Markus Orths: "Lehrerzimmer"

Eine schwarze Satire auf den Schulbetrieb


Bereits nach den ersten Zeilen des Prologs zeichnet sich ab, dass es sich bei dem Buch "Lehrerzimmer" um eine Satire handelt. Autor Markus Orths beschreibt im ersten Kapitel voller Wortwitz die psychische Situation, in der sich Studienassessor Kranich drei Wochen lang befindet, bis er den erlösenden Anruf vom Oberschulamt und damit die Bestätigung für seine Einstellung als Lehrer erhält. Er soll sich beim Direktor seiner künftigen Schule in Göppingen melden.

Im Einführungsgespräch erläutert Direktor Höllinger ihm die Geflogenheiten des Schulbetriebes. Jeder Lehrer müsse sich seinen peniblen Beurteilungen aussetzen, an sinnlosen Schulkonferenzen teilnehmen, sich permanent überwachen lassen und desillusionierende Besuche der Oberschulamtspolizisten ertragen. Das Geheimnis des Schullebens, doziert Höllinger, seien die vier Säulen, die er Angst, Jammer, Schein und Lüge nennt. Ist der egomanische Höllinger Direktor eines absurden Theaters?

Zurechtgestutzt und eingenordet durch den überdrehten Schuldirektor begibt sich Kranich auf die Suche nach Klassenbuch und Lehrmaterial für den ersten Unterricht. Bei seinen Vorbereitungen bekommt er einen Eindruck von der Mentalität seiner künftigen Kollegenschaft. "Linnemann, Englisch, Deutsch", wird er von einem Kollegen auf typische Weise begrüßt. Spätestens beim Streit um Kopierpapier und den Diskussionen um Klasseneinteilungen und Notenvergaben wird deutlich: Irgendwie verhalten sich alle Lehrpersonen an dieser Schule ein wenig seltsam.

Wer die innere Kündigung noch nicht vollzogen hat, ist übertrieben bürokratisch, pedantisch, psychopathisch oder im Extremfall ein Revoluzzer. Jeder scheint eine individuelle Antwort auf den grotesken Schulbetrieb gefunden zu haben. Liegt das nur an dem autoritären Gebaren des Direktors oder vielleicht an der permanenten Überwachung? In Big Brother- Manier werden Räume überwacht und Gespräche belauscht. Selbst auf der Toilette lauern die Spitzel. Eines der schlimmsten Vergehen besteht darin, seinen Schlüssel versehentlich liegen zu lassen. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, hat Direktor Höllinger einen geheimen Sicherheitsbeamten benannt, der den Auftrag hat, Schlüssel von Kollegen zu entwenden, die diese aus den Augen verloren haben.

Wie in einem totalitären Regime, hat sich auch an dieser Schule eine kleine Verschwörergruppe gebildet, die das geltende Schulsystem unterminieren will. Kranich wird von dieser konspirativen Gruppe zu einem geheimen Treffen in einer Kneipe eingeladen. In feuchtfröhlicher Atmosphäre führen die Abtrünnigen stundenlange Grundsatzdiskussionen über Systemmängel. Folgen den Worten auch Taten? Die Kritiker kennen ihre Grenzen. Man wolle schließlich nicht den eigenen Arbeitsplatz gefährden.

Gibt es eine Möglichkeit, das System zu verändern oder diesem zu entkommen? Der Autor besitzt genügend Fantasie, seinem Protagonisten Kranich einen Ausweg zu offerieren. Es passt zu einer schwarzen Satire, dass der Ausweg darin besteht, eine offene Drehtür zuzuschlagen.

Auffallend an diesem Buch ist neben der beißenden Komik die besondere Perspektive. In "Lehrerzimmer" werden keine altbekannten Schülerstreiche aus dem Klamottenkeller wiederbelebt, sondern das gesamte Schulsystem einschließlich aller Beteiligten wird aus dem Blickwinkel der Lehrerschaft beleuchtet. Dabei werden Schwachstellen maßlos überzeichnet. Diese ungewöhnliche Perspektive, eine Satire von einem Lehrer über die Lehrerschaft und das (hoffnungslose?) Schulsystem, verleiht dem Buch eine besondere Würze. Der Inhalt berührt jeden, sei es als (ehemaliger) Schüler oder als Lehrer.

In einem Interview brachte Markus Orths zum Ausdruck, dass er nach diesem Buch kaum noch als Lehrer arbeiten könne. Warum eigentlich nicht? Wer Mängel im System erkennt und diese satirisch aufbereiten kann, sollte diesem System nicht verloren gehen. Er ist geradezu prädestiniert, als Rädchen im Räderwerk notwendiger Reformen zu agieren. Warum nicht als humorvoller und engagierter Lehrer an einer Schule?

Markus Orths, 1969 in Viersen geboren, studierte Philosophie, Romanistik und Anglistik. Er arbeitete als Lehrer, bevor er beschloss, sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Seit 1999 ist er Mitherausgeber der Literaturzeitschrift "Konzepte". Weitere Veröffentlichungen: "Wer geht wo hinterm Sarg?" und "Corpus".

(Klemens Taplan; 11/2004)


Markus Orths: "Lehrerzimmer"
Gebundene Ausgabe:
Schöffling, 2003. 164 Seiten.
ISBN 3-89561-095-X.
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dtv, 2004. 160 Seiten.
ISBN 3-423-13269-8.
ca. EUR 7,80.
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Weitere Bücher des Autors:

"Wer geht wo hinterm Sarg"
(Erzählungen)
Zwei Männer im Zugabteil kämpfen einen stillen Kampf; ein Mann kann das Leben nur bestehen, indem er gräbt; Hinterbliebene diskutieren: "Wer geht wo hinterm Sarg?"; eine Horde Schweine wagt einen entschlossenen Ausbruch ...
Markus Orths‘ Erzählungen sind ungewöhnlich und hintersinnig, sie spielen mit der Erwartung des Lesers (der sie nie folgen) und überzeugen durch suggestive Sprachkraft und eindringliche Bilder. In allen Situationen entdeckt Markus Orths beunruhigende Abgründe und Skurriles, bis hin zu einer Zuspitzung ins Fantastische. (Schöffling; Heyne)
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"Corpus"
Jahrelang haben die Beiden nichts mehr voneinander gehört, da steht Christof plötzlich wieder in Pauls Wohnung. Ein furchtbares Erlebnis aus der Kindheit, Ergebnis eines harmlosen Spiels, steht zwischen ihnen und verbindet sie zugleich.
Zum Wendepunkt in Christofs Leben ist eine Begegnung geworden: Da ist Kai, der Taxifahrer, der die Schauspielschule abgebrochen hat und nun seine Fahrgäste mit Rezitationen provoziert, und Ina, die sich für "gender studies" interessiert, Klettern geht und bald Kais Freundin wird. Was der junge Priester bei sich selbst bislang für Demut und Gelassenheit gehalten hat, ist ihm als großes Vakuum bewusst geworden, das sich in ihm ausgebreitet hat. In Pauls Wohnung tastet sich Christof nun langsam in die Erinnerung zurück und versucht, über das zu sprechen, was geschehen ist.
Markus Orths' erster Roman ist ein temporeiches, packendes Buch über die Macht des Gesagten und die Macht des Schweigens, über die Zerstörungskraft von Erwartungen und Zwängen. Und es ist ein Buch über die Angst vor Berührung, vor den eigenen Gefühlen - und der dennoch großen Sehnsucht danach. (Schöffling; Heyne)
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"Das Zimmermädchen" zur Rezension ...