Alexander von Humboldt: "Fahrt auf dem Orinoko"
Sprecher: Johannes Steck
(Hörbuchrezension)


Wissenschaft als Abenteuer

Den Namen Orinoko kennt der moderne Mensch aus der Hitparade, die Irin Enya hatte 1988 mit 'Orinoco Flow' einen weltweiten Hit - der Text gibt allerdings wenig her, schon gar nichts, was an Humboldt erinnert hätte. Mit dem nun vorliegenden 'Reisebericht gelesen von Johannes Steck' (Untertitel) werden wir zurückversetzt ins Jahr 1800, als Alexander von Humboldt (1769-1859) im Rahmen seiner ersten Expedition den Orinoko - mit mehr als 2000 km der längste Fluss Südamerikas - hinauffährt und auf allerhand Befremdliches und Faszinierendes stößt. Humboldt war ein deutscher Naturforscher mit Weltgeltung und Mitbegründer der Geografie als empirischer Wissenschaft. Seine Reisen führten ihn nicht nur dach Südamerika, sondern auch in die USA und nach Zentralasien - er beschäftigte sich mit den Naturwissenschaften ebenso wie mit Wirtschaftsgeographie oder Ethnologie. Indem er mit internationalen Spezialisten verschiedener Fachrichtungen regelmäßig korrespondierte, schuf er damals schon quasi ein wissenschaftliches Netzwerk. In Deutschland erlangte er Popularität mit den Werken 'Ansichten der Natur' und 'Kosmos'.

Humboldts ehrgeizige Vision war die Darstellung des gesamten physikalisch-geografischen Wissens seiner Zeit. Auf seine amerikanische Forschungsreise (1799-1804) nahm er die damals modernsten Messinstrumente mit: u.a. Inklinometer, Deklinatorium, Eudiometer oder Hyatometer. Im Februar 1800 fuhr er auf einer Piroge (ein mit Axt und Feuer ausgehöhlter Baumstamm von ca. 13 m Länge und 1 m Breite) auf dem Fluss Apure in den Orinoko, dem er stromaufwärts folgte, um den Nachweis zu führen, dass zwischen dem Orinoko und dem Amazonas mit dem Cassiquiare eine natürliche Verbindung existierte. Dieses 2.775 km lange Unternehmen überstand Humboldt , der früher öfters gekränkelt hatte, in erstaunlicher Gesundheit, ja er bringt sogar zum Ausdruck, dass ihm das Klima regelrecht wohltue. Populär war zweifelsohne auch die (Fast-)Besteigung des Chimbarazo (6.310 m ) im Jahr 1802, als bis heute nützlich erwies sich sein Studium der Düngeeigenschaften von Guano. Da er seine Reisen und den Druck seines 30-bändigen Reisewerks aus eigenen Mitteln finanzierte, hatte er diese bald aufgebraucht. Seine Russlandexpedition bekam er infolgedessen von Zar Nikolaus I. finanziert.

Humboldt galt als aufgeklärt und liberal, als wahrhaft global denkender Wissenschaftler mit Universalbildung. Höchstes Lob erfuhr er von Goethe: "Man könnte in 8 Tagen nicht aus Büchern herauslesen, was er einem in einer Stunde vorträgt." Humboldts besonderes Talent bestand wohl darin, exakte Beobachtung mit erzählerisch anmutender Anschaulichkeit zu paaren. Und so sind seine Ausführungen spannend wie Schilderungen, nicht nur des exotischen Inhalts wegen. Von Caracas kommend gelangt er bei der Mündung des Apure in den Orinoko, der ihn wegen seiner Breite (je nach Wasserstand 3-10 km) beeindruckt. Humboldts Beobachtungen, Messungen und Untersuchungen sind geografischer, geologischer und klimatologischer Natur, auch interessieren ihn Tier- und Pflanzenwelt - v.a. aber die Kultur der verschiedenen Indianerstämme, auf die er trifft. Die "Cariben schienen uns Menschen von fast athletischer Gestaltung zu sein" - er beschreibt aber auch die "sehr großen, aber ekelhaft schmutzigen Weiber." Humboldt spricht von Gemeinsamkeiten in den Überlieferungen der Urvölker, welche ihm als "philosophischem Forscher" höchstes Interesse abfordern. Sehr bezeichnend ist die Aussage eines Missionars in Uruana: "Wer wird glauben, dass ihr euer Vaterland verlassen habet, um euch auf diesem Strome von Mosquitos verzehren zu lassen und um Länder zu vermessen, die nicht euer sind?" Es gelingt aber immer wieder, das Misstrauen der Bewohner zu zerstreuen.

Und so erleben wir die "Schildkröten-Eyersammlung", wir erfahren, was es mit dem Curaregift auf sich hat oder dass bestimmte Indianerstämme kleine Affen rösten und verspeisen - ganz zu schweigen davon, dass es auch diverse Menschenfresserstämme gab. Zur Expedition und ihren Beschwerlichkeiten notiert Humboldt: "Vier Monate hindurch schliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Tigern ... nichts genießend als Reis, Ameisen, Manico, Pisang, Orinocowasser und bisweilen Affen." Während des Tages "ist es fast unmöglich zu schreiben, man kann die Feder nicht ruhig halten, so wütend schmerzt das Gift der Insekten." Dennoch sind die nachts bei Feuerschein vorgenommenen Aufzeichnungen so umfangreich geworden, dass wir heute noch staunend lesen bzw. hören können, was Humboldt an Entdeckungen und Erkenntnissen überliefert hat. Ja, zu seinen Zeiten war Wissenschaft eben noch ein Abenteuer in jeder Hinsicht.

(KS; 04/2007)


Alexander von Humboldt: "Fahrt auf dem Orinoko"
Sprecher: Johannes Steck.
Audiobuch Verlag, 2007. 1 CD; Laufzeit 68 Minuten.
Hörbuch-CD bei amazon.de bestellen