Ulrike Dembski, Alexandra Steiner (Hrsg.): "Nô Theater"

Kostüme und Masken

Das bunte Stück Erinnerung


Jeder Besuch in einem Museum endet unweigerlich bei den Verkaufstischen im Museumsshop, durch welchen die Besucher zum Abschluss geschleust werden, um ihnen nach der Präsentation des Geschauten klarzumachen, dass sie nun die letzte Gelegenheit haben, den Zauber der Artefakte in den Alltag hinüberzuretten, die Erinnerung mit nach Hause zu nehmen. Dort liegt er dann, mit seiner glänzend glatten, bunten Oberfläche, überzeugend und verlockend: der Ausstellungskatalog.

Wirklich falsch machen kann man da ja nicht viel. Soll doch der Kauf die Farben und Formen des Gesehenen möglichst schön oder vielleicht sogar noch schöner, genauer und detailreicher wiedergeben und als Bilderbuch für den kulturell Interessierten das Zuhause, vor allem die Bücherwände, zieren.
Dennoch: Wirklich gute Kataloge gibt es selten. Wenn also ein Begleitbuch zu einer Ausstellung auch noch dem Anspruch gerecht werden will, als eigenständiges Werk am Markt zu bestehen, dann sind neben wunderschönen, drucktechnisch perfekten Bildern samt den obligatorisch-korrekten Bildunterschriften, sicherlich die Texte und ein gutes Konzept von Nöten.
Bei dem Projekt, die japanische Theatertradition mit ihren religiösen Strömungen und rituellen Hintergründen zu erklären, hätte ich eine oberflächliche, unverbindliche, politisch korrekte Ansammlung von Leersätzen erwartet, wie sie typischerweise unsere Ausstellungskataloge füllen. Ich wurde diesbezüglich zu meiner Freude enttäuscht.

Ein wirklich guter Ausstellungskatalog animiert den Leser an jeder beliebig aufgeschlagenen Seite weiterzublättern, sich hineinziehen zu lassen, sich immer mehr dem Text zu ergeben und schließlich dann, wie nach dem Ende einer Reise, erschöpft und glücklich zurückzulehnen in dem Bewusstsein, ein Stück kulturellen Wissens in sich aufgenommen zu haben.

Meine persönliche Reise beginnt also so: Buchseite 40, eine aufgeschlagene Doppelseite in intensivem Rot. Links eine Maske, die mich ansieht und lächelt, bei längerer Betrachtung vielleicht aber auch sorgenvoll oder gar verzweifelt aussieht. Rechts davon in weißer Schrift: VON SEGEN SPENDENDEN ALTEN, RUHELOSEN GEISTERN UND ZU BANNENDEN DÄMONEN
Das war's, ich lasse mich hineinfallen. Nächste Seite. Ich erfahre den Zusammenhang von Berthold Brechts Gedicht "Die Maske des Bösen" und dessen Besitz von drei Nô-Masken, die ihn durch intensive Auseinandersetzung mit dem japanischen Holzwerk eines bösen Dämons zu dem Ausspruch veranlassten, "wie anstrengend es sei, böse zu sein."
Doch weiter. Ich überspringe einige Seiten und entdecke den Satz auf Seite 50: "Den Göttinnen der Mythologie wie den Göttinnen der Schönheit wird auf der Bühne des Nô zudem tatsächlich auch im wörtlichen Sinn die Krone aufgesetzt." Und wieder nimmt mich der Text kurz gefangen. Was haben Göttinnen in der japanischen Mythologie zu suchen? Doch ich stoße nur wieder auf Brecht und eine Maske, die diesmal eine vor Eifersucht rasende und verwandelte Frau darstellt.

Verschiedene Maskentypen und Rollen werden erklärt, das schwierige Feld von Mysterienspielen wird erörtert. Ich blättere weiter zu Abbildungen von agierenden Schauspielern in prächtigen Seidenkostümen, vor dem Gesicht die vorgeschriebene Maske.

Die Stoffe im Detail bezaubern, begeistern mich. Doch wie wird so etwas Kunstvolles hergestellt? Auch dazu gibt der Band ausführlich Auskunft. Von der Herstellung der Seide bis zu den Webtechniken, alles bebildert und genau geschildert, und es fehlen auch Fotografien der schönsten Gewänder nicht. Ein Schwelgen in Farben und Formen, dazwischen immer wieder Darstellungen von Szenen aus den unterschiedlichen Schulen der Maskentanzdramen, die alle den spirituellen Weg des Menschen zum Thema haben.

Doch nun schlage ich das Buch wieder weiter vorne auf. Auf Seite 28/29: Eine unheimliche Gestalt mit roten langen Haaren und grimmiger Maske blickt mich an. Daneben Wissenswertes über die Komposition und die Inhalte der japanischen Dramen, die zur Aufführung gebracht werden.
"Das vielstimmige literarische Gebilde der Libretti verlangt nach wiederholtem Lesen, Hören, Ertasten, der kryptische Text öffnet sich nur allmählich."
Ich bin geschafft und klappe das Buch endgültig zu. Es wird aber sicherlich nicht meine letzte Reise durch diesen Katalog sein. Einen Augenblick sinniere ich noch über die unzähligen, kreativen menschlichen Ausdrucksformen nach und wünsche mir plötzlich, ein Nô Theater zu besuchen, von dem ich bislang keine Ahnung hatte, dass es existiert.

Die Herausgeberinnen: Dr. Ulrike Dembski, geboren 1948, Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien, seit 1981 Kustodin im Österreichischen Theatermuseum, zahlreiche Ausstellungen im In-und Ausland wie z. B. "Harlekin", "Teatro", "Oskar Werner".
MMag. Alexandra Steiner, geboren 1971, Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Von 1998 bis 2002 beim Kunsthistorischen Museum Wien, seit 2003 Mitarbeiterin des Österreichischen Theatermuseums.

(Helga Hiebl; 10/2003)


Ulrike Dembski, Alexandra Steiner (Hrsg.): "Nô Theater"
Mit Beiträgen von: Monica Bethe, Ulrike Dembski, Ken Kirihata, Stanca
Scholz-Cionca, Akira Yamaguchi, Kitagawa Zentarô, Günter Zobel.
Christian Brandstätter, 2003. 176 Seiten, mit ca. 160 Farb-Abbildungen.
ISBN 3-85498-288-7.
ca. EUR 39,90. Buch bestellen