Ulrike
Dembski, Christiane Mühlegger-Henhapel (Hg.):
"OSKAR WERNER 1922-1984"
"Welch einen
sonderbaren TRAUM träumt' ich ..."
"Seine Stimme konnte allerkleinste Nuancen vollendet wiedergeben, jeder Gefühlswinkel wurde ausgeleuchtet, plötzlich hörte man ein Lächeln in der Stimme, er zauberte akustische Masken. Raffiniert wechselte er die Register, mit unendlicher Schwermut konnte er einsetzen und einzigartig nahm er große Tragik mit halber Stimme."
(Annegret Gaidies)
Denken wir an den Schauspieler Oskar Werner, so
tritt uns in der Erinnerung ein fast schon aufreizend jungenhaftes
Antlitz entgegen, dessen charmantes Lächeln an das Grinsen
einer mumifizierten Leiche erinnert und dessen Blick etwas
unergründlich Greisenhaftes verströmt. Oh doch! Sein
Bildnis ist ähnlich irritierend wie das Wunder seiner
Stimmbegabung, das jeden Film, in dem er mitwirkte, in einen
Hörgenuss verwandelt und den Freund gesprochenen Wohlklangs
zum Erwerb von Tonträgern animiert, auf welchen ER in
ausgewählten Textstellen
aus Shakespeares "Hamlet"
oder aus Schillers "Don Carlos"
monologisiert. Es ist die unsterbliche Stimme eines Sterblichen, den
der Tod am 23. Oktober 1984 am Zenit seines Niedergangs hinwegraffte -
oder sollte es nicht trefflicher heißen: den der Tod aus
seinem Elend befreite, das den brillierenden
Bühnenkünstler von einst nur noch als aufgedunsenen
Abglanz seiner Selbst zeigte, gepeinigt von der Gier nach
Betäubung im Alkohol. Zuletzt schien auch sein Stimmwunder
verflossen zu sein, und folglich mied das Publikum seine
Rezitationsabende. Was man aus seinem Munde noch vernahm, war der
gewöhnliche Tonfall eines kultivierten, doch von
Niedergeschlagenheit gezeichneten Mannes, dem sein inneres Siechtum
schon die ewige Jugendlichkeit aus den vornehmen Gesichtszügen
gerissen hatte. Sein Abgang aus dieser Welt (Herzversagen) war
letztlich nur der Schlussakt eines tragischen Verfallsprozesses, der
nicht nur den Menschen fällte, sondern zuvor schon den
Bühnenkünstler in ein Debakel schlittern
ließ. Oskar Werners Verkörperung des Prinzen von
Homburg im gleichnamigen Stück, im Rahmen des Wachau-Festivals
Krems des Jahres 1983, war einfach nur noch als desaströs zu
qualifizieren.
Achim Benning erinnert sich in seinem Beitrag zum
gegenständlichen Buch: "Dieser arme Mensch. Zu schwach, um
ruhig zu stehen; stolpernde Gänge; suchendes Tasten nach den
Partnern; alles ist hilflos, grotesk, zum Erbarmen."
Oskar Werner hatte sich solcherart schon den Grabstein gesetzt, noch
bevor er verstarb, und dem Tod des Künstlers sollte bald schon
der Tod des Leibes folgen.
Als Oskar Josef Bschließmayer am 22. November 1922 in Wien
geboren wurde, deutete nichts auf die große Zukunft des Balgs
aus einfachen Verhältnissen hin. Ein Knabe mit
ärmlicher Herkunft! Was sollte schon aus ihm werden? Die
Familienverhältnisse waren trist und wurden im Laufe der Zeit
nicht besser. Nach der Scheidung seiner Eltern musste die Mutter als
Fabrikarbeiterin für den Unterhalt der Familie aufkommen.
Oskar, der sich als Schüler unangepasst zeigte und die Matura
nicht bestand, wurde, nach einem Vorsprechen bei Burgtheaterdirektor
Lothar Müthel, mit 1. Oktober 1941 - also eigentlich im
zartesten Alter - an
das Wiener Burgtheater
engagiert. Die Direktion des Burgtheaters war sich des Ausnahmetalents
des jungen Mimen bewusst und nutzte es auch eifrig für sich; -
wenn zuerst auch nur in kleineren Rollen. Am 4. Oktober 1946 wurde
schließlich auch die wahrlich verständliche
Namensänderung von "Bschließmayer" auf "Werner"
behördlich bescheinigt. Der steilen Künstlerkarriere
des Oskar Werner stand somit nichts mehr im Weg.
Nichts stand ihr im Weg, bis auf seinen Unwillen zur Anpassung, was
sich in Eigenwilligkeiten manifestierte, die seine jeweiligen
Vertragspartner kaum unwidersprochen hinnehmen konnten. So
führte ein nicht durch die Direktion des Burgtheaters
gestattetes Fernbleiben von der Burg im Jahre 1949 zu einer fristlosen
Entlassung. (In späteren Jahren sollte er jedoch wieder an die
Burg zurückkehren und dort für großes
Theater sorgen. Der 1960 mit Burgtheaterdirektor Haeuesserman
abgeschlossene Fünfjahresvertrag hielt jedoch
bezeichnenderweise nur eineinhalb Jahre.)
Als Filmschauspieler brachte er es durch Engagements in Filmen wie "Der
Engel mit der Posaune", "Der letzte Akt", "Jules et Jim", "Das
Narrenschiff", "Fahrenheit 451" und als Dirigent Zeltern in
"Zwischenspiel" zu cineastischem Weltruhm. Gleich ob in seinen Film-
oder in seinen Bühnenrollen erwies er sich dabei immer als
Schauspieler von höchster Professionalität. Der
Gestaltung seiner Rollen ging ein exaktes Studium der jeweiligen Figur
voraus, und im Unterschied zu anderen in die Filmbranche
übergewechselten Bühnen- und
Rezitationskünstlern - wie etwa dem wohl mindestens ebenso
unverträglichen Egomanen Klaus Kinski - erwies sich der
Filmschauspieler Werner in der Regel zumindest zeitweilig (nie auf
Dauer) als kooperativer Mitwirkender, wenn auch als sehr eigenwilliger,
der etwa von ihm lokalpatriotisch geliebte Wienakzente (Wiener Walzer,
Schrammelmusik, Wiener Sprachakzent, etc.) mit auffälliger
Regelmäßigkeit in Filmhandlungen hineinreklamierte,
selbst wenn sie wirklich nicht zur jeweiligen Handlung passten.
Besonders wählerisch zeigte sich Werner auch in der Auswahl
von Filmrollen. In seinem letzten Interview behauptete er mit
unumwundenem Aristokratenstolz, mehr als dreihundert Filmrollen
abgelehnt zu haben. Anders als Klaus Kinski hatte Werner nicht um des
lieben Geldes wegen nach jeder sich bietenden
Verdienstmöglichkeit gegriffen, weshalb sein cineastisches
Œuvre mit rund zwanzig Filmen vergleichsweise
kümmerlich bleiben musste.
Der uns nun vorliegende prachtvoll bebilderte Fotoband dokumentiert
vornehmlich den künstlerischen Werdegang Werners, der zugleich
wohl auch sein menschlicher Aufstieg und Fall war. Zusätzlich
zu den 137 Abbildungen finden sich textliche Beiträge von
namhaften Weggefährten wie Paul Angerer, Achim Benning,
André
Heller, Elfriede Ott und
Erika Pluhar, um nur einige zu
nennen. Von ihnen erfahren wir gar manches interessante Detail aus dem
Leben des Künstlers, der - so Benning - mit seinem inneren
Chaos zu ringen hatte und der das Chaos in der
zeitgenössischen Kunst witterte, weshalb er sie
bekämpfte und diffamierte, und dessen Liebe deswegen der
Vergangenheit und den Toten gehörte. Gegen die Zerrissenheit
seiner Zeit setzte er eine heile Welt, eine Enklave der unantastbaren
Kunst, und seine Fantasie warf nur manchmal Trümmer hoch - in
den großen schöpferischen Momenten seiner Kunst. -
Und in der Tat! Oskar Werner huldigte den großen Klassikern,
rezitierte in seinen beliebten Lesungen Monologe und Balladen von
Schiller,
Shakespeare und
Goethe und mied die
Autoren seiner Zeit. Die Welt der Wandlungen, die Welt der Moderne, die
blieb ihm verdächtig und fremd. Ein Bilderstürmer war
das Bubengesicht aus Wien bei Gott nicht, denn in seinen
Äußerungen zum Theater manifestierte sich ein eher
konservatives Konzept, obgleich er zuweilen von einer eigenen
Theatergruppe als Ort schöpferischer Freiheit
träumte, die es erlauben würde, unabhängig
von den Beschränkungen eines gesetzten Theaterbetriebes ohne
jegliche Rücksichtnahme die eigenen Ideen und Ideale
umzusetzen. So war sein künstlerischer Traum geartet!
Seine künstlerische Wirklichkeit hingegen blieb bestimmt von
der vehementen Weigerung, neues, unbekanntes Terrain zu betreten. Um
hierbei auf "Nummer Sicher" zu gehen, besetzte Werner mehr und mehr die
Funktion des Regisseurs, was schließlich so weit ging, dass
er Rollenangebote nur noch dann annahm, wenn er selbst Regie
führen durfte. Christiane Mühlegger-Henhapel findet
in ihrem Beitrag durchaus kritische Töne zu dieser Eigenheit,
wenn sie anmerkt: "Im Wissen um Oskar Werners egomanische
Persönlichkeitsstruktur drängen sich unweigerlich
folgende Fragen auf: Wieso lehnte er Regisseure und Manager so
kategorisch ab, wieso bestand er unbedingt auf seiner
Eigenverantwortung? Trieb ihn nur sein idealistischer Wagemut oder
hatte er Angst, sich Kollegen und Regisseuren auszuliefern, die eigene
Leistung beurteilen und überprüfen lassen zu
müssen? Ebenso lehnte er die Theaterkritik als Zumutung und
Besserwisserei 'Unberufener' ab. Es interessiere ihn nicht, was
Eunuchen über die Liebe denken. ... Fühlte er sich
neuen Entwicklungen nicht gewachsen - intellektuell und/oder
darstellerisch?"
Auf diese Fragen kann es keine gesicherten Antworten geben, und auch
Mühlegger-Henhapel maßt sich nicht an, mehr zu
wissen als sie wissen kann. Vielleicht liegt eine Antwort in folgender
Selbstcharakterisierung Werners: "Ich bin altmodisch - oder sagen wir
besser, ein Mann mit einer alten Seele" (Wochenpresse, 30.10.1984). Ein
knabenhafter Mann mit einer alten Seele.
Ein gediegenes Buch über einen Ausnahmemenschen, dessen auf
Tondokumente gebannte Stimme noch heute verzaubert. Voll der
ausdrucksstarken Bilder! Ein würdiges Porträt eines
unvergesslichen Schauspielers.
(Harald Schulz; 11/2002)
Dembski &
Mühlegger-Henhapel (HG.): "OSKAR WERNER"
Edition
Christian Brandstätter, 2002. 168 Seiten.
ISBN 3-85498-190-2.
ca. EUR 36,-.
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