Siegfried Obermeier: "Messalina"

Die lasterhafte Kaiserin


Messalina, ein Name wie ein Zündfunke zu einem Flächenbrand hoch lodernder Abscheulichkeiten. Kaum einer, der auf die verrückt anmutende Idee verfallen würde, seine Tochter oder auch nur sein Haustier nach der lasterhaften Kaiserin am römischen Thron zu benennen. Wer weiblich ist, hat tugendhaft zu sein. Und übermäßig tugendhaft, das war Messalina freilich nicht.

Nach der Lektüre von Siegfried Obermeiers historischem Roman über Person und Leben der grausamen Frau an der Seite des römischen Kaisers Tiberius Claudius Caesar Augustus (röm. Kaiser 41 bis 54 n. Chr.) mag nun vielleicht der eine oder andere Zeitgenosse unserer Tage in der allemal unreflektierten Negativbeurteilung der Römerin wankend werden. Denn Messalina ist in der Darstellung Obermeiers nicht einfach nur böse, sie ist vielmehr süchtig nach Leben und saugt dieserart unersättlich Macht, Lust und luxuriöses Wohlleben in sich hinein. Gewiss, ihren launischen Intrigen fallen Menschen zum Opfer, die es, ob aus Stolz oder Unachtsamkeit, verabsäumen, der Domina rechtzeitig gefügig zu sein, oder ihr irgendwie im Wege stehen, vielleicht auch einfach nur besitzen, wonach ihr gelüstet, aus welchem Grunde auch immer, ihre Gemütsart erweist sich zuweilen als eine von mörderischer Natur, der Weg, den sie beschreitet, ist gesäumt mit den Leichnamen hingemordeter Unschuldiger, doch so ist ihre Natur, deren höchster Wert und innigster (lustvoll empfundener) Wille es eben ist, als Frau in ihren eigenartigen und eigenartigsten Neigungen und Begierden authentisch zu sein - authentisch selbst noch um den Preis äußerster Verworfenheit.

Ausschweifend und ruchlos ist Messalinas Lebensstil, ohne Rücksichtnahme auf Sitte, Anstand und Moral. Im knospenden Alter von 14 Jahren ehelicht sie den gutmütigen und hoch gelehrten, unter der Tyrannei des verrückten Caligula aus gebotener Vorsichtnahme zum Hofnarren abgesunkenen und im Umgang mit Frauen sträflich naiven Claudius, der mit fast schon 50 Lebensjahren zwar ihr Großvater sein könnte, welcher jedoch - ein nicht zu vernachlässigender Aspekt - ob seiner Zugehörigkeit zum inneren Kreis der kaiserlichen Familie von höchstem und somit von höchst attraktivem Stande ist (er sollte auch alsbald Caligula als römischen Imperator beerben) und der mit seinem Begehren nach Verehelichung dem berechnenden Mädchen, in dessen Leib soeben schon die Frucht eines ersten - aus reiner Geilheit unterhaltenen - amourösen Verhältnisses mit einem heimlichen und keineswegs standesgemäßen (weil unfreien) Liebhaber keimt, gerade recht kommt. Ist der alternde, aber immer noch gut aussehende und zudem sensible wie denn auch einnehmend kultivierte Herr aus der julisch-claudischen Sippschaft doch der am meisten lohnende Ausweg aus ihrer peinlichen Lage. Die Hochzeit wird rasch angesetzt, die Sinnenlust funkt und das werdende Kind aus der Liebelei mit einem Haussklaven wird dem ehrwürdigen Claudius als das seinige untergeschoben.

Wie tut es sich nun, dieses junge Mädchen, an der Seite des obgleich schon bejahrten so doch noch in seiner Manneskraft stehenden Imperators? Ob ihrer berückenden Anmut und ihrer Geschicklichkeit im Umgang mit der ihr unvermutet zugefallenen hohen Position wegen heimst Messalina anfänglich von aller Welt Bewunderung ein. Sie weiß ihre Rolle auch wirklich vortrefflich zu spielen, gewinnt Sympathien in der römischen Gesellschaft wie wohl auch beim toleranten Leser ihrer Lebensgeschichte, der über so manchen menschlich verständlichen Seitensprung der hübschen Göre hinwegzusehen bereit ist. Doch das freundliche Bildnis der mädchenhaften Kaiserin bekommt bald Risse, verzerrt sich sodann vorerst noch schleichend, weiters aber ziemlich rasch zur hässlichen Fratze. Dabei ist Messalina selbst noch fast ein Kind - ein verdorbenes Kind. Verdorben von allem Anfang an oder doch nur heroisch in der Einforderung ursprünglicher Lebensrechte? Geradlinig bestialisch und darin zugleich selbst bestimmend, so und das ist Messalina. Eine eben höchst fragwürdige und in ihren sittenwidrigen Bestrebungen nicht einmal irgendwie widersprüchliche, weil unbeirrt zielstrebig und weder außer noch inner ihrer Selbst einen Widerspruch duldend, jedenfalls jedoch eine faszinierende Frauengestalt, die sich ihr Lebtag lang nicht auf ein Heimchen reduzieren lässt. Wahrlich - Messalina verkörpert ein gar selbstbewusstes Sein jenseits von Gut und Böse. Amoralisch und unverschämt lustorientiert, keiner sozialen Disziplin hörig noch zugehörig - eine souveräne Einzelexistenz, die in ihrem stetigen Streben nach Eigentlichkeit (bei weniger wohlwollender Verhaltensdeutung: nach Selbstherrlichkeit) kaum noch erblüht schon wieder vergehen sollte. Messalina, verstrickt in politische Intrigen, stirbt im Roman so wie in ihrem geschichtlich überlieferten Leben eines gewaltsamen Todes. Ihr Leben währte nur kurz, wie es uns ein Blick auf die chronologischen Eckdaten ihrer Lebensspanne (25 bis 48 n. Chr.) vergewissert. Ganz wie im Leben der schönen Messalina obsiegt auch im Roman das Grauen über jeden Bedarf nach einem entspannten Ausgang des letztlich dramatisch übersteigerten Geschehens. Den Abschluss ihres Wirkens im Zentrum römischer Macht krönt ein Blutbad. So will es die Treue zur Historie, welche Obermeier Vorlage und Verpflichtung zu seinem Erzähltext ist.

Nun ist es bestimmt nicht Siegfried Obermeiers erklärte Absicht gewesen, das Scheusal, welches Messalina nun einmal ist, nachträglich und entgegen der faktischen Kriminalgeschichte ihres kurzen Lebens zu rehabilitieren. Keine Frage, die Römerin patrizischen Standes war nicht arm an krimineller Energie, ihre grausamen Neigungen verbargen sich auf fatale Weise unter einer einnehmenden Oberfläche weiblichen Liebreizes, womit ihr ein Instrument zur Betörung und Aufmunterung männlicher Erkenntlichkeit zu eigen war, mit Hilfe dessen sie so manchen Getreuen zum Verrat an seinem Heiligsten verleitete, doch wird es dem aufmerksamen Leser (trotz allen Grams über ihren unwürdigen Charakter) nicht entgehen, dass sich Messalina im Grunde genommen allenfalls nicht anmaßt, Abartigeres für sich zu verlangen und mehr der Schändlichkeiten zu tun, als es ihre männlichen Zeitgenossen ebenso und ganz selbstverständlich in ähnlicher Manier immer schon zur lieben Gewohnheit haben. Mit dem einzigen Unterschied, dass deren Laster und Verbrechen ihnen zur Ehre gereichen, weil sie ihnen nach dem Dafürhalten männlicher Betrachtungs- und Urteilsweisen als kultivierte Lebensart, als Manifeste von Stärke und Umsichtigkeit in der Ausübung von Herrschaftspositionen ausgelegt werden. Die Spielregeln von Liebe, Lust und Macht sind männlich definiert und für männliche Bedürfnisse reserviert. Messalina stellt diese Sexualordnung auf den Kopf, wenn sie sich kurzerhand den Mann zum Objekt ihrer Bedürfnisse erwählt, nicht zuletzt auch zum Objekt und gelegentlich zum Opfer ihrer sexuellen Lüsternheit, ihn dabei ihrem Herrscherwillen unterwirft, ihn notfalls züchtigt, wenn er noch zögert, also ihn unter Anwendung erpresserischer Drohungen oder blanker Gewalt dem Feuer in ihrem Schoß gefügig macht. Meistens fallen der Schönen ihre Gespielen jedoch wie Herbstlaub zu - lediglich verunsichert ob ihres hohen Standes, ob ihrer vulgären Grobheit in anmutender Gestalt und ihres unverhohlenen Willens zur Macht.
Schon als kaum zur Fraulichkeit gereifter Backfisch sitzt Messalina beim Geschlechtsakt gerne oben auf - und bevorzugt diese Stellung in weiterer Folge für alle Lebenslagen. Sie ist der Herr und der Mann ihr Knecht. Wenn in religiösen Schriften dann immer wieder aus vorgeblichem Gottesmunde zur Verlautbarung kommt, das Weib sei dem Manne untertan, so kehrt Messalina dieses Herrschaftsverhältnis kurzum in sein Gegenteil. Messalina ist letztlich nicht nur die Versinnbildlichung eines zur Entfesselung geratenen weiblichen Kriminals, sondern sie verkörpert ebenso eine Spielart weiblichen Aufruhrs gegen die männliche Ordnung des Lebens - gegen Gesetz und Moral dieser Ordnung, deren Verlogenheiten sie aufdeckt, mit Raffinesse für ihre Zwecke instrumentalisiert und welcher sie schlussendlich nach Kräften zuwiderhandelt.

Man könnte gegen Siegfried Obermeiers Roman einwenden, dass die handelnden Figuren etwas zu grob und oberflächlich skizziert sind, einander darin sehr gleichen, als Gleiche unter allzu Gleichen agieren, die sich, was sich insbesondere im Zuge von Dialogen bemerkbar macht, in ihrer Sprechweise so sehr ähneln, als ob sie einer wären, und mangels Auslotung ihrer seelischen Tiefen bloße Rollenspieler im Rahmen einer unzweifelhaft spannenden Handlung sind, wobei in jedem einzelnen Fall die Herkunft des besonderen - in der Regel zweifelhaften - Charakters im Dunklen verbleibt und somit als quasi gegeben hinzunehmen ist. Dieser einzuwendende Mangel stimmt unzufrieden und mag bei voreiliger Betrachtung sogar berechtigt sein, denn warum Messalina so ist, wie sie ist, lässt sich aus der Darstellung ihrer Person kaum erahnen und auch nach der Lektüre bestenfalls als Ausbund einer dekadent aristokratischen Lebensart deuten, welche so ganz mit dem Klischeebild einer verfallenden Großmacht übereinstimmt, die an ihrem menschlichen Grundgerüst siech geworden ist, doch leitet sich aus diesem Befund beiläufiger Charakterisierungen nicht wirklich eine Schwäche des Buches ab, zumal nämlich die spekulative Vertiefung historischer Personen sowieso eine höchst heikle Angelegenheit wäre, die falls umgesetzt mehr Schaden denn Nutzen anrichten könnte. Im Großen und Ganzen weiß man sich als Leser mit dieser Messalina gut bedient. Es ist eine Messalina, welche, als Nachdichtung eines abenteuerlichen Lebens zur Romanfigur verdichtet, unterhaltsam ist, über ihre Bedeutsamkeit dem historisch Interessierten ein Stück julisch-claudische Familiengeschichte näher bringt - von Caligula über Agrippina bis zu Nero (ersterer ist im Roman als tragende Handlungsfigur vertreten; Agrippina als Rivalin Messalinas sowieso; ihr Sohn Nero tritt im Epilogus in Erscheinung) - und darüber hinaus den Grübler ob der weiblichen Rollenbilder in einer männlich bestimmten Welt nachdenklich stimmt.

Anschließend an die Lektüre von Obermeiers Buch drängen sich dem von der packenden Handlung des soeben erlesenen Kriminalromans noch aufgereizten Leser fast zwangsläufig Fragen zum Wesen der Frau - zur Bestimmung alles Weiblichen in Menschengestalt - auf und solcherart nicht nur zum besonderen Charakter der Messalina, deren grenzgängige Originalität lediglich Anlass zu weiterführenden Reflexionen allgemeinerer Natur sein kann. So zu sprechen, nämlich von den Schandtaten einer Ruchlosen auf das allgemeine Wesen der Frau schließen zu wollen, das mag nun provokant anmuten, doch ließ der Rezensent schon weiter oben anklingen, dass er in Messalina nicht einfach nur eine ordinäre Kriminelle sieht, sondern einen Menschen, einen weiblichen Menschen, voll des unersättlichen Hungers nach Leben, der es sich kraft seiner gesellschaftlichen Stellung auch leisten kann sein Verlangen zu stillen und hierbei weder Kompromisse eingeht noch Konsequenzen scheut. Worüber sich dann eben die Verleitung zur kriminellen Konfliktlösung anbietet. Obermeiers Messalina erstaunt den Betrachter ob ihres souveränen bzw. verächtlichen Umgangs mit Sitte und Moral, virtuos bedient sie sich der Möglichkeiten, welche sich ihr über ihre Machtstellung offerieren, eheliche Pflichten und weibliche Treue sind ihr genauso wenig Tabus, wie die mütterliche Fürsorge um ihre beiden Kinder eine Verpflichtung. Pflichtvergessen entfremdet sie sich ihrer Familie, lebt von den Ihren fern, selbstvergessen und versunken in der wechselnden Umarmung durch erwählte Liebhaber. Messalina ist ganz ICH - ihre Lebensethik ist praktizierter Individualanarchismus. Um ihr Lustvermögen voll auszukosten, um den Mann als Gespielen und Knecht ihres Verlangens zu erforschen, scheut sich die junge Kaiserin nicht - bei längerer Abwesenheit ihres angetrauten Mannes (des Kaisers von Rom) - insgeheim ins Bordell zu übersiedeln, um dort inkognito das Leben einer Hure zu führen, lockt und zwingt aber auch als kaiserliche Herrin Männer ihres Gefallens zum Beischlaf, um sie darüber hinaus zu Abhängigen und Sklaven ihrer Lebensgier zu machen, saugt somit über die Jahre eine Fülle von je nach Sichtweise anrüchigen oder dreisten Daseinserfahrungen in sich auf, wie sie für gemeinhin jeder anständigen Frau als unstatthaft gelten.
Ihr Leben währt solcherart nur kurz, doch ist es intensiv gelebt. Messalina ist ein leidenschaftliches Naturell, das gefährlich lebt um zu leben und sich in dieser Manier zwangsläufig zugrunde richtet. Auf ihre Weise steht sie für einen emanzipierten Begriff des Femininen, der sich nicht auf tugendhafte Kümmernis reduzieren lässt und in seiner Radikalität jeglichem Klischee sittsamer Weltversagung in weiblicher Gestalt Widerspruch und Hohn in einem ist.

Sicherlich kann Messalina ob ihrer privilegierten Stellung und ihrer skrupellosen Maßlosigkeiten wegen nicht Vorbildwirkung für jede weibliche Lebensweise beanspruchen und sollte auch nicht in diesem Sinne verkannt sein, doch gibt sie ein beredtes Beispiel dafür ab, dass Frausein nicht unbedingt und schon gar nicht gottgewollt als ein Dasein in züchtiger Selbstverleugnung begriffen werden muss. Messalina führt ihr Leben nach eigener Façon als eine nonkonforme Praxis abweichenden Verhaltens, darob man sie als geborene Hure denunziert. Ein unstillbarer und deswegen extremistischer Wille zur Lebenslust haftet ihr gleich einem Schandmal an und hat ihr für alle Zeiten ihres Andenkens das Stigma einer lasterhaften Kaiserin eingebracht, die ihrer hohen Stellung niemals würdig war. Siegfried Obermeier setzt der ketzerischen Usurpatorin weltlicher Macht ein weder wertendes noch moralisierendes aber auch nicht entlastendes Monument aus wohl zusammengefügten Worten, das es wert ist gelesen zu werden.

(Harald Schulz; 11/2004)


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