Hanns-Josef Ortheil: "Das Verlangen nach Liebe"
Schon
2003 hat Hanns-Josef
Ortheil mit seinem Roman "Die große Liebe" gezeigt, dass es
möglich
ist, einen einfühlsamen, nicht-trivialen Liebesroman zu
schreiben, der den
Kriterien für große Literatur ohne Problem
standzuhalten vermag.
Nun, vier Jahre später, legt der Autor erneut einen
Liebesroman vor, der
"Das Verlangen nach Liebe" beschreibt, das einen Menschen, das zwei
Menschen ein Leben lang nicht loslassen will.
Judith ist Kunsthistorikerin, Johannes ein berühmter und auch
vielbeschäftigter
Konzertpianist. Sie haben einander kennengelernt und sofort das
Gefühl gehabt,
dass mit dem jeweils Anderen nun endlich ihre andere, bisher unbekannte
und
brachliegende Persönlichkeitshälfte zum Leben erweckt
wurde. Sie leben eine
wunderbare Partnerschaft aus, sowohl in körperlicher als auch
in geistiger
Hinsicht, ergänzen und befruchten sich in ihren jeweiligen
Berufsfeldern; zwei
Künstler haben sich getroffen und bilden zusammen ein
menschliches Kunstwerk
von großer Schönheit und überbordender
Fantasie.
Eines Tages kommt Johannes unerwartet früh von einem
Auslandsaufenthalt in die
gemeinsame Wohnung zurück und findet dort Judith in den Armen
eines anderen
Mannes. Er dreht sich auf der Stelle um und kehrt nie wieder
zurück. Nach einer
Schaffenskrise findet er, auch durch die Unterstützung seiner
Agentin Tanja
Gerke, die ihm auch eine gelegentliche Sexualpartnerin ist, wieder zur
alten
Form und führt ein Leben nur für seine Kunst.
Als er Judith eines Tages, achtzehn Jahre hat er sie weder gesehen noch
gesprochen, während der Vorbereitungen und Proben einer
Konzertreihe in Zürich
auf der Straße wieder begegnet, fängt für
beide alles noch einmal von vorne
an. Und er erinnert sich an ihre erste Begegnung:
"So, wie sie jetzt dasitzt, als eine in sich ruhende und doch
nur Dir
zugewandte Erscheinung, hast Du sie kennengelernt, dachte ich, an jenem
Abend
vor vielen Jahren löste sich genau diese eine Frau in einem
Frankfurter
Konzertsaal aus einer Umgebung, die Du nicht zur Kenntnis nehmen
wolltest, und
trat neben Dich und begleitete Dich und nahm Platz in einem Bistro und
sprach
beinahe eine Nacht immer vertrauter mit Dir. Von dieser Nacht an wart
ihr
miteinander verbunden, und die Musik, die Dich Stück
für Stück immer mehr
beherrscht und dadurch freilich auch immer einsamer gemacht hatte,
hatte einen
Gegenpol in einem einzigen Menschen erhalten, der es Dir
ermöglichte, wieder
eine freieren Zugang zur Welt zu finden. Bis zu dieser Nacht hattest Du
so etwas
ausgeschlossen, Du hattest es nicht für möglich
gehalten, daß es neben der
Musik noch etwas vergleichbar Anziehendes und Intensives gab,
Unterhaltungen und
Vergnügungen mit anderen Menschen hatten Dir solche
Intensitäten nie geboten,
sondern Dich vielmehr immer wieder enttäuscht. Judith aber
hatte begonnen, Dir
die Welt zu übersetzen, so, wie die Musik sie Dir in Deinen
Kinder- und
Jugendjahren übersetzt hatte, die Methode war in beiden
Fällen dieselbe: alles
Wahrgenommene und bloß undeutlich Empfundene wurde sortiert,
benannt und
bestimmt und dadurch tiefer und klarer empfunden. Die Liebe und die
Musik -
damals hast Du allmählich begriffen, wie ähnlich sie
waren, denn die Liebe und
die Musik wirkten wie Medien einer
Verwandlung
der Welt ins
Empathische, so
wurde die Welt Text und Klang, so wurde sie Erzählung und
Komposition."
Johannes und Judith verbringen jede freie Minute miteinander, die ihnen
ihre
jeweiligen künstlerischen Tätigkeiten lassen. Er
probt in der Tonhalle für
sein Konzert, sie bereitet eine außergewöhnliche
Ausstellung in der Kunsthalle
in Zürich vor.
Von der ersten Sekunde spüren sie die alten Schwingungen
wieder, auch ihre Fantasie
und ihr tiefes Verständnis für das jeweilige aktuelle
Kunstprojekt des Anderen
ist ungeschmälert, ja, es ist intensiver als je zuvor. Sie
vermeiden beide
lange, von früher zu sprechen, obwohl sie - Zufall oder nicht?
- alle Orte
ihrer ersten Begegnung in Zürich aufsuchen. Johannes brennt
natürlich darauf,
zu erfahren, warum es zu dieser Szene von achtzehn Jahren kommen
musste, die sie
getrennt hatte. Er recherchiert in seinem Hotel im Internet Judiths
Vergangenheit, erfährt, dass sie Professorin geworden ist und
seit einigen
Jahren überall auf der Welt ambitionierte Kunstprojekte
initiiert und durchführt.
Hanns-Josef Ortheil hat einen Liebesroman von großer Anmut
geschrieben.
Angesiedelt im Künstlermilieu, vermittelt er dem begeisterten
Leser nicht nur
eine Fülle von Informationen über Musik und
Malerei,
die man beim Lesen
regelrecht genießt, sondern ist auch eine große
Liebeserklärung an die Stadt
Zürich.
Sie werden dieses Buch lieben und sich in sein Thema
verlieben.
"Das
Verlangen nach Liebe" wird in Ihnen die Sehnsucht nach diesem
großen Gefühl
und dieser tiefen Schwingung wecken und Sie nicht mehr loslassen.
(Winfried Stanzick; 08/2007)
Hanns-Josef
Ortheil: "Das Verlangen nach
Liebe"
Luchterhand Literaturverlag, 2007. 318 Seiten.
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