Dietmar Grieser: "Nachsommertraum"
"Seelenlandschaft" Salzkammergut: Auf den Spuren berühmter Sommerfrischler aus der Welt der Kunst
Fünfzehn
prominente Persönlichkeiten des Kulturlebens im 19. und 20. Jahrhundert und ihr
besonderer Bezug zum Salzkammergut - einer wildromantischen Seen- und Berglandschaft
im Zentrum Österreichs - sind Gegenstand dieses Buches mit dem melancholischen
Titel "Nachsommertraum".
Persönlichkeiten, die als Klassiker des Geistesschaffens
zumeist jedermann von der Schule oder aus der Literatur her bekannt sind. Jeder
kennt ihre Werke, hingegen ihre Lebensumstände einem Großteil des kulturinteressierten
Publikums doch eher weniger vertraut sind. Die Mehrzahl von ihnen entstammte recht
ärmlichen Verhältnissen und ihre Eltern, vor allem die Mütter, mussten sich jeden
Heller der damaligen Währung vom Mund absparen um die teils erkannte, teils erahnte,
geistige Begabung des Sprösslings zur Entfaltung bringen zu können. Sie wollten,
so wie viele Eltern, dass der Sohn oder die Tochter es einmal besser haben sollte
und nicht als Knecht oder Putzfrau ihr Leben fristen müsste. Bis zum großen Durchbruch
galt es Zeiten der Verelendung zu durchschreiten und sich an den Krümelresten
zu laben, die der Kulturbetrieb dem noch unerkannten Jungtalent abwarf. Bekanntschaften
oder Zufallserlebnisse führen oft erst zum Erfolg, und so erging es auch den meisten
jener Großen und Gewaltigen, deren Glanz, aus sich verdunkelnder Vergangenheit,
in die Gegenwart herüberstrahlt.
Um der Betrübnis des Dichterelends für
wenige Tage zu entkommen, die Seele ein wenig aufzuheitern, neue Eindrücke zu
tanken, suchte man Orte auf, deren Liebreiz und Erhabenheit noch jede Schwermut,
und mochte sie noch so schwarzgallig sein, zu heilen imstande war. Und welcher
Flecken Erde eignete sich schon besser zur Wiedererlangung von Mut, Kraft und
Lebensfreude, als die Seen- und Berglandschaft des Salzkammerguts? Keiner! Für
die in diesem Buch angeführten Personen war das Gebiet des Salzkammerguts, wo
sie sich als Sommerfrischler aufhielten, jener Ort, wo sie die Inspiration oder
den Anstoß für ihr großes Werk erhielten, mit dem sie schlussendlich Weltruhm
und Unsterblichkeit erlangten.
Das Salzkammergut, mit seinem gesellschaftlichen Brennpunkt Ischl, dem späteren
Kurort Bad Ischl, war Sommerfrische und Jagdrevier des österreichischen Habsburgerkaisers
Franz Joseph,
welcher hier mit der Unterfertigung der Kriegserklärung an Serbien den ersten
Weltkrieg entfesselte, und zog als kaiserliche Sommerresidenz viele Personen
aus Politik, Wissenschaft und insbesondere aus der Kultur an. Es war ein Stelldichein
der Eliten, im Gefolge der Kaiserfamilie, inmitten einer Landschaft von berauschender
Schönheit, wie sie nicht von dieser Welt zu sein scheint. Junge Talente genossen
hier nicht nur ihren Urlaubsaufenthalt, sondern wahrten zudem ihre Chance darauf
den Reichen, Mächtigen und Feinsinnigen gefällig zu werden. Die Mehrzahl der
jungen Dichter und Denker konnte anfangs wohl nicht so feudal logieren, wie
es ihnen beliebt hätte, doch gab ihnen der beginnende Fremdenverkehr die Möglichkeit
in billigen Privatquartieren Unterkunft zu erhalten. Gerade die kargen Quartiere,
in einem Ambiente natürlichen und menschlichen Prunks, konterkarierend dazu
der Kontakt mit dem bodenständigen Bergvolk des Salzkammerguts, sowie schicksalhafte
Verstrickungen, gaben ihnen die Inspiration zu den schönsten und größten ihrer
Werke. So war für
Adalbert Stifter, dem selbst
familiäres Kinderglück versagt geblieben war, ein einheimisches Geschwisterpaar,
welches ihm Walderdbeeren zum Kauf anbot, Motiv für seine Erzählung "Bergkristall",
einer wahren Perle in seinem Schaffen, mittels welcher er der Dachsteinregion
zu höheren literarischen Weihen verhalf. In Wilhelm Kienzl reifte während eines
Salzkammergutaufenthalts die Idee zur Handlung des "Evangelimann" heran, und
ein Leo Fall fand für seinen "Der fidele Bauer" im Hinterland des Mondsees genau
jenes unverfälschte Milieu vor, das ihm für die Vertonung des von Victor Leon
vorgelegten Stoffs die nötige Muse verschaffte. Mühte er sich bis dahin vergeblich
ab, so flogen ihm nun die Noten wie von selbst zu.
Es würde den Rahmen einer Rezension sprengen, den Bezug jeder einzelnen der
im Buch abgehandelten fünfzehn Persönlichkeiten zur Welt des Salzkammerguts
bis ins Detail auszuführen, obwohl die nachwirkende Brillanz der Textsammlung
dazu verlockt mehr zu erwähnen als zulässig ist. Sowohl
Gustav
Mahler,
Jakob Wassermann, Oskar Blumenthal,
Gustav Klimt oder Theodor Billroth sowie
Carl Zuckmayer und August Strindberg
sind allesamt Personen, die jedem an Kultur interessierten Mensch etwas sagen
müssten, weshalb es einfach eine reizvolle Versuchung ist, deren Schicksalswege
in der Verflochtenheit des ihnen eigenen Kunstschönen mit dem Naturschönen in
jauchzende und womöglich allzu geschwätzige Worthüllen zu kleiden. Für alle
diese Personen ist das Gebiet des Salzkammerguts Erfüllung und/oder Wendepunkt
in ihrem jeweiligen Leben geworden. Aus den einzelnen Beschreibungen ihrer Lebensumstände
ersieht man allerdings, dass letztlich auch der Erfolg des genialen Individuums
im Regelfall ein Produkt von harter Arbeit, Entsagungen und kontemplativem Stillehalten
war, im Konkreten verbunden mit der inspirierenden Kraft fantastischer Naturschönheit.
Und, trotz des einmal erlangten Ruhmes, ist jede einzelne der gewürdigten Kulturgrößen
stets dem einfachen Mitmenschen in Demut verbunden geblieben. In dieser klassisch
anmutenden Maßhaltung mag sich wahre Größe verkünden, die so sehr mit dem stillen
Zauber des Salzkammerguts harmoniert.
Wer sich nun auf diese maßvoll illustrierte und kraftvoll ausformulierte
Wanderung durch die Welt des Nachsommertraums einlässt, verliert sich zusehends
in den Abglanz einer Epoche des Schönen, welche, da versunken und vergangen, im
Leser eine wehmütige Empfindung hervorruft. Beinahe schmerzlich erscheint es,
nach dem abschließenden Beitrag über Alexander Lernet-Holenia der vollendeten
Lektüre Adieu zu sagen. Dietmar Griesers historischer Kulturführer durch das Salzkammergut
macht ob seines unverhofften Inhaltsreichtums sprachlos, und lange noch beschäftigen
das aufgewühlte Gemüt des Lesers jene Impressionen aus fernen Tagen, die vor dem
inneren Auge wieder zum Leben erweckt wurden. Ein wertvolles Buch, sehr lesenswert.
Dietmar Grieser, 1934 geboren in Hannover, lebt seit 1957 in Wien. Er gehört dem PEN-Club an; zu seinen Auszeichnungen zählen u. a. der Eichendorff-Literaturpreis, der Donauland-Sachbuchpreis und das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.
(Dr. Hans Schulz; 07/2003)
Dietmar Grieser: "Nachsommertraum"
NP Buchverlag, 2003. 256 Seiten.
ISBN 3-85326-223-6.
ca. EUR 19,90. Buch bestellen
Ergänzender Buchtipp:
Dietmar
Grieser: "Eine Liebe in Wien"
Der Bestseller des literarischen Spurensuchers Dietmar Grieser zeigt Wien
als Schauplatz pittoresker Liebesbeziehungen. Der Zeitrahmen spannt sich vom
Fin de Siècle bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Akteure - 20 Pärchen an
der Zahl - sind allesamt Berühmtheiten der österreichischen Kulturgeschichte.
Vertrautes steht neben der spektakulären Trouvaille, Verzicht neben Erfüllung,
die Idylle neben der Katastrophe, das Capriccio neben dem Melodram.
Eine Auswahl gefällig? Richard Beer-Hofmann & Paula Lissy, Hermann Broch
& Ea von Allesch, Gustav Klimt &
Alma Maria Schindler, Rainer Maria
Rilke & Lou Albert-Lasard,
Lina Loos & Heinz Lang,
Arthur Schnitzler
& Suzanne Clauser,
Felix Salten & Ottilie Metzl,
Fritz von Herzmanovsky-Orlando
& Carmen Schulista, Egon Schiele & Edith Harms, Ludwig Ganghofer &
Kathinka Engel, Georg & Margarethe Trakl,
Stefan Zweig & Friderike Maria
von Winternitz.
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