Heinz Neckel: "Sterne über Ost und West"

Schul- und Studienzeit eines Astronomen. 1937-1956


Abenteuerlicher Werdegang in einer bewegten Zeit

Den Weg zu einem ungewöhnlichen Beruf findet man wohl fast zwangsläufig auf ungewöhnliche Weise, insbesondere in schwierigen Zeiten des Umbruchs und Mangels.
Heinz Neckel beschreibt den Beginn seines Werdegangs als Astronom: Zunächst erlebte der 1930 geborene Autor seine Kindheit wie viele seiner Zeitgenossen. In Rostock geht der Nationalsozialismus im Großen und Ganzen an dem Jungen und seiner Familie vorbei, auch wenn die nicht ganz systemkonforme Familie auf der Hut sein muss. Kinderlandverschickung, Ernteeinsätze, Bombennächte im Keller, der vergebliche Versuch, der russischen Besatzung zu entgehen, und schließlich im Haus einquartierte russische Offiziere; die Dramatik der Kriegsjahre gehört zu solchen Biografien.
Zu Weihnachten 1944 bekommt Heinz’ siebenjähriger Bruder ein kleines Fernrohr, das aber aufgrund seiner schlechten Qualität den Jugendlichen nicht fesseln kann. 1946 schenken ihm Bekannte Linsen aus einem Kosmos-Bausatz mit der Anregung, daraus ein Fernrohr zu bauen. Trotz mangelnder Fachkenntnis gelingt es ihm mithilfe eines Papprohrs, und das Gerät erweist sich als tauglich für die Beobachtung von Details der Mondoberfläche.
Heinz ist auf den Geschmack gekommen. In der Folgezeit optimiert er das Gerät. Da es kaum etwas zu kaufen gibt, muss er stets improvisieren. Unter anderem wird ein Staubsaugerrohr als Zwischenstück einbezogen. Weitere Bauteile besorgt er sich mit einem Vetter in einem ehemaligen Luftwaffen-Zeuglager. Die ganze Familie lässt sich von der Begeisterung anstecken und ersteht mühsam Fachliteratur, damals schon aufgrund der Papierknappheit Mangelware; die selbst gebauten Fernrohre werden immer größer. Die russischen Offiziere im Haus krönen ihre feucht-fröhlichen Partys durch astronomische Beobachtungen und tragen zum Budget bei. In der Schule gelingt es Heinz durch die Zusammenarbeit mit einem Mitschüler, mit seinem entsprechend umgerüsteten Fernrohr scharfe Fotos der partiellen Sonnenfinsternis von 1949 zu erzeugen.
Da Heinz nicht in die FDJ eingetreten ist, bekommt er nur mit Glück einen Studienplatz in Rostock und anschließend in Jena. Auf Dauer kann er sich mit dem politischen System nicht recht anfreunden. Deshalb flieht er in den Westen, nach Heidelberg. Dort trifft er völlig mittellos und zunächst ohne Wohngelegenheit ein, aber immerhin hat er einen Studienplatz. Mit verschiedenen Jobs, zunächst in der Industrie, dann an der Sternwarte, sowie Stipendien schlägt er sich tapfer durch und absolviert sein Studium mit Begeisterung, nicht zuletzt dank bekannter und kompetenter Lehrer, die ihn unterstützen und fördern. Das Buch endet mit Heinz Neckels Promotion und seinem Aufbruch zu einem einjährigen USA-Aufenthalt.

Für Neckels Altersgenossen ist es bewundernswert, für Jüngere unvorstellbar, mit welcher Beharrlichkeit und ungebrochenen Begeisterung der junge Mann allen Widrigkeiten zum Trotz - Mangel der Nachkriegszeit, ein ungeliebtes, keineswegs ungefährliches politisches System, im Westen schließlich totale Armut - sein faszinierendes Steckenpferd zum Beruf macht. Der Autor schildert diesen Ausschnitt seiner Biografie ohne Sentimentalität und ohne zu moralisieren, dafür jedoch sehr unterhaltsam und mit einem Schuss charmanten Humors - es macht ganz einfach Spaß, dieses Buch zu lesen. Nebenbei erfährt man einiges über den Kriegs- und Nachkriegsalltag in Rostock und Umgebung sowie über Westdeutschland zu Beginn des Wirtschaftswunders und natürlich über die Astronomie und ihr geläufigstes Hilfsmittel, das Fernrohr. Fachwissen ist für die Lektüre nicht notwendig: Zum einen kann man bei mangelndem Interesse die kurzen wissenschaftlich-technischen Exkurse auslassen, ohne im Lesefluss zu stocken, und zum anderen gibt es am Ende des Buchs ein gut gestaltetes Glossar. Persönliches Foto- und Dokumentenmaterial ergänzt die im Text niedergelegten Erinnerungen des Autors.
Eine spannende, ungewöhnliche Autobiografie, die sich als Lektüre für jede Altersklasse anbietet, sicher auch im Schulunterricht!

(Regina Károlyi; 07/2006)


Heinz Neckel: "Sterne über Ost und West"
Zeitgut Verlag, 2005. 123 Seiten.
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