Kiran Nagarkar: "Ravan & Eddie"
Im Indien der 1950er Jahre siedelt
Kiran Nagarkar seine aberwitzige Geschichte um die beiden Burschen Ravan, Sohn
aus einer Hindu-Familie, und Eddie, einen portugiesisch-stämmigen Katholiken aus
Goa, an. Beide wohnen mit ihren Familien im selben Chawl, einem großen
fünfstöckigen Mietshaus voller Menschen unterschiedlichster Herkunft, in Bombay,
jener Stadt, in der auch der dort 1942 geborene Autor lebt und an seinen
Romanen, Theaterstücken und Filmdrehbüchern arbeitet.
Den Durchbruch schaffte Nagarkar mit seinem ersten Roman "Sieben mal
sechs ist dreiundvierzig", der zu einem beachtlichen Erfolg wurde.
Auch die turbulente Geschichte von Ravan und
Eddie spielt im postkolonialen urbanen Indien und erzählt auf skurrile, manchmal
sarkastische und ironische Art von Schuld, familiären Verstrickungen,
verschlungenen Schicksalsbanden, Sex, Begehren, Vergnügen und
Erwachsenwerden.
Die Beziehung zwischen dem katholischen und dem
hinduistischen Buben verläuft ebenso parallel zum Geschehen im lebendigen
Mikrokosmos des Chawls, in dem die einzelnen Stockwerke von zahlreichen Familien
je nach Religionszugehörigkeit bewohnt werden, wie parallel zueinander, da sich
außer einer räumlichen Nähe kaum reale Berührungspunkte im Alltag der beiden
ergeben.
Die Geschichte von Ravan und Eddie beginnt mit einem tragischen
Unglück, das sich kurz zusammengefasst so erzählen lässt: Victor liebt auf
schwärmerische, anbetende Weise die wunderschöne Parvati, ist aber
nichtsdestotrotz bereits mit Violet verheiratet. Parvati, das Objekt seiner
Begierde, wiederum ist mit Shankarao verehelicht. Parvati weiß nichts von
Victors Liebe, denn trotz der Nachbarschaft im gemeinsamen Wohnhaus können sie
sich nicht miteinander unterhalten, weil sie ursprünglich aus verschiedenen
indischen Staaten stammen, in denen unterschiedliche Sprachen gesprochen werden.
Victor kommt aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie Goa, in der
Portugiesisch und Konkani gesprochen wird. Parvati stammt aus
Bombay, ihre
Muttersprache ist Marathi. Beider Familien leben in Bombay in einem der
Chawls.
Als seine Frau Violet mit Eddie schwanger ist, stirbt Victor bei
der Rettung des kleinen Sohnes von Parvati, Ravan. Dieser wird von der
entsetzten Violet voller Hass als Mörder verflucht.
Mit der Geschichte
der beiden einander hassenden Buben Eddie und Ravan erzählt Kiran Nagarkar jenen
Teil indischer Geschichte, in dem eine multikulturelle Gesellschaft das
Zusammenleben am riesigen Subkontinent häufig nicht friedlich schaffte. Da
beschreibt er die Strömung der nationalistischen Hindubewegung, jener radikalen
Vereinigung, der sich der katholische Eddie heimlich anschließt, ebenso
eindringlich wie die Konfusion in den Seelen und Herzen der Menschen, verursacht
durch dogmatische religiöse Richtungen.
Sein Exkurs der knappsten aller
Darstellungen des portugiesischen Abenteuers in der Alten Welt zeigt seine
brillante Fähigkeit der historischen Analyse auf humorvolle Weise.
Auch die
Darstellung der komplexen familiären Verstrickungen gelingt ihm auf
herausragende Weise, nie ohne kritische Seitenblicke auf gesellschaftliche
Konventionen und deren Auswirkungen auf Individuum und beteiligte
Personen.
Nagarkar begleitet die Lebenswege von der vorgeburtlichen Zeit der beiden Protagonisten
bis in die turbulenten Tage als hormongeplagte Jugendliche um die Zeit der Reifeprüfung.
Bollywood beeinflusst das Leben mindestens genauso
wie althergebrachte Traditionen und die starken Bande familiärer Verpflichtungen.
Am Ende, knapp 400 Buchseiten weiter, kommt es zur großen Begegnung der beiden.
Der Reigen schließt sich, und ein wunderschönes Buch ist zu Ende gelesen. Schade.
(Gabriele Klinger; 01/2005)
Kiran Nagarkar: "Ravan & Eddie"
Aus dem Englischen
von Giovanni und Ditte Bandini.
A1 Verlag, 2004. 395 Seiten.
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Kiran Nagarkar wurde 1942 in Indien
geboren. Der zweisprachige Autor - er schreibt in Marathi und Englisch -
veröffentlicht Romane, Theaterstücke und Filmdrehbücher. Nach Erscheinen seines Romans "Krishnas Schatten"
(Originaltitel "Cuckold") wurde Kiran Nagarkar im Jahr 2000 die höchste
Anerkennung der indischen Literaturakademie, der "Sahitya Academy Award",
verliehen.
Weitere Bücher des
Autors:
"Krishnas Schatten"
Das rajputische Mewar befindet sich
auf dem Gipfel seiner Macht und ist in kriegerische Auseinandersetzungen mit den
Sultanaten von Delhi, Gujarat und Malwa verstrickt. Und auch in Mewar selbst
wütet ein tödlicher Kampf: Wer wird nach dem Tod des Herrschers den Thron
besteigen? Es zeichnen sich Geschehnisse ab, die den Gang der Geschichte ganz
Indiens für immer verändern werden.
"Krishnas Schatten" erzählt die
Geschichte des Maharaj-Kumar, dem Kronprinzen dieses nordindischen Königreiches
zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Im Zentrum stehen das Leben des Prinzen und
seine schamlose Liebe zu seiner Frau
Mirabai, die sich einem anderen versprochen
hat. Dieser Liebhaber ist der leichtfertige und betrügerische Gott Krishna, der
manchmal auch als politisches Alter Ego des Maharaj-Kumar aufblitzt.
Die
Geschichte nimmt den Leser auf, unabhängig von Vorwissen und
Orientierungsmöglichkeit. Sie zieht ihn hinein in die mittelalterliche
Rajputenwelt und lässt ihn staunend teilnehmen - man versteht, weil man
miterlebt.
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"Sieben mal sechs ist dreiundvierzig"
"Sieben mal sechs ist dreiundvierzig" (Originaltitel "Saat Sakkam
Trechalis"), der erste Roman von Kiran Nagarkar, dem "wohl
bedeutendsten unter den in Indien lebenden Prosaautoren" (Ilija
Trojanow), wurde als Meilenstein der indischen Literatur nach der Unabhängigkeit
gefeiert.
Ob wir Häuser bauen, Freunde gewinnen, Kontinente durchqueren, uns verlieben,
nur um noch einsamer zu sein oder aber um der Einsamkeit zu entfliehen - ist das
die Bestimmung des Menschen? Kushank, der Protagonist des Romans, ein junger
Mann aus Bombay
versucht darauf eine Antwort zu finden, indem er sich fragt: Wo liegt der
Unterschied?
Obwohl er auf der Suche nach seiner Identität alles Andere als nur positive
Erfahrungen macht, sieht er eher die komische Seite in Armut, Krankheit und Tod,
in menschlichen Beziehungen und natürlich in der Sexualität. Frauen spielen in
Kushanks Welt eine große Rolle - die launische Aroti, die erste Frau in seinem
Leben, die schöne und verletzliche Chandani, Kushanks erste Liebe, und die rätselhafte
Frau, die mit "Du" angeredet wird. Sie hat Kushank vor langer Zeit
verlassen, er sie aber nicht. Was auch immer er fühlt, denkt und erlebt, er erzählt
ihr alles, obwohl sie ihm schon längst nicht mehr zuhört.
Wichtig für seine Suche sind aber auch die Erlebnisse mit seinen langjährigen
Freunden. Mit Raghu, einem unsentimentalen Weltverbesserer, der für eine
internationale Hilfsorganisation arbeitet. Oder mit Sadhan, Kushanks Freund aus
Benares, und der Frau, die ihren gemeinsamen Freund Ravindra mit einer Sichel
getötet hat.
Indem Nagarkar ständig neue Erzählstrategien erfindet, entfaltet er rund um
Kushank eine Vielzahl packender Geschichten. Das Komische und das Tragische, das
Brutale und das Zärtliche werden miteinander verknüpft. Dieser temporeiche und
episodenhafte Roman ist voller Humor, Ironie und Lebenshunger.
Nach der stark gekürzten englischen Ausgabe liegt mit diesem Buch erstmals eine
vollständige Übersetzung des in Marathi, Hindi und Englisch geschriebenen
Originals vor. (A1 Verlag)
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