Monaten oder Jahren.

Nikkos Vater, mittlerweile dem Alkohol verfallen, ist für die Eisstraßen verantwortlich; Nikko begleitet ihn oft bei dieser Arbeit und lernt viel. Doch eines Tages ertrinkt eine ganze Familie, weil Nikkos Vater geschlampt hat. Daraufhin verschwindet der Vater spurlos.

Nikko muss seit dem Unglück jeden Tag drei Pillen nehmen, die vom Festland geliefert werden, doch nachdem ihr Vater verschwunden ist, fängt sie an, diese Pillen zu vergraben.

Eines Tages kommt ein Mann ins Dorf. Er nennt sich Paul C. und ist irgendein Umweltaktivist, der versuchen möchte, den Leuten zu helfen sowie die näheren Umstände des lange zurückliegenden Unglücks in der Mülldeponie aufklären und den Menschen zu Schadensersatz verhelfen will. Doch er dringt nicht wirklich zu den Menschen durch, auch nicht, als diese sich an einen Major erinnern, der vor vielen Jahren schon einmal Licht ins Dunkel bringen wollte und dabei sein Leben ließ.

Die einzige Möglichkeit, von diesem verfluchten und vergifteten Ort wegzukommen, ist für Nikko eine Beziehung zu einem der blonden Arbeiter in der Fabrik. Sie wird von einem von ihnen schwanger und bringt ein Kind zur Welt, bei dem sich bald schwerste Behinderungen zeigen, Folge ihre eigenen Verseuchung nach dem großen Unglück. Nun will ihr Mann von einer Übersiedlung auf das Festland nichts mehr wissen, und Nikko nimmt die Sache in ihre eigenen Hände. Sie flieht eines Nachts zusammen mit ihrem Kind über eine der Eisstraßen, als plötzlich ein Blizzard aufkommt ...

Véronique Ovaldé hat mit diesem Roman ein kleines Meisterwerk geschaffen, das vor dem Hintergrund einer großen Umweltkatastrophe von einer archaischen Welt erzählt und von dem tragischen Selbstbefreiungsversuch einer jungen Frau.

(Winfried Stanzick; 08/2006)


Véronique Ovaldé: "Alles glitzert"
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer.
Antje Kunstmann Verlag, 2006. 191 Seiten.
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Véronique Ovaldé lebt in Le Pré-St.Gervais und arbeitet in einem Pariser Verlag.

Ein weiteres Buch der Autorin:

"Die Männer im allgemeinen gefallen mir sehr"

Die Männer im allgemeinen gefallen Lili sehr. Und sie gefällt den Männern, zum Beispiel Samuel, dem Sozialarbeiter mit dem pelzfarbenen Blick und der sanften Stimme, der sie aus dem Jugendknast gleich mit zu sich nach Hause genommen hat. Jetzt wohnen sie in einem Reihenhäuschen am Zoo, und die Tage vergehen wie ein ruhiger, stiller Traum. Doch nachts wacht Lili von der vielen Stille auf. Durch die Vorhänge sieht sie, wie die Zootiere in einer gespenstischen Prozession ihre Käfige verlassen. Am nächsten Tag meint sie aus dem Augenwinkel eine vertraute Gestalt zu erkennen. Geht es wieder los? denkt sie. Yoim ist wieder da, um sie zurückzuholen, und mit ihm kehren die Gespenster der Vergangenheit zurück. Yoim, der sie aus dem Gefängnis ihrer Kindheit befreit hat, um sie in eine noch tiefere Abhängigkeit zu stürzen. Er braucht nichts zu tun als zu warten, und schon sind der Hass und die Verzweiflung wieder da, und zugleich die hypnotische Anziehung, die Lust der Unterwerfung.
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