Haruki Murakami: "Nach dem Beben"
Sechs Erzählungen, die Haruki Murakami schrieb, als die japanische Insel bebte und ein Giftgasanschlag die Gesellschaft erschütterte. Beide Ereignisse - das Erdbeben von Kobe mit Tausenden von Toten und die Terrorakte in der U-Bahn von Tokyo - bewogen ihn 1995 aus dem "Exil" zurückzukehren, um, wie er sagte, seinem Land beizustehen.
Fünf Tage und Nächte verbringt die Frau eines Verkäufers für Hifi-Geräte vor dem Fernsehen mit den Katastrophenbildern vom Erdbeben - dann verlässt sie ihren Mann, der sich mit einem mysteriösen Päckchen auf eine Reise begibt. Eine Wahrsagerin sieht tief in die hasserfüllte Seele einer Ärztin, die einem Mann aus Kobe, der ihre Hoffnungen zerstört hat, den Tod wünscht. Die vierzehnjährige Sara begegnet in ihren Alpträumen dem Erdbebenmann, der sie in eine Kiste sperren will. Und der Bankangestellte Katagiri hat in seiner Wohnung Besuch von einem Riesenfrosch, der Tokyo vor der Zerstörung durch einen Wurm retten will ... |
In sechs kurzen Erzählungen
setzt sich Haruki Murakami mit den Reaktionen der japanischen Medien und
Bevölkerung auf das große Erdbeben in Kobe auseinander. Dabei kann man
diese Erzählungen noch einmal grob unterteilen in drei eher
fantastisch-kafkaeske und drei rein narrativ-realistische. |
"Alle Kinder Gottes tanzen", "Thailand"
und "Honigkuchen" sind die in "Nach dem Beben" enthaltenen realistischen Erzählungen.
"Alle Kinder Gottes tanzen" hat mit religiösem Fanatismus zu tun und der
Suche nach der eigenen Identität in einer Umwelt, die den Wert von individueller
Identität leugnet. "Thailand" thematisiert erneut, was man in sich trägt, aber
hier ist tatsächlich etwas da. Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt das Leben
mit Hass dar.
Außerdem
bietet Murakami hier erstmals (zumindest soweit dem Rezensenten bekannt) eine
weibliche Hauptfigur, was eine interessante Abwechslung bedeutet.
"Honigkuchen" ist eine sehr traditionelle Erzählung und emotional
vielleicht am eindringlichsten, weil hier das Fantastische, außer in einem
wiederkehrenden Traum, keine bedeutende Rolle spielt.
Wer Kurzweil schätzt, wird an diesem Band genauso seine Freude haben wie
eingefleischte Anhänger Haruki Murakamis, die sich gewiss an der dichteren und schnelleren Form
(verglichen
mit den Romanen) delektieren
werden.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 04/2005)
Haruki Murakami: "Nach dem Beben"
(Originaltitel "Kami no kodomo-tachi wa mina odoru")
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
Gebundene Ausgabe:
DuMont, 2003.
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Taschenbuch:
btb, 2005.
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Hörbuch:
Universal Music, 2004.
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Noch ein Buchtipp:
Jay Rubin: "Murakami und die Melodie des Lebens. Die Geschichte eines Autors
"
"Kafka am Strand", "Gefährliche Geliebte" oder "Mister
Aufziehvogel" - die passionierten Leser des japanischen Erfolgsautors
mit weltweitem Erfolg gehen in die Millionen. Sie haben ungezählte Fragen, auf
die Jay Rubin, Bewunderer, Freund und Forscher, gewitzte und verblüffende Antworten
findet.
Wie sind die Katzen und Brunnen in Haruki Murakamis Romane geraten? Wie mag sich
der scheue Autor als Chef des Jazzclubs "Peter Cat" gefühlt haben,
als er Drinks mixte und Platten auflegte? Und wieso hat er angesichts des überwältigenden
Erfolgs von "Naokos Lächeln" die Anonymität Europas gesucht und jahrelang in den
Vereinigten Staaten gelebt? Was schwebt Murakami beim Schreiben zuerst vor, eine
Geschichte oder ein so sonderbarer Titel wie "Sputnik Sweetheart"?
Jay Rubin, auch einer der beiden amerikanischen Übersetzer von Murakami und
Kenner seiner Romane und Erzählungen, lässt noch einmal das bisherige Werk des
Autors Revue passieren, samt der weitgehend unbekannten frühen und noch nicht
in westliche Sprachen übersetzten Texte.
Wenn Bücher ihre Schicksale haben, genauso wie die Autoren und die Epochen, in
denen sie leben, dann muss es geheimnisvolle Wechselwirkungen geben: Ihnen spürt
Jay Rubin nach. Klug und stets diskret setzt er Schlüsselepisoden aus Murakamis
Leben mit den Motiven der Kurzgeschichten, der Romane und der historischen Recherchen des
Autors in Beziehung, um den typischen "Murakami-Klang" zu ergründen.
So entsteht aus dem Geflecht der Querbezüge des Gesamtwerkes und aus
Interviews, die Rubin über ein Jahrzehnt lang führte, ein weiterer Roman: der
Roman der Murakami-Entstehung. Die Geschichte eines literarischen Phänomens und
eines listigen, eigensinnigen Reisenden zwischen den Kulturen.
Für die deutsche Ausgabe seines 2002 erschienenen Werks hat Jay Rubin ein
aktualisierendes Kapitel zum Bestseller "Kafka am Strand" beigefügt.
(DuMont)
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