Jens Malte Fischer: "Vom Wunderwerk der Oper"
Musiktheater
aus ungewöhnlichen Perspektiven
Das übliche Repertoire der Opernhäuser ist relativ
beschränkt.
"Die Zauberflöte" und
"Don Giovanni" sind
Publikumsmagneten, Bizets "Carmen" erfreut sich großer
Beliebtheit, Rossini-, Puccini- und
Verdi-Opern ebenfalls, Wagner hat
sein Stammpublikum, man kennt und liebt den "Freischütz" und
"Fidelio" und noch einige Komponisten und Opern mehr. Das war es dann
im Großen und Ganzen auch schon.
Jens Malte Fischer greift einige selten gespielte Werke und deren
Komponisten heraus und erläutert die Entstehungsgeschichte und
Bedeutung der Musikdramen, die Lebensumstände ihrer
Schöpfer und die Auswirkungen auf das zeitgenössische
Publikum. Dazu gehören beispielsweise Wolfgang Rihm und seine
"Eroberung von Mexiko" im Zusammenhang mit Antonin Artauds Konzept des
"Theaters der Grausamkeit" sowie Ferrucio Busonis lange
Auseinandersetzung mit dem Faust-Stoff, aber auch der fast
gänzlich unbekannte Albéric Magnard, der mit
"Guercœur" und "Bérénice" zwei Opern
komponiert hat, deren Rolle als Verkörperung der
französischen Ausprägung eines "klassizistischen
Wagnerismus" der Autor ausführlich diskutiert. Zudem stellt er
zwei Erstlingswerke des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Hans Pfitzners
"Der arme Heinrich" und Richard Strauss' "Guntram", einander
gegenüber und untersucht ihre philosophischen und
musikalischen Wurzeln, die sich in erstaunlicher Weise kreuzen. Auch
verfolgt er unter anderem, wie sich der Antisemitismus durch das Leben
und Schaffen Giacomo Meyerbeers zog, der, wie dem Leser dieser
Rezension möglicherweise bekannt ist, unter Wagners
judenfeindlicher Haltung zu leiden hatte.
Wagner, der nun freilich keineswegs zu den Vergessenen der Opernszene
gehört, findet in Fischers Buch häufig
Erwähnung, vor allem in einem sehr lesenswerten Kapitel mit
dem Titel "Wagner-Interpretation im 'Dritten Reich'. Musik und Szene
zwischen Politisierung und Kunstanspruch", das sich unter anderem mit
der Rolle von Wagner-Interpreten wie Wilhelm Furtwängler und
Heinz Tietjen befasst. Irgendwo auf der anderen Seite des politischen
Spektrums ist Kurt Weill angesiedelt, dessen Oper "Happy End" nicht an
den Erfolg der "Dreigroschenoper" anknüpfen konnte, obwohl
gerade das musikalische Potenzial beträchtlich war.
Außer den genannten gibt es noch mehrere weitere
Beiträge zu Themen, die bei den meisten Opernfreunden auf
Interesse stoßen dürften.
Dieses Buch geht das Phänomen Oper auf ungewöhnliche
Weise an, indem es sich entweder mit selten betrachteten Aspekten -
siehe das Kapitel über die Wagner-Interpretation in
Hitler-Deutschland - oder aber mit heute, zum Teil allerdings schon zu
Lebzeiten wenig beachteten Komponisten, zuweilen auch mit praktisch in
Vergessenheit geratenen Werken bekannter Komponisten wie Verdi und Dvořák
auseinandersetzt. Fachkundig untersucht der Autor, worauf
Misserfolge zurückzuführen sind, inwiefern den Werken
im Kontext der Operngeschichte dennoch Bedeutung zukommt, und wie der
Komponist mit dem Misserfolg umging.
Aber auch das Kapitel über die Instrumentalisierung der
Wagner-Opern im Sinne des Dritten Reichs und die mögliche
Rolle der berühmten Interpreten - Furtwängler wird
von vielen Musikkennern als der beste Dirigent des 20. Jahrhunderts
angesehen - bei der Stabilisierung des nationalsozialistischen Systems
ist dazu angetan, den Leser zum Nachdenken anzuregen.
Das Buch wendet sich in erster Linie an Opernfreunde, die zumindest mit
den großen Namen und Werken des Genres gut vertraut sind,
doch auch "Einsteiger" haben keine Schwierigkeiten, sich
zurechtzufinden, denn der Autor flicht ausreichend
Erläuterungen ein und legt seine Gedanken hinreichend
ausführlich dar.
Der Titel verspricht nicht zu viel: Jens Malte Fischer beleuchtet die
Oper aus ungewöhnlichen Blickwinkeln und macht sie so als
wahres Wunderwerk begreiflich. Dank seiner sehr ansprechenden,
hochwertigen Aufmachung eignet sich das Buch auch gut als Geschenk
für Opern- und Theaterfreunde.
(Regina Károlyi; 02/2007)
Jens
Malte Fischer: "Vom Wunderwerk der Oper"
Zsolnay, 2007. 304 Seiten.
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Jens Malte Fischer, 1943 geboren, studierte Germanistik, Musikwissenschaft und Geschichte und ist Professor für Theaterwissenschaft an der Universität München. Er schreibt regelmäßig für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Merkur".
Weiterer Buchtipp:
Christiane Mühlegger-Henhapel, Alexandra
Steiner-Strauss (Hrsg.):
"Richard Strauss und die Oper"
Zum
150. Geburtstag des großen Komponisten
Richard Strauss (1864-1949) gehört zu den Wegbereitern der musikalischen
Moderne. Schon zu Lebzeiten war der Dirigent und Komponist erfolgreich, vor
allem seine Opern werden in aller Welt geschätzt. Als Direktor der Wiener
Staatsoper feierte er zwischen 1919 und 1924 Erfolge, löste aber auch
Kontroversen aus. Gemeinsam mit dem Dichtern
Hugo von Hofmannsthal und dem
Bühnenbildner Alfred Roller schuf er mit "Elektra" und
"Der Rosenkavalier"
wegweisende Operninszenierungen.
Stefan Zweig gewann er für das Libretto zur
Oper "Die schweigsame Frau", weitere geplante Projekte scheiterten jedoch an der
Politik des NS-Regimes.
Faszinierende Quellen aus dem Wiener Theatermuseum zeichnen ein vielschichtiges
Porträt dieses großen Komponisten.
Christiane Mühlegger-Henhapel: Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft
und Romanistik an der Universität Innsbruck. Seit 1999 Kustodin im Theatermuseum
in Wien, verantwortlich für die Sammlung Handschriften und Nachlässe.
Alexandra Steiner-Strauss: Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und
Germanistik an der Universität Wien. Seit 2002 Kustodin im Theatermuseum in
Wien, verantwortlich für die Sammlung Handzeichnungen. (Residenz)
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