Sigrid-Maria Größing: "Die Liebschaften Napoleons"

"Er war nicht schön und nicht galant, viel zu ernst und doch charmant."


Napoleon war nicht zum Liebhaber geschaffen. Von eher unattraktiver Erscheinung, einsilbig und schüchtern im Umgang mit Frauen, zudem nachlässig, was Körperpflege und Kleidung betraf, war der Korse in jungen Jahren kaum nach dem Geschmack liebeshungriger Mädchen. Auch beliebte es ihm, ausgelassene Geselligkeiten zu meiden, er tanzte nicht und wenn dann schlecht, und hing stattdessen, in den kargen Räumen seiner ärmlichen Unterkunft verweilend, philosophischen Gedanken nach. Selbst in späteren Jahren, als die Schönsten der Schönen, von hoher Geburt, um seine Gunst buhlten, war ihm kein leidenschaftlicher Romeo zu entlocken. Sein Begattungsverhalten beleidigte eine jede Frau, die sich ihm schenkte. Und doch sollte ihm in seinem späteren Leben die wonnevolle Erfahrung gegeben sein, hingebungsvoll geliebt zu werden. Zumindest spricht nach den Darstellungen von Größing so einiges dafür, dass die schöne Marie Walewska, ein edles Geblüt aus Polen, dem charismatischen und in seinem Werkschaffen genialen Kaiser der Franzosen in aufrichtiger Liebe zugetan gewesen sein könnte.

Eine Biografie aus der Perspektive sinnlichen Verlangens zu schreiben, ist zwar nichts Ungewöhnliches, doch gerade in Verbindung mit Bonaparte ein heikles Unterfangen. War dieser doch weder ein Genussmensch, noch hatte er Sinn und Verständnis für romantisches Liebesgeflüster. Insofern stellt sich ernsthaft die Frage, ob sich ein Herrscher vom Schlag eines Napoleon, dessen größte Leidenschaft es war, das Antlitz Europas nach seiner Vision zu formen, über ein Porträt seiner Liebschaften auch nur annäherungsweise beschreiben lässt. Kann dem Versuch, Napoleon von einer ganz privaten Seite zu zeigen, über die Darstellung der Verhältnisse zu seinen beiden Ehefrauen und einer Reihe von Mätressen ein Erfolg beschieden sein? Was konnten Frauen diesem eigentlich kaltschnäuzigen Mann überhaupt bedeuten? Waren sie ihm denn jemals mehr als ein beiläufiges Vergnügen? Gerade einmal gut genug, um den zwischenzeitlich verspürten Triebstau biologisch korrekt zu entladen? Immerhin zeigte sich Napoleon gegenüber seinen  wohl allemal mehr oder minder unbefriedigten Gespielinnen als großzügiger Liebhaber. In finanzieller Hinsicht nämlich. Doch dieses sei vorerst nur nebenbei erwähnt. Woran er sich sättigte, das behandelte er artig. Womit über die Person doch schon einiges ausgesagt ist.

Die Idee einer Begegnung mit dem intimen Wesen Napoleon Bonapartes gewinnt an Substanz über die Darstellung seines Bestrebens, eine Erbdynastie zu begründen. Ein Unterfangen, das, wer wollte es bezweifeln, ohne Frau nicht vonstatten gehen kann. Als neuzeitlicher Kopfmensch war Napoleon es gewöhnt, Probleme vermöge seiner Verstandeskraft aus der Welt zu schaffen. Eine Praxis rationaler Weltbeherrschung, die an ihre Machbarkeitsgrenzen gelangte, als sich die Unfruchtbarkeit seiner um rund sechs Jahre älteren ersten Ehefrau, Josephine Beauharnais (1763-1814), immer mehr zur unleugbaren Tatsache verdichtete. In den Darstellungen der Historikerin Größing wird anschaulich, wie die Zweifel an der eigenen Zeugungsfähigkeit - immerhin war Josephine schon zweifache Mutter, als sie Napoleon ehelichte - über die Erfahrungen mit der Empfängnisfreudigkeit jüngerer Konkubinen schwindet. Napoleon, zuletzt Vater von (mindestens) zwei unehelichen Kindern, verstößt schlussendlich sein schon vor der Zeit unfruchtbar gewordenes Weib, ehelicht die blutjunge Habsburgerin Marie Louise, welche ihm dann auch gleich den jahrelang vergeblich ersehnten Sohn gebiert. Man mag ob des Verhaltens Napoleons empört sein, der seine niemals ganz erloschene Zuneigung zu Josephine kalt berechnend der Staatsräson opferte, doch sah der innerlich zum Aristokraten gewandelte bürgerliche Aufsteiger für sich keine andere Wahl, als herzlos zu handeln. Das dynastische Denken obsiegte über den Anstand des Herzens, doch immerhin ist der von Vaterfreuden beseelte Napoleon nun auch erstmals an der Seite der jungen Marie Louise zum häuslichen Ehemann gewandelt. Man könnte fast meinen, dass er seinem ihm angetrauten Weib, Marie Louise, der Mutter seines Thronerben, dem König von Rom, in ungeteilter Liebe zugetan war. Denn wie Größing darstellt, erstmals lebt Napoleon einen Begriff von Liebe, der auch die Tugend ehelicher Treue mitumfasst. Ein völlig neuer Aspekt in der sexuellen Lebenspraxis des allmächtigen Herrn Europas, der bis dahin nie gescheut hatte, jene
süßen Früchte zu verkosten, die ihm allerorts nur zu bereitwillig dargereicht worden waren. 

Noch vielsagender über den Charakter Napoleons sind die gelegentlichen Andeutungen Größings zu seiner Sexualmoral. Diese stellt sich im Grunde als eine rigorose Empfindung von bürgerlicher Sitte und Anstand dar. Und solcherart als blanke Doppelmoral, denn keineswegs war der Empereur selbst bereit, jene eheliche Treue, die er von seiner ersten Ehefrau, Josephine, ganz selbstverständlich einforderte  - sie vergnügte sich immerhin ziemlich ungeniert mit dem schönen Hippolyte - auch seiner Person aufzuerlegen. Hiermit sich das Geschlechterverhältnis im postrevolutionären Frankreich am Beispiel des ersten Paares im Staat als repressives Herrschaftsverhältnis darstellt, denn, wenn es auch die ungebrochene Gepflogenheit wohlhabender Herren von Welt und Rang war, eine Mätresse zu unterhalten, so gestand der sich aufgeklärt gerierende neuzeitliche Geist umgekehrt dem angetrauten Weibe dergleichen keineswegs zu. Die Tugend des Weibes ist ihre Treue, und sollte der Ehemann selbst ein Wüstling sein.
Konsequent in seiner kleinbürgerlichen Auffassung von Moral missbilligt Napoleon lasterhafte Umgangsformen. Außenminister Talleyrand wird ultimativ die Verehelichung mit seiner Lebensgefährtin anbefohlen, ansonsten im vorgeblich sittenstrengen Regime des Korsen für ihn kein Platz mehr wäre. Ein in seiner Züchtigkeit unzeitgemäßes Regime übrigens, vielleicht eine erste Ankündigung der Prüderie des angehenden Jahrhunderts, denn wie die von Größing verfassten Kurzbiografien der Geliebten nur zu deutlich darlegen, als auch insbesondere die Lebensbetrachtung von Josephine es anschaulichst illustriert, welche Napoleon immerhin während eines Besuchs des bekanntermaßen ebenso frivolen wie anrüchigen Salons der Madame Talliens kennen und begehren lernte, war es durchaus noch allgemein der Brauch, sich ohne allzu viel Bedenken dem Sinnenrausch anheimfallen zu lassen. In der Tat, ein großartiges Sittengemälde jener Zeit tut sich da vor dem Leser auf, opulent und brünstig, inmitten dessen der erste Bürger seiner Nation, zum Kaiser einer Republik gewürdigt, das Leben eines hart arbeitenden Asketen führt, dem der Sexus mehr ein Zwischendurch denn eine Hauptsache ist. Die Frauen freilich, die spielen ihr Spiel mit ihm, ebenso fasziniert von seinem spröden Charisma, wie von seiner Machtfülle als erster Mann Europas. In ihrem Tun und Lassen offenbart sich durchaus ein bewusstes weibliches Streben nach Emanzipation, denn die Damen, welche zum Porträt gebracht sind, wussten sich sehr wohl mit List und Tücke ihrer sinnlichen Reize zu bedienen. Und allemal Profit daraus zu schlagen. Der gehörnte Ehemann ist denn da auch eher der Regelfall, als die Ausnahme von der Regel.  

Wie sehr die Praxis sexueller Ausschweifung und die Korrumpierung postulierter Moral einander bedingen, ersieht man aus der bereits erwähnten Großzügigkeit Napoleons gegenüber seinen Gespielinnen, was im Grunde einen massiven Missbrauch seiner herrschaftlichen Stellung umreißt. In chronologischer Abfolge lässt Größing die Liebschaften des Kaisers der Franzosen, grob gefasst ein volles Dutzend Damen, am inneren Auge des Betrachters vorbeiparodieren. Wobei immer wieder ein und dasselbe Reaktionsmuster zu Tage tritt. Die zuletzt abgelegte Geliebte wird von ihrem fürsorglichen Ex-Geliebten mit einem ansehnlichen Ehepartner versorgt, welcher sodann kometenhaft zu hohen Ämtern und Würden aufsteigt. Und so stellt sich das Sexualleben Napoleons in beschämender Permanenz als Nährboden für eine zur Maßlosigkeit entfaltete Günstlings- und Vetternwirtschaft dar. Bezahlen darf es wie immer das einfache Volk über seine Steuerleistungen. Worin sich der fortschrittliche Geist Napoleons nicht im Geringsten mehr vom Ungeist jener Despotie unterscheidet, den
die Revolution von 1789 hinweggefegt zu haben meinte.

Abschließend darf zugestanden werden, dass die Autorin Größing ihrem Anspruch, Napoleon von einer ganz privaten Seite zu zeigen, durchaus gerecht werden konnte. Der Leser erfährt von der - obgleich oft doch nur zögerlichen - Suche des Franzosenkaisers nach Liebe und von seinem gelegentlichen Schmerz über die Enttäuschung, dabei so gut wie fast nie wirklich fündig zu werden. Es war wohl vor allem die Erotik der Macht, die ihn, den Unbegehrlichen, begehrlich erscheinen ließ. Napoleon eroberte zwar ganze Ländereien, doch die Herzen der Frauen, die eroberte er nicht. Lediglich mit ihren Körpern durfte er sich vergnügen; was er sodann auch regelmäßig, obgleich mit geringem Geschick, tat. Denn der Körper der Frau war ihm kein Gebet wert. Und doch ist die Zahl seiner Mätressen Legion, die um Seinetwillen ihr junges Eheglück zerstörten, so etwa die bezaubernde Pauline Fourès, oder jene, welche, so wie die Gräfin Walewska, ihr Ehegelübde verrieten, um eine Zeit lang des Kaisers Buhle zu werden. Dem allmächtigen Kaiser von eigenen Gnaden wollte eine jede Frau einmal zu Eigen sein. Was dann wohl zugleich sein Glück wie Elend war, weil liebenswert war er ihnen deswegen noch lange nicht. Insofern Größings amouröse
Napoleon-Biografie, nebst der minutiösen Chronologie von Liebesabenteuern, sexuellen Verstrickungen und seines Ehestands, zugleich die Beschreibung der Tragik eines großen Lebens ist, das weit über den Durchschnitt hinausragte und dabei doch, in seinem allermenschlichsten Verlangen, klein und unbedeutend blieb. 

Sigrid-Maria Größing, geboren in Sulzbach-Rosenberg/Bayern, studierte Geschichte und Germanistik in Wien und Salzburg. Mehrere Veröffentlichungen, vor allem auf dem Gebiet der Geschichte des Hauses Habsburg, machten die freie Schriftstellerin und Mutter zweier erwachsener Kinder einem größeren Leserkreis bekannt.

(Harald Schulz; 10/2003)


Sigrid-Maria Größing: "Die Liebschaften Napoleons"
Ueberreuter, 2003. 200 Seiten.
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