Elsa Osorio: "Im Himmel Tango"
Ana
sollte den
Tango lieben. Und nicht nur ihn, sondern auch die Geschichte ihrer
Familie väterlicherseits,
die in enger Verbundenheit mit dem Tango in Buenos Aires lebt und
lebte. Doch
Ana spürt die Intensität des Tangos nur selten.
Oftmals ist ihr Verständnis
des Tanzes von dem Drängen, den Tango beherrschen und
perfektionieren zu
wollen, geprägt. Nur hin und wieder, wenn sie den richtigen
Partner an ihrer
Seite hat, geht sie im Tango auf.
So zwiegespalten Anas Bezug zum Tango ist, so ist auch ihre Beziehung
zur väterlichen
Familie. Ihr Vater als politischer Gefangener und ihre
französischstämmige
Mutter allein mit ihren beiden Kindern auf der Flucht nach Frankreich,
ohne auch
nur den Hauch von Unterstützung seitens Anas
väterlicher Familie zu bekommen,
das hat sich bei Ana so festgesetzt, dass sie Buenos Aires und alles,
was mit
ihrer Familie zusammenhängt, hasst.
Dies ändert sich, als Ana auf Luis trifft. Dieser wittert
Bezüge zwischen
seinem eigenen und Anas Stammbaum und will sich mit ihr
darüber austauschen,
doch Ana zeigt ihm wiederholt nur die kalte Schulter. Es dauert lang,
bis Ana
bereit ist, sich auf Luis, seine Erzählungen und damit
zugleich mit der
Geschichte ihrer eigenen Familie einzulassen. Dann jedoch findet sie
sich in der
Höhle des Löwen selbst wieder: in Buenos Aires ...
Der Tango Argentino gilt als leidenschaftlicher Tanz, Buenos Aires als
eine Stadt voller leidenschaftlicher Menschen - und aus diesen heraus
entwickelte sich im neunzehnten Jahrhundert der Tanz, den Autor George Bernhard
Shaw einmal wie folgt beschrieb: "Der Tango ist
der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens."
Und so ist auch Elsa Osorios
Geschichte eine Saga voller Leben, Liebe, voller (unerfüllter)
Sehnsüchte, Verlangen und Begehren, aber ebenso eine Geschichte voller
wiederkehrender politischer Umschwünge, gesellschaftlicher Restriktionen und
anderen, meist tragischen, Vorgängen, die dem Stammbaum all das entlocken,
was man als Leser eben von einer guten Saga erwartet.
Es mangelt also keineswegs an den inhaltlichen Ideen der Autorin, wenn
dieses Buch kaum empfohlen werden kann, sondern an deren handwerklichem
Geschick und am Aufbau des Romans.
Elsa Osorio bemüht sich durchweg um möglichst
komplizierte Sätze. Um die
Komplexität zu erhöhen, werden häufig zwei
ohnehin bereits komplexe Sätze
durch Einschübe miteinander verbunden, was den Lesefluss
deutlich hemmt. Die
hierdurch aufkommende Pseudointellektualität wirkt behindernd,
störend und
sorgt schon nach kurzem für Desinteresse beim Leser, da sie
leicht zu enttarnen
ist.
Da wörtliche Rede recht selten verwandt wird und Elsa Osorio
sich stattdessen intensiv der indirekten Rede befleißigt, kommt Langeweile
unweigerlich schon bei den ersten fünfzig Seiten auf - welch Verschwendung,
konträr zu einer Stadt und einem Tanz, die vor Leidenschaft nur so sprudeln.
Leider bleibt es nicht bei der Kritik des Handwerklichen, sondern
vielmehr ist auch der Stil des Gesamtkonzeptes als absolut banal zu betrachten.
Immer wieder tauchen kursiv gedruckte Passagen auf, in denen Anas Ahnen bestimmte
Situationen oder Gespräche kommentieren - aus dem Tangohimmel heraus
können sie nämlich alles sehen und beobachten, und scheinbar ist dies auch ihre liebste
oder gar einzige Beschäftigung.
Wo ein Tangohimmel, dort ist auch ein Tangogott, könnte man
meinen, und tatsächlich
schleichen sich immer wieder auch Passagen der Perspektive aus erster
Person in das Buch, in denen der Leser den Erzähler dieser Abschnitte
rasch als den personifizierten Tango höchstpersönlich erkennen kann.
Die große Chance, als selbst in Buenos Aires geborene und
bisher schon mit einigen Preisen für das literarische Werk bedachte Autorin
Leben in den Tango
Argentino und seine Wiege zu bringen, wurde hier in aller
Gründlichkeit verdorben.
Man sollte seine Zeit nicht mit dem Lesen dieses Buches verschwenden -
tanzen und spüren Sie lieber einen Tango Argentino, das wird Ihnen mehr nützen,
ihn zu verstehen als die Lektüre von "Im Himmel Tango".
(Tanja Elskamp; 03/2007)
Elsa Osorio: "Im Himmel Tango"
(Originaltitel "Cielo de Tango")
Übersetzt von Stefanie Gerhold.
Gebundene Ausgabe:
Insel Verlag, 2007. 512 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Suhrkamp, 2009.
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Elsa
Osorio wurde 1952 in
Buenos Aires geboren und lebt seit 1994 vorwiegend in Madrid, wo sie
als Journalistin, Dozentin und Drehbuchautorin für Film und
Fernsehen arbeitet. Neben zahlreichen anderen Preisen wurde sie 1982 mit dem argentinischen
"Premio Nacional de Literatura" für ihr Buch "Ritos privados" aus dem
selben Jahr ausgezeichnet. Für "Reina Mugra" (1990) erhielt
sie den "Premio Sociedad Argentina de Escritores" und 1992 für ihre
Komödie "Ya no hay hombres" den Preis für das beste Drehbuch.
"A veinte años, Luz" (1998, dt. "Mein Name ist Luz", 2000)
war ihr sechster Roman. Mit dem Thema der Kinder von "Verschwundenen"
hat sie darin ein besonders düsteres Kapitel der
südamerikanischen Militärdiktaturen
aufgegriffen. Das Buch war Anstoß für viele weitere
Nachforschungen, nicht nur
in Argentinien.
Für "Mein Name ist Luz" bekam Elsa Osorio 2001 den
Literaturpreis von
Amnesty International, der aus Anlass des 40jährigen Bestehens
der Menschenrechtsorganisation erstmals verliehen wurde:
"Mein Name ist Luz"
Zuerst ist es nur ein unbestimmtes Gefühl, dann verdichten
sich erste Indizien und weitere Nachforschungen zur Gewissheit: Luz ist nicht die Tochter
ihrer vermeintlichen Eltern. Sie ist die Tochter einer
politisch Verfolgten,
einer "Verschwundenen". Luz weiß nicht, wer sie ist, bis sie eines
Tages in einem Café in Madrid ihrem wirklichen Vater Carlos
gegenübersitzt.
Ihm, der die schlimme Vergangenheit begraben wollte, erzählt
sie, was sie aus eigenem Antrieb herausgefunden hat, durch ihn erfährt sie die
ganze Geschichte. Gleich nach der Geburt wurde sie ihrer Mutter weggenommen, die von den
Militärs verhaftet und schließlich umgebracht wurde. Hinter ihrer
scheinbar normalen Kindheit in der Familie eines hohen Militärs verbirgt sich ein
Drama, das all die Menschen, die sie kennt und die sie liebt, auf immer
verknüpft.
Das aufwühlende Geschehen, mit seinen Momenten von Gewalt und
Verzweiflung, aber auch von Liebe und Entschlossenheit, ist durchsetzt mit den
schwankenden Gefühlen der jungen Frau gegenüber dem nie gekannten
Vater. Er, der der Verfolgung entkam und ins Exil ging, muss sich nun vorwerfen lassen,
dass er sein Kind verloren gegeben hat.
Nicht nur die Täter hielten eine Decke des Schweigens
über das Unfassbare, auch die Familien der Opfer verharrten jahrelang in Angst, Scham und
Sprachlosigkeit. So wurden nur wenige dieser Kinder gefunden, die
während der Militärdiktatur geraubt wurden. Auch nach Luz suchte
niemand. Sie selbst muss Licht in dieses Dunkel bringen. Sie muss alle ihre Kräfte
aufbieten, um nicht von den Schatten der Vergangenheit erstickt zu werden. Elsa Osorio hat
in ihrem Roman keinen autobiografischen Stoff verarbeitet. Gerade diese Distanz
zu dem bedrängenden Gegenstand ermöglicht es ihr, das schwer
Verständliche ganz zu verstehen, ohne zu rechtfertigen oder Beteiligte in Schutz zu nehmen.
Sie schildert das aufrüttelnde Geschehen aus der Sicht der jungen
Frau, Luz, nimmt aber alle Beteiligten als Personen ernst - auch die Täter. Sie
verwendet dabei Schnitte und Rückblenden, eine "filmische" Technik, die ihr
eine starke Vergegenwärtigung des Geschehens erlaubt.
Elsa Osorio erzählt dramatisch und eindringlich; doch bei
aller Dramatik tritt deutlich hervor, dass es sich bei der Geschichte von Luz um eine der
vielleicht am wenigsten spektakulären, aber nicht weniger grausamen
Formen der Verletzung und Verweigerung eines Menschenrechts handelt: des Rechts auf die
eigene Identität. (Insel)
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Ein weiteres Buch der Autorin:
"Die Capitana"
"Ohne Davor, ohne Danach, das Jetzt kann morgen zu Ende sein, in fünfzig
Jahren oder in fünf Minuten. Das macht es so kostbar ... und so schrecklich."
Im Sommer 1936 vibriert Madrid vor revolutionärer Glückserwartung; zugleich
herrscht Angst vor dem, was der Putsch der rechten Militärs dem Land bringen
wird. Die Straßen sind voller junger Menschen auf der Suche nach Waffen für den
bevorstehenden Bürgerkrieg. Gemeinsam mit ihrem Mann Hipólito hat sich die
argentinische Anarchistin Mika Etchebéhère dem bewaffneten Widerstand
angeschlossen, um gegen Francos Truppen für eine gerechtere Welt zu kämpfen - so
ungleich die Mittel auch sind.
Ihre politische Überzeugtheit und ihre Liebe zu ihrem von Krankheit gezeichneten
Mann haben Mika unversehens in den Krieg geführt. Als ein Schicksalsschlag ihren
Lebenswillen zu erschüttern droht, sind es wieder die Ereignisse, die ihr die
persönliche Trauer zu überwinden helfen, und Mika wird mit ihrer starken
Ausstrahlung und ihrer Fähigkeit, Menschen zu begeistern, für die schlecht
ausgerüsteten Milizen unentbehrlich. Sie ernennen sie zur Capitana, der einzigen
Frau, die im Spanischen Bürgerkrieg eine Kolonne führt. Und während sie mit den
unter ihrem Befehl stehenden jungen Männern und Frauen in den Schützengräben vor
Madrid liegt und kämpft, wird ihnen von den moskauhörigen Kommunisten
unterstellt, Feinde der Republik zu sein - ein weiteres Drama beginnt.
Mit "Die Capitana" lässt Elsa Osorio diese außergewöhnliche Frau noch einmal
auferstehen. Ein hellwach erzählter, aufwühlender Roman über die Lebens- und
Liebesgeschichte einer Frau in Zeiten von Krieg und Revolution. (Insel)
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