Robert Musil: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß"
Entwicklungsphasen eines Heranwachsenden
In diesem Buch wird ein kleiner aber einschneidender Ausschnitt aus dem
Leben des Internatsschülers Törleß beschrieben. Extreme menschliche Erfahrungen
mit seinen Mitschülern lösen bei ihm einen seelischen Reifungsprozess aus. Dies
wird in einer Rückschau untermauert, die in den Roman eingewoben wurde.
Törleß, Sohn eines Hofrats, lebt mit seinen Mitschülern Beineberg, Reiting
und Basini in einem altehrwürdigen Internat. Eines Tages wird Basini von seinen
Kameraden eines Diebstahls
überführt. Statt ihn anzuzeigen, erpressen sie den eher schwächlichen Mitschüler.
Für Basini ist dies der Beginn einer Serie
körperlicher und psychischer Misshandlungen
durch seine Mitschüler. Diese lassen bei ihren sadistischen Spielen keine Grenzen
erkennen.
Musils Perspektive ist nicht die des Opfers und auch nicht primär die der
Haupttäter, sondern die des nachdenklichen Mitläufers Törleß. Dieser ist anfangs
voll dabei, bekommt aber zunehmend Gewissensbisse. Eines Tages distanziert er
sich von den Aktionen, was ihn in eine extreme psychische Situation bringt, zumal
er sich als schwächster der drei Täter stets im Spannungsfeld zwischen Täter-
und möglicher Opferrolle sieht.
Deutlich wird die unberechenbare psychische Situation des Protagonisten
beim Exkurs in die Welt der imaginären Zahlen. Diese nicht greifbaren Zahlen
beschreiben treffend den Seelenzustand von Törleß. Er erhält von seinem Mathematikprofessor
die unbefriedigende Antwort, dass ihm die Voraussetzungen fehlen, um diesen
Bereich der Mathematik (und damit symbolisch
sich selbst) heute schon verstehen zu können.
Liest man einen Roman von Robert Musil, drängt sich ein Vergleich mit seinem
Lebenswerk "Der Mann ohne Eigenschaften" auf. Das 1906 entstandene Werk "Die Verwirrungen
des Zöglings Törleß" ist kompakter und enthält mehr Handlungsfäden. Es lässt aber
bereits erahnen, dass tiefgründige psychologische Analysen sich zum besonderen
Stil von Robert Musil entwickeln werden. Bereits in diesem Buch gibt es Andeutungen
von einer Möglichkeitswelt und einer Wirklichkeitswelt.
Es gibt viele klassische und moderne literarische Werke, die sich mit der
psychischen Situation Heranwachsender beschäftigen. Wenngleich der Hintergrund
etwas antiquiert wirkt, haben Musils Beschreibungen der Seelenzustände nicht an
Aktualität verloren.
(Klemens Taplan)
Robert Musil: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß"
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Ergänzende Buchtipps:
Herbert Kraft: "Musil"
Den Titel des großen
Romans "Der Mann ohne Eigenschaften" kennt jeder, der Verfasser ist
jedoch mehr als sechzig Jahre nach seinem Tod so rätselhaft geblieben, wie er
es zeitlebens war. In Herbert Krafts Buch wird deutlich, wie Robert Musils Leben
und Werk einander ergänzen; die Auseinandersetzung mit diesem
Jahrhundertschriftsteller wird auf eine neue Stufe gestellt. Prägnant und
luzide zugleich erhellt Kraft Musils Welt, nimmt dem Leser die Angst vor der Größe
seines Werks und macht es für uns Heutige verständlich: das Porträt eines
Lebens, das von der Passion des Schreibens erfüllt war.
Zur Rezension ...
(Zsolnay)
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Inka Mülder-Bach: "Robert Musil. Der Mann ohne Eigenschaften"
Ein Versuch über den Roman.
Wollte man in Analogie zum Bloomsday des "Ulysses" für
Robert Musils "Mann ohne
Eigenschaften" einen Ulrichtag aus der Taufe heben, es wäre der 7. August 1913.
An diesem Tag fertigte Musil eine Zeichnung von Straßenzügen, Plätzen und
Gebäuden im 3. Bezirk Wiens an. Acht Jahre später zog er selbst an jenen Ort und
begann mit der Arbeit an seinem großen Roman. Dieser steht heute wie ein Solitär
in der europäischen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts das Meiste
überragend und doch fremd.
Inka Mülder-Bach lädt dazu ein, Musils Hauptwerk neu
zu entdecken: Dabei setzt sie anders als bisherige Studien nicht bei seinen
Figuren, Reflexionen und Kontexten, sondern bei seiner bis heute einzigartigen
Form an. (Hanser)
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