Doris Laudert: "Mythos Baum"
Geschichte, Brauchtum, Baumporträts
Mit ihrem Buch "Mythos
Baum" hat Doris Laudert ein aktuelles Thema aufgegriffen, haben doch
Umweltverschmutzung und das Thema Baumsterben in den letzten zwei Jahrzehnten
unseren Zugang zur Natur und dem Baum als deren wichtigen Bestandteil deutlich
beeinflusst.
Auch wenn Bruder Baum in der esoterischen Literatur
Hochkonjunktur hat, liefert Laudert ein sachliches und unterhaltsames Buch, das
in drei Teile gegliedert ist.
Der erste Teil handelt von der Kulturgeschichte des
Waldes
in Mitteleuropa, den es eigentlich noch gar nicht so lange gibt. Denn nach
der letzten Eiszeit gab es nur Steppe, ähnlich der Tundra in Sibirien. Und es
dauerte eine Weile, bis die ersten
Birken
als Vorreiter Wälder schufen, die von Eichen
gefolgt wurden. Und als das Wetter wieder feuchter wurde, gelang es schließlich
der Buche, zu
einem der wichtigsten Bäume zu werden.
Laudert erzählt aber auch von der unterschiedlichen
wirtschaftlichen Nutzung des Waldes im Laufe der Zeit. War Mitteleuropa
zur Zeit
der Römer noch von dichtestem, finsteren Wald bedeckt, änderte sich das in
relativ kurzer Zeit während des Mittelalters, als viele neue Dörfer gegründet
und der Wald als Viehweide intensiv genutzt wurde. So wurden schon während
dieser Zeit die ersten Gesetze erlassen, die den Wald schützen sollten, denn
durch den Schweineaustrieb in die Eichenwälder kamen kaum noch junge Bäume auf,
und der Wald begann zu überaltern. Ein weiterer heikler Punkt wurde erreicht,
als sich in Europa die Industrialisierung durchsetzte und die Wälder als
Heizmaterial großflächig abgeholzt wurden.
Erst heute beginnt der Wald
vor allem in Österreich wieder zuzunehmen.
Der zweite Teil behandelt den Baum im Mythos, und so wird Werner Sombart zitiert:
"Aus dem Wald war alle europäische Kultur hervorgegangen, die geistige nicht
minder als die materielle". Die enge Beziehung, die sowohl
die
Kelten als auch die
Germanen zu den
Bäumen hatten, ist hinlänglich bekannt. Einerseits saß Wotan in der Weltesche
Yggdrasil, andererseits dachten sich die Menschen den Wald belebt von vielerlei,
dem Menschen recht ähnlichen, Wesen wie Satyrn, Faune, Silvane und wilden Männern.
Der Zusammenhang zwischen den vorchristlichen Religionen und Bäumen war so stark,
dass die Kirche bestrebt war, viele der heiligen Bäume entweder zu fällen oder
durch Anbringung von Heiligendarstellungen zu "bekehren". Aber ganz ohne Bäume
kommt die christliche Religion ohnehin nicht aus: der Baum der Erkenntnis, der
Ölbaum, der Palmbaum und seit einigen hundert Jahren der Christbaum, der 1539
schon im Straßburger Münster stand.
Im dritten Teil des Buches werden 40 Baumporträts vorgestellt. Kunterbunt werden
über die einzelnen Bäume wertvolle Informationen über ihre Heilwirkung, ihre
Verbreitung und Nutzungsmöglichkeiten berichtet. So erfahren wir z. B., dass
Äpfel bereits vor 6000 Jahren von Bandkeramikern in Mitteleuropa kultiviert
wurden, während man den
Apfelbaum
in Ägypten oder im alten Israel noch nicht kannte. Die Frucht, die
zur
Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies beitrug, war also mit Sicherheit
kein Apfel.
In
dieser neuen, 5. Auflage werden aber neben den Bäumen Mitteleuropas auch
mediterrane Arten und der Ginkgo dargestellt. Eine interessante Literaturliste
und ein gutes, üppiges Stichwortverzeichnis runden dieses gelungene Buch ab.
Trotz der vielen Abbildungen handelt es sich bei dem besprochenen Werk jedoch
weniger um einen Bildband denn um ein Sachbuch für Menschen, die gerne viel
Neues über die einzelnen Bäume erfahren möchten.
(Ivan Kristianof; 11/2003)
Doris Laudert: "Mythos
Baum"
blv, 2003. 256 Seiten. 158 Farbfotos.
ISBN 3-405-16640-3.
ca.
EUR 19,95.
Buch bestellen