Iris Schürmann-Mock (Text), Katharina Mayer (Fotos): 
"Mythische Orte in Deutschland, Österreich und der Schweiz"

Mythos mythische Orte


Dieser Bildband mit Text lebt einerseits von seinen Fotografien. Das dunkle, mystische Umschlagbild mit einer Mondlandschaft auf dem Brocken wird viele zum Kauf bewegen. Es gibt in dem Buch noch andere eindrucksvolle, vollkommene Bilder von Kultstätten und Landschaften im deutschsprachigen Raum, und man kann sich an einzelnen ästhetisch raffinierten Bildern kaum satt sehen. Ähnlich geht es einem mit den Texten, die liebevoll gemacht sind und neben historischen und mythologischen Informationen auch einen persönlichen emotionalen Zugang zu den Stätten ermöglichen. Das Buch hat an sich Erlebnischarakter, kann aber auch als Tourenführer für Familien dienen, die sich das Ganze in natura anschauen wollen. Hilfreich dafür sind Wegbeschreibungen im Anhang, die allerdings aber nur für nordwestdeutsch Wohnende geeignet sind.

Für diese Sonntagsausflüge legt das Buch eine jahreszeitliche Planung nahe. Im Herbst soll man die Loreley besuchen, die Chorruine Heisterbach, das Teufelsmoor und den Disibodenberg. Im Winter bricht man zu den Externsteinen, nach Neuschwanstein, dem Untersberg im Salzburger Land und dem Brocken auf. Der Frühling sieht einen am Pilatus-Berg und in Rütli in der Schweiz ebenso wie in Großraden und an den Nordseedeichen. Für den Sommer soll man sich den Blautopf in der Schwäbischen Alb, die Wartburg und die österreichische Wachau vornehmen.

Die Zusammenstellung lässt schon erkennen, was an dem Buch problematisch ist. Es leidet unter einer gewissen Beliebigkeit. Die Autorin hat nicht den Ehrgeiz, mythische Orte aus ihrer vermuteten mythologischen Bedeutung heraus zu definieren, indem sie alte Kraftorte, kultische Weihestätten etc. auswählt. Wohl kommen hier die Externsteine oder der Brocken vor, ohne den New-Age-Broschüren nicht auskommen. Was aber hat Neuschwanstein mit Mythologie zu tun? Oder die Nordseedeiche? Wer Neuschwanstein für dieses Buch auswählt, könnte in der amerikanischen Version durchaus Disneyland in Anaheim in Kalifornien als mythologischen Ort wählen. Und dass Deiche im maritimen und Erlebnisbereich großen Freizeitwert haben, ist unbestreitbar. Sie aber mythisch zu nennen, fand ich trotz eindrucksvoller Sturmflutschilderungen einfach nur albern.

Am Umschlag erklärt der Verlag die Zusammenstellung wie folgt: "Es gibt Orte in dem Land, in dem wir zu Hause sind, die aus der Masse der ganz normalen Orte herausragen. Orte, die einen besonderen Klang haben und von Bedeutung sind für unsere Identität als Österreicher, Deutsche oder Schweizer. Es sind sagenumwobene, geheimnisvolle Stätten. Die Geschichten, die sich um sie ranken, kennen wir meist aus unserer Kindheit, sie sind in unserem Gedächtnis abgelagert, aber oft nur schemenhaft. Sie handeln von zauberischen, oft bedrohlichen Wesen wie Nixen, Hexen, Teufeln, Zwergen, Drachen oder auch sagenhaften Kaisern, Mönchen und Nonnen oder berühmten Gestalten der Geschichte." Ich frage mich, ob die Wachau oder der Blautopf diesen Anspruch einlösen können.

Der Untersberg bei Salzburg ist schon in Ordnung, aber warum wird er zum Beispiel dem Hemmaberg in Unterkärnten vorgezogen? Der ist ästhetisch reizvoller, hat keltische Siedlungen, eine wechselnde christliche Geschichte und zahlreiche Mythen, die sich um ihn ranken. Statt der Nordseedeiche hätte ich wahrscheinlich lieber Hiddensee als Küstenort gewählt. Mehr Literarisches, mehr Mystisches dort.

Von den im Buch geschilderten Stätten habe ich mich am intensivsten mit dem Brocken beschäftigt, dem nördlichsten Berg Deutschlands. Wer sich dort einige Tage aufhält, merkt schnell, dass gerade am Brocken selbst wenig Interessantes zu finden ist. Das hängt damit zusammen, dass dieser Berg unseren Vorfahren wohl als Götterberg gegolten hat, den zu betreten tabu war. Am daneben liegenden Wurmberg findet man eine Kulttreppe, die auf ein Plateau hoch läuft, von der aus man einen interessanten Blick auf den Brocken hat. Zwischen dem Brocken und dem Hexentanzplatz bei Thale liegt eine Ebene, in der bei Benzigerode zwei Menhire aufragen, die wie ein Tor auf den Brocken zuzielen. Die Ebene wird nördlich von der Hügelkette bei Königstein begrenzt, in die man germanische Sonnenscheiben eingemeißelt findet. Kurz gesagt: Die Gegend dort ist so etwas wie ein Kultgarten. Wer sich mit Mythologie beschäftigt, hätte interessantere Perspektiven gefunden als die in diesem Buch verbreitete, die nur auf den historisch sehr fragwürdigen Hexenkult Bezug nimmt und stumpf das dortige Plateau und Ausschnitte aus dem Wald abbildet.

Bei aller Kritik muss man aber auch neidlos anerkennen, dass dieses Buch ein ästhetisch äußerst hochwertiges Produkt ist, gut lesbar und stimmungsvoll. Die zwischendurch eingefügten Gedichte passen zum Thema und eignen sich zum Vorlesen oder selbst Lesen, während man sich an den einzelnen Orten aufhält. Es ist ein schönes Geschenk- und Kaffeetischbuch zum Durchblättern geworden.

(Berndt Rieger; 03/2005)


Iris Schürmann-Mock, Katharina Mayer (Fotos): 
"Mythische Orte in Deutschland, Österreich und der Schweiz"

Gerstenberg, 2005. 256 Seiten.

ISBN 3-8067-2926-3.
ca. EUR 36,00.

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Iris Schürmann-Mock, geboren 1947 in Duisburg, arbeitet als Redakteurin bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften und ist Autorin zahlreicher Ratgeber für Eltern. Heute lebt sie in Bonn und ist stellvertretende Redaktionsleiterin der Zeitschrift einer Bankgruppe.
Katharina Mayer, geboren 1958, arbeitet seit dem Abschluss ihres Studiums der Freien Kunst und Fotografie in Düsseldorf bei Bernd Becher und Nan Hoover als selbstständige Künstlerin, Fotografin und Dozentin.