Pierre Bayard: "Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat"
Mut
zur Lücke entwickeln
Wenn ein Literaturprofessor öffentlich zugibt, eine Reihe von
Büchern nicht
gelesen zu haben, die der gängigen Meinung zufolge zur
Allgemeinbildung gehören,
ist das verblüffend genug. Pierre Bayard geht noch ein, zwei
Schritte weiter,
indem er aufzeigt, wie man sich aus peinlichen Situationen befreien
kann, die
sich ergeben, wenn man sich genötigt sieht, über
nicht gelesene Bücher zu
sprechen.
Denn, so Bayard, wer behauptet, ein Buch gelesen zu haben, befindet
sich auf dünnem
Eis. Was heißt schon "gelesen"? Wer liest ein Buch Seite
für Seite,
Satz für Satz, Wort für Wort? Gilt "quer gelesen" als
gelesen? Gilt
"gelesen, aber im Wesentlichen wieder vergessen" als gelesen?
Daher unterteilt Bayard das Nichtlesen in vier verschiedene Kategorien
und erläutert
jede von ihnen anhand eines klassischen Beispiels aus der Literatur.
Denn das
Nichtlesen ist bereits für Autoren wie Musil
oder Paul Valéry ein interessantes Thema.
Nachdem der Leser sich nun also über das Nichtlesen von
Büchern informiert
hat, erfährt er, wie er sich in unterschiedlichen
Gesprächssituationen
behaupten kann, in denen von ihm Äußerungen zu einem
nicht gelesenen Buch
erwartet werden. Im letzten Abschnitt empfiehlt der Autor innere
Haltungen,
mittels derer man in solchen Situationen bestehen wird. Das Nachwort
fasst die
zentralen Gedanken des Buchs zusammen, und der Autor bricht eine Lanze
für
einen weniger verkrampften Umgang mit "Weltliteratur" und mehr
schöpferische
Eigeninitiative.
Wer es gewohnt ist, Bücher mehr oder weniger intensiv zu
lesen, mag sich von
Bayards Ausführungen zunächst durchaus auf den Arm
genommen fühlen, auch wenn
man ihm von Anfang an intuitiv recht gibt: Es existiert keine
Definition dafür,
was es heißt, ein Buch gelesen zu haben - oder nicht. Und in
der Tat kennt
jemand ein Wort für Wort gelesenes Buch nicht unbedingt besser
als jemand, der
sich anhand von ausgezeichneter Sekundärliteratur
über das Buch informiert hat
und daher mit dem Inhalt, aber auch mit dem literaturhistorischen
Kontext
vertraut ist. Immerhin bilden sich unsere Leser anhand unserer
Rezensionen eine
Meinung über die auf www.sandammeer.at besprochenen
Bücher, ohne sie
selbst
gelesen zu haben. Schließlich können sie
sich darauf verlassen, dass die
Rezensenten die Bücher sozusagen für sie gelesen
haben, zumindest so lange,
bis ein Buch mit dem Titel "Wie man Neuerscheinungen rezensiert, die
man
nicht gelesen hat" erscheint.
Abgesehen davon, dass Bayard den ziemlich nichtssagenden Begriff
"Allgemeinbildung" aufs Korn nimmt und dem Leser die Furcht davor
nehmen möchte, als Ignorant entlarvt zu werden, weil er
manches angeblich
unabdingbar zu ebendieser Allgemeinbildung gehörende Buch
nicht gelesen hat, können
sich seine Ausführungen in mancher Situation als
überaus nützlich erweisen.
Wie der Autor aufzeigt, ist es zudem nicht unwahrscheinlich, dass das
Gegenüber
sich mit dem Gesprächsgegenstand, dem zu diskutierenden Buch,
nicht besser
auskennt als man selbst.
Bayards Buch ist allgemeinverständlich
verfasst und logisch gegliedert. Charmant, bisweilen sarkastisch und
immer mit
einem Augenzwinkern stellt der Autor sein Thema vor und wirbt
für einen
entspannteren Umgang mit der Literatur.
(Regina Károlyi; 09/2007)
Pierre
Bayard: "Wie man über Bücher
spricht, die man nicht gelesen hat"
(Originaltitel "Comment parler des livres que l'on n'a pas lus?")
Aus dem Französischen von Lis Künzli.
Antje Kunstmann Verlag, 2007. 192 Seiten.
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Pierre
Bayard, 1954 geboren, hat mehrere
literarische Essays veröffentlicht und lebt als
Literaturprofessor und
Psychoanalytiker in Paris.
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