Hansjörg Küster: "Das ist Ökologie"

Die biologischen Grundlagen unserer Existenz


Eine Neudefinition auf naturwissenschaftlicher Basis

Ökologie hat grundsätzlich ebenso wenig mit kunstdünger- und pestizidfrei angebautem Obst und Gemüse zu tun wie mit der Ablehnung von technischem Fortschritt. Denn Ökologie ist eine Naturwissenschaft, die auf beweisbaren Fakten und Gesetzmäßigkeiten aufbaut, und keine Ideologie, die Emotionen instrumentalisiert.
Das klingt provozierend, aber tatsächlich spannen Politiker jeglicher Couleur gern die Ökologie vor ihren Karren, zumeist ohne die geringste Kenntnis davon zu haben, was Ökologie wirklich bedeutet. Dabei ist das Wissen um biologisch-ökologische Zusammenhänge für unsere Zukunft von sehr großer Bedeutung, denn natürlich benötigen wir nachhaltigen Umweltschutz.
Mit "Das ist Ökologie" legt Hansjörg Küster ein in dieser Form überfälliges Buch vor, das fachliche und fachübergreifende Grundlagen gut verständlich vermittelt und somit einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung liefern kann.

Wie vielseitig die Naturwissenschaft Ökologie ist, zeigen schon die Überschriften der Kapitel (von den Fachbegriffen sollte man sich nicht abschrecken lassen; sie werden im Text anschaulich erklärt):
Variationen zur Ökologie - Autökologie: Der Organismus - ganz allein auf der Welt - Die Nahrungskette: Autotrophe und heterotrophe Organismen - Häufigkeitsschwankungen - Streß und Konkurrenz - Selektion als natürliche Auswahl von "Kronen der Schöpfung" - Das niemals erreichte "Gleichgewicht der Natur" und das nie stabile Ökosystem - Ökosysteme ohne Grenzen: Hat der Wald einen Rand? - Die Dynamik der Natur - Der Mensch im Widerstreit mit Ökologie und Selektion - Ackerbau - Viehhaltung - Angestrebte und erreichte Stabilität - Nutzung und Übernutzung des Landes - Gärten der Nachhaltigkeit und Stabilität in "wilder" Natur - Die Industrialisierung und die Idee der Grenzen des Wachstums - Die Utopie vom dauerhaften Naturschutz - Die Entwicklung unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit - Landschaft geht uns alle an - Bildung, Forschung und Freiwilligkeit als Grundlagen der Nachhaltigkeit

Die eigentliche Ökologie als Zweig der Biologie untersucht die Beziehungen der Organismen untereinander und folglich - da Organismen sich ständig verändern - den Wandel der Natur und damit der Lebewesen in ihrer Umwelt. Wandel, und sei er noch so natürlich, steht aber im Widerspruch zum menschlichen Streben nach gleich bleibenden Verhältnissen, das heißt: zur Nachhaltigkeit. Der Ökologiebegriff wurde diesem Wunschdenken angepasst, die Ökologie den Mathematikern und Modellierern übergeben. Deren Modelle haben zwar durchaus einen Nutzen, jedoch nur, wenn sie richtig interpretiert werden, insbesondere hinsichtlich der Tatsache, dass sie ohne Modifikation nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit eintreten.
Modelle gehen von der Konstanz der Lebensformen aus, doch diese existiert in der Wirklichkeit nicht: Außer Klonen sind keine zwei Individuen gleich - und Angehörige verschiedener Arten erst recht nicht. Zudem ist die Evolution mit Erreichen des heutigen Artenspektrums keineswegs abgeschlossen; sie dauert weiterhin an. Naturschutz ist biologisch gesehen nur unter Beachtung der natürlichen Dynamik der Lebensformen sinnvoll.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutzten politische Utopisten, Nationalsozialisten wie Linke, das im Zuge von aufkeimenden Technikängsten erwachte Interesse an der Ökologie und instrumentalisierten sie zur Kontrolle der Privatwirtschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet die Ökologie in Vergessenheit. Erst in den 70er Jahren wurde sie wieder aktuell, als der Zeitgeist die Industriegesellschaft am Abgrund sah und Alternativen suchte. Hier wurde die Mathematisierung der Ökologie einseitig vorangetrieben. Im wissenschaftlichen Bereich ist man, schon aufgrund von Erfahrungen wie jenen der nicht eingetroffenen Prognosen des Club of Rome, zur ursprünglichen Definition zurückgekehrt, in der Öffentlichkeit nicht. "Öko-" (-steuer, -wein, -siegel etc.) steht für Normierung. Kein ernsthafter, mit den Grundlagen der Ökologie vertrauter Wissenschaftler würde eine solche Normierung vornehmen.
Dies ist lediglich ein knapper Überblick über den Inhalt des ersten Kapitels - und die weiteren sind nicht weniger gehaltvoll.
Der Autor zeigt die wechselseitigen Beziehungen der Lebewesen auf, soweit sie sich systematisch erfassen lassen, die Kreisläufe der anorganischen Materie, die aber nie wirklich geschlossen sind, und Ökosysteme als Umwelt der Lebewesen - keineswegs starr und abgegrenzt, wie sie gern dargestellt werden, sondern in ständigem Austausch mit vielen, wenn nicht allen anderen, und vor allem ständig in Veränderung begriffen.
Somit sind auch Häufigkeitsschwankungen von Lebewesen in einem Ökosystem ein ganz natürliches Phänomen. Nur ein genaues, langfristiges Monitoring kann Aufschluss darüber geben, ob Änderungen einer Populationsgröße natürlichen oder anthropogenen Ursprungs sind.
Da Lebewesen sich ständig mit ihrer Umwelt auseinandersetzen müssen, darunter auch konkurrierenden Individuen der eigenen Art oder anderer Arten, stehen sie unter Stress - und unter Selektionsdruck, denn es gelangen die Individuen zur Fortpflanzung und somit Weitergabe ihrer Gene, die mit den aktuellen Bedingungen am besten umgehen können. Daher ist Selektion der Triebmotor der Evolution. Und die Evolution sorgt dafür, dass es kein "Gleichgewicht der Natur" und kein "stabiles Ökosystem" gibt; folglich ist auch Nachhaltigkeit ein Artefakt.
Stresssituationen aufgrund von Nahrungsmangel führten beim Menschen zur "Erfindung" des Ackerbaus, der Viehhaltung und der Sesshaftigkeit. Diese Neuerungen ermöglichten ein gewisses Maß an Sicherheit vor den natürlichen Schwankungen der Umwelt, hatten aber auch Bevölkerungsexplosionen zur Folge, denen der Mensch mit weiteren technischen Errungenschaften begegnete. Nachhaltigkeit gehörte lange Zeit nicht zu den Zielen der Menschheit. Versteppung und Wüstenbildung aufgrund von Überweidung, die Entstehung von heute als natürlich und schützenswert empfundenen Landschaften wie Heide (Nordeuropa), Macchia und Garrigue (Mittelmeer) als Folgen totaler Abholzung resultierten.
Der Autor zeigt auf, dass Naturschutz in der heute üblichen, der Bevölkerung durch die Politik aufgezwungenen Form aus ökologischer Sicht unsinnig, wenn nicht schädlich ist wie jede Form von Planwirtschaft. Wichtig wäre seiner Ansicht nach ein umfassender Landschaftsschutz im Sinne der Nachhaltigkeit, an dem die Bevölkerung mitwirken muss. Landschaften zu erhalten bedeutet, sie gegen Intensivierung oder Änderung der Nutzung zu schützen, aber auch gegen die veränderliche Natur selbst. Dazu ist eine möglichst früh beginnende Bildung notwendig, die Interesse und Verantwortungsbewusstsein für die Landschaft weckt, aber auch aufzeigt, dass technischer Fortschritt für den Fortbestand der Menschheit auf einem wünschenswerten Standard unabdingbar ist und somit nicht durch falsch verstandene Umweltpolitik verhindert werden darf. Der Autor macht deutlich, dass ein wesentlicher Schritt zur Nachhaltigkeit in der Abwendung von fossilen Energieträgern besteht und im verantwortungsvollen Umgang mit Energie ganz allgemein. Auch hierzu ist umfassende, fachübergreifende Bildung erforderlich, denn verantwortliches Handeln lässt sich nicht durch Verordnungen erzwingen, sondern wird durch erlernbare soziale, kulturelle und wissenschaftliche Kenntnisse möglich.
Die Ökologie muss, um wieder glaubwürdig zu werden, den ihr politisch aufgedrängten utopistisch-emotional-ideologischen Anstrich zugunsten der naturwissenschaftlichen Grundlagen ablegen. "Auf Dauer mächtig sind aber allein Argumente, die nicht nur emotional begründet werden können." Wobei der Autor, und diese Einstellung verdient Respekt, dem emotionalen Aspekt durchaus eine Berechtigung einräumt - aber eben nicht die ausschließliche.

Die hohe inhaltliche Dichte dieses Werks macht eine Zusammenfassung ohne un-willkürliche Fehlgewichtungen zu einem schwierigen Unterfangen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bei "Das ist Ökologie" handelt es sich nicht um ein unterhaltsames populärwissenschaftliches Buch, sondern um ein interessantes, anspruchsvolles Sachbuch, das ständiges Mitdenken einfordert. Vorkenntnisse sind allerdings nicht notwendig. Der Autor erklärt sowohl die Grundlagen der Ökologie selbst als auch die Exkurse in Geschichte, Geologie, Evolutionslehre, Meteorologie, Politik und so weiter gründlich, anhand schlüssiger Argumente und anschaulicher Beispiele, wobei er ganz aktuelle Daten und Entwicklungen einbezieht. Hansjörg Küster zeigt sich nicht nur auf sein Fach bezogen, sondern auch, wie von ihm selbst als Grundlage ökologischen Verständnisses gefordert, fachübergreifend sehr kompetent.
Ausgesprochen positiv fiel mir zudem die umfangreiche und vielseitige, nach den Kapiteln geordnete Literaturliste im Anhang auf. Das gründliche Register habe ich gern und erfolgreich benutzt, wenn ich etwas bereits Gelesenes noch einmal nachschlagen wollte.
Erfreulich ist auch die hervorragende sprachliche Gestaltung, nicht zuletzt durch den schlichten, klaren Stil, der zur guten Verständlichkeit des Buchs beiträgt.
Falls es etwas an "Das ist Ökologie" auszusetzen gibt, dann höchstens die doch recht häufigen Wiederholungen einiger Argumente. Zum Teil sind sie aufgrund inhaltlicher Überschneidungen der Kapitel notwendig, in einigen Fällen sicherlich nicht.

Die Lektüre dieses Buchs kann ich jedem sehr empfehlen, der/die seine Einstellung zur "Ökologie" und zu dem Aspekt der Politik, der sich um diesen Begriff dreht, auf einem sachlichen, logischen Fundament aufbauen möchte.

(Regina Károlyi; 08/2005)


Hansjörg Küster: "Das ist Ökologie"
C.H. Beck, 2005. 192 Seiten.
ISBN 3-406-53463-5.
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Hansjörg Küster ist Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Universität Hannover.

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