Véronique Olmi: "Ihre Leidenschaft"
Ein
Buch über die endlose
Sehnsucht
Véronique Olmi ist eine Meisterin des kurzen, aber
gehaltvollen und aussagekräftigen Romans. Kaum eines ihrer
bisherigen Bücher reichte über den Umfang von etwa
130 Seiten hinaus, und dennoch liegt in dieser knappen Form ein ganz
besonderer Reiz, zumal Olmi diese knappe Form wie kaum eine Andere
beherrscht.
In ihrem neuen Roman "Ihre Leidenschaft" erzählt sie vom
Leiden einer Frau an einer Beziehung, die sie schon überwunden
glaubte. Es geht um das nicht nur in Frankreich weitverbreitete
Phänomen, dass sich Frauen ab einem bestimmten Alter
vorzugsweise in Männer verlieben, die verheiratet sind. Wenn
diese Männer, selbst oft auch verliebt bis über beide
Ohren, früher oder später ihre Ehe zugegeben haben,
versprechen sie den Frauen den Himmel auf Erden, vor allen Dingen aber,
dass sie ihre Ehefrauen sehr bald verlassen und die Scheidung
einreichen werden, um dann mit der Geliebten eine eigene
Beziehung einzugehen oder gar eine Familie zu gründen. Doch in
den meisten Fällen werden die Frauen von den Männern
hingehalten, immer kommt etwas Anderes dazwischen; da sind die Kinder
noch zu klein, oder die Ehefrau leidet gerade unter einer
ausgewachsenen Depression und neigt zu
Selbstmordfantasien; auf jeden Fall kann der Mann jetzt gerade nicht
seine Familie verlassen. Die Geliebte in solchen Beziehungen hofft von
einem Jahr zum anderen, weil sie glaubt, in diesem Mann wirklich den
Richtigen gefunden zu haben, lässt sich vertrösten,
spürt aber auch immer stärker, wie ihre Lebenszeit
verrinnt oder, wenn sie einen Kinderwunsch hegt, wie ihre biologische
Uhr langsam aber sicher abläuft. Auf jeden Fall ist sie in
solchen Beziehungen nicht nur da Opfer, sondern sie lässt es
zu, was zu nicht geringen Auswüchsen von Selbsthass
führen kann.
Die erfolgreiche Schriftstellerin Hélène
führte seit vielen Jahren eine Beziehung mit dem verheirateten
Patrick. Vor zehn Tagen, kurz bevor sie zu einer Buchmesse
gefahren ist, hat sie diese Beziehung beendet. Sie fühlt sich
befreit und ist es doch nicht. Denn als sie abends in ihrem Hotel eine
SMS von Patrick bekommt, in der er ihr mitteilt "Du
fehlst mir",
ist der Entschluss sofort vergessen. Ihre Leidenschaft zu diesem ewig
unschlüssigen Mann entbrennt aufs Neue. Sie drückt
fast gegen ihren Willen auf die Rückruftaste und sagt: "Ich
bins."
"Er sollte durch ihre Adern strömen, ihr ganzes Inneres sollte
erfüllt, erwärmt sein von seinem Atem, wie ein
zweites Leben. Denn er war ihr Leben. Er war das einzig Wahre, das
einzig Wirkliche in dieser Unendlichkeit vor ihr: der Zeit. Und die
Zeit ohne ihn, diese zehn Tage ohne ihn waren nur Verwirrung gewesen,
ein Wust von Verabredungen, professionell und höflich,
Gemeinplätze, Verpflichtungen, um durchzuhalten, ohne richtig
in Gang zu kommen, Tage, die den Tagen der anderen glichen, dieselbe
griesgrämige Stimmung in denselben Metros, den gleichen Bars,
Restaurants, Boulevards, ins Bett gehen, und aufstehen im Rhythmus der
anderen, eine Unbekannte sein, die den Tagesablauf von tausend
Unbekannten teilte, dieselbe Zeit erlebt, ohne dass je etwas daraus
hervorsprudelt
... zehn verlorene Tage ..."
Das Gespräch, das Hélène mit klopfendem
Herzen führt, verläuft holprig, sie spürt
die Unverbindlichkeit Patricks stärker als je zuvor und will
ihn mit einer Provokation necken.
Sie sagt ihm, sie habe auf der Messe den Verleger Isaac getroffen, von
dem sie ihm schon erzählt habe, und dieser ebenfalls
verheiratete Isaac habe, nachdem sie ihm gesagt habe, dass bei ihr
jetzt endgültig Schluss sei mit verheirateten
Männern, spontan gesagt, dass er für
Hélène sofort seine Frau verlassen und sich
scheiden ließe.
Es dauert eine ewig lange Sekunde, bis Patrick reagiert. "Er
lachte. Frei heraus. Spontan. Sanfter Ausbruch. Unerträgliche
Leichtigkeit." Dieses Lachen lässt
Hélène in einen Abgrund stürzen, aus dem
sie sich nur befreien kann, indem sie etwas tut, von dem man bis zum
Ende nicht weiß, ob sie alles genauso geplant hat, oder ob es
die Zufälle waren, die sie dazu führten ....
"Ihre Leidenschaft" ist eine wunderbare Geschichte über das
Leiden an der Einsamkeit, den Mangel an Ernsthaftigkeit und
Wahrhaftigkeit in Beziehungen
und darüber, wozu Leidenschaft
und Liebe fähig sind, wenn sie erleben, dass sie ausgenutzt
und nicht wirklich erwidert werden. Ein Buch über die endlose
Sehnsucht, nicht nur von Frauen, Leidenschaft und Liebe in einer festen
Beziehung zu leben, die keine Andere oder keinen Anderen neben sich
duldet und erträgt, weil es die wahre Liebe zerstört.
(Winfried Stanzick; 10/2007)
Véronique
Olmi: "Ihre Leidenschaft"
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz.
Verlag Antje Kunstmann, 2007. 127 Seiten.
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Véronique Olmi wurde 1962 in Nizza geboren.
In Frankreich
wurde für ihre Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Seit 1990 hat die ausgebildete Schauspielerin etliche
Theaterstücke verfasst, am Anfang stand sie bei deren
Aufführung auch selbst auf der Bühne und/oder
führte Regie. Die Theaterstücke wurden in viele
Sprachen übersetzt.
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Ein Mann eine Frau"
Er hat sie früher schon begehrt, und sie hat es wahrgenommen.
Deshalb hat sie
sich mit ihm verabredet, obwohl sie sich kaum kennen. Nun sitzen sie
sich im
verregneten Jardin du Luxembourg gegenüber. Er bemerkt ihre
Blässe, ihre
Magerkeit, fragt aber nicht nach. Ohne viele Worte gehen sie in ein
nahes Hotel.
Sie und er: beide nicht mehr jung, nicht perfekt, ein wenig
misstrauisch. Sie
will die Schatten der letzten Monate beiseite schieben. Er wartet ab,
wie weit
sie gehen wird. Ihre Nacktheit
macht sie einander gleich. Erst
unsicher, dann
immer begieriger, immer überraschter loten sie ihre Grenzen
aus. Und fast
ungewollt entsteht, nur für diesen Moment, eine
Intimität, eine
Unmittelbarkeit und Nähe, die Begehren und Begehrtwerden in
eine neue
Lebendigkeit verwandelt. Véronique Olmi hat einen erotischen
Roman geschrieben,
der mit einer verstörend präzisen Mischung von
Härte und Sensibilität selbst
eine literarische Grenze auslotet. (Verlag Antje Kunstmann)
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"Eine so schöne Zukunft"
Premierenabend an einem Pariser Theater: Jeder kennt jeden, und doch
auch wieder
nicht. Zwei Frauen begegnen sich, haben sich nicht viel zu sagen. Sie
leben,
jede auf ihre Weise, in einer festen Beziehung: leidlich geregelt,
keineswegs
unglücklich. Als der Zufall sie kurz darauf erneut
zusammenführt, ist alles
anders. Mit einem Mal sind sie sich nahe: in ihrem Gefühl,
dass nichts mehr in
ihrem Leben stimmt. Waren wirklich äußere
Geschehnisse der Auslöser, die
Untreue des Ehemanns, der
Kinderwunsch
des langjährigen
Geliebten? Der Versuch,
es herauszufinden, führt Elisabeth und Clara auf ungesichertes
Terrain: zu
Ausbruch und Neuanfang, zur Konfrontation mit der eigenen Kindheit,
einem lange
gehüteten Familiengeheimnis. So verschieden sie sind, in ihrer
Sensibilität,
ihren Erfahrungen und Hoffnungen auf eine andere Zukunft: Erst in der
spontanen
Freundschaft, dem vorbehaltlosen Verständnis der Anderen
entsteht der Freiraum
für einen neuen Lebensentwurf. (Verlag Antje Kunstmann)
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"Die Promenade"
Mitten im Nizza der 1970er-Jahre wächst die dreizehnjährige Sonja bei ihrer
alten Babuschka auf. Babuschka ist keine gewöhnliche Großmutter, mit ihr
taucht man in eine andere Welt ein: in die Welt Russlands zur Zarenzeit, aus der
die Revolution sie wie viele Exilrussen an die Côte d'Azur vertrieben hat.
Tschechow
und Stalin,
Rasputin und die Romanows geistern seitdem durch Babuschkas Erzählungen. Auf
den Spaziergängen mit ihr muss man sich in Acht nehmen, denn der russische
Geheimdienst ist überall. Doch das Schlimmste sind die Briefe: Warum nur hat
die Großmutter sich in den Kopf gesetzt, täglich in holprigem Französisch an
den französischen Staatspräsidenten und den Herausgeber der Zeitschrift "Historia"
zu schreiben, denen sie die Wahrheit über die Ermordung der Zarenfamilie verkünden
will? Anastasia ist in Babuschkas Erzählungen präsenter als Sonjas Mutter, die
sich auch schon länger nicht mehr hat blicken lassen ... (Verlag Antje
Kunstmann) zur Rezension ...
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