Herta Müller: "Die blassen Herren mit den Mokkatassen"


Aus der Fülle von Zeitungsseiten bediente sich Herta Müller in ihrem Collagenbuch, um aus Bildern, Wörtern und Wortteilen kurze, nicht mehr als zwanzigzeilige Gedichte zusammenzukleben.

Aber sie entlässt uns nicht wie die Dadaisten, die den Zufall als schöpferisches Prinzip entdeckten, aus der Sinnsuche; es sind absurde, aber keine Nonsens-Gedichte: die Wörter fügen sich zu neuen Sätzen, lassen freilich den abgeschnittenen Textrest, das Medium Zeitung, mitschwingen, manchmal von der Rückseite der aufgeklebten Schnipsel her auch durchscheinen. Die Suche nach Zusammenhängen ist nicht vergeblich, sondern ein Auftrag an Leser, die Botschaft inner- und auch außerhalb der Gedichte in neuen Verbindungen zu suchen.

Äußerlich einem Erpresserbrief nicht unähnlich, dient jedoch diese Methode nicht der Verhinderung von Rückschlüssen auf die Urheberschaft und Herkunft des Texts, sondern im Gegenteil einer umfangreichen Erweiterung der Kommunikation, bei der das Medium mehr und andere Ausdrucksmöglichkeiten bereithält als "normal" und "üblich". Fehlende Satzzeichen erlauben es manchmal, Satzglieder in zwei mögliche Sinnzusammenhänge, einmal nach vor und einmal zurück einzubinden; auch eine Kombination von Wörtern nach Schriftgrößen, Schrifttypen, Hintergrund- und Papierfarben ist möglich.

Herta Müller, bisher vor allem für Prosatexte bekannt, in denen sie sich meist mit ihrer Banater Heimat, familiärem oder gesellschaftlichem Druck und politischer Bedrohung auseinandersetzte, lässt auch in den Collagen ihre Lieblingsthemen erkennen: nicht selten stehen Väter, Mütter, Amtspersonen, anonyme Autoritäten am Beginn der Gedichte und umgeben sich mit den ausgeschnittenen Worten Herta Müllers und den darauf bauenden Gedanken der Leser.

"Die blassen Herren mit den Mokkatassen" sind in ihrer Vielfalt keinesfalls einfach zu lesen, aber auch nicht einmalig - jede weitere Lektüre einer Collage eröffnet neue Möglichkeiten.

Wer die Gedichte Herta Müllers nicht nur gedanklich aus den Buchdeckeln hervorholen möchte, möge sich an DrNice in Berlin (http://www.drnice.net/01-literatur_bild/literatur_bild_collection.html) wenden. Ausgewählte Collagen sind auch als Tapeten erhältlich.

(Wolfgang Moser; 08/2005)


Herta Müller: "Die blassen Herren mit den Mokkatassen"
Hanser, 2005. 112 Seiten.
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Herta Müller wurde 1953 im deutschsprachigen Nitzkydorf, Rumänien geboren. 1973 bis 1976 Studium der deutschen und rumänischen Philologie in Temeswar. Nach dem Studium arbeitet sie als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik. Sie wurde entlassen, weil sie sich weigerte für den rumänischen Geheimdienst Securitate zu arbeiten. Ihr erstes Buch, "Niederungen", lag danach vier Jahre beim Verlag und wurde 1982 nur zensiert veröffentlicht. 1984 erschien es in der Originalfassung in Deutschland. Herta Müller konnte danach in Rumänien nicht mehr veröffentlichen und war immer wieder Verhören, Hausdurchsuchungen und Bedrohungen durch die Securitate ausgesetzt. 1987 übersiedelte sie nach Deutschland. 1989 bis 2001 Gastprofessuren an Universitäten in England, Amerika, Schweiz und Deutschland; seit 1995 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Herta Müller lebt in Berlin.
Auszeichnungen: 1987 Ricarda-Huch-Preis, 1989 Stipendium der Villa Massimo, 1991 Preis des Deutschen Literaturfonds, 1994 Kleistpreis, 2009 Literaturnobelpreis.

Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):

"Herztier"
Lola kam aus dem armen Süden Rumäniens, wollte dem Elend mit Hilfe eines erfolgreichen Mannes entfliehen und hing eines Tages am Strick. Die Freunde glauben nicht an den Selbstmord und versuchen Widerstand zu leisten. Sie zerbrechen daran. "Herztier" erzählt von den Bestechungs- und Anpassungsversuchen, den Gesten des Widerstands und den Verstößen gegen die Norm, vom Nicht-leben-Können und davon, wie "Menschen sich selbst zu einem Fehler werden". (Rowohlt)
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"Der König verneigt sich und tötet"
Das eindrucksvolle Bild einer Lebenserfahrung unter absoluter Herrschaft: Herta Müller, die bedeutende und sprachmächtige Autorin, wuchs auf im Rumänien unter der Diktatur Ceausescus. Hier erfuhr sie Sprache als Instrument der Unterdrückung, aber auch als Möglichkeit des Widerstands und der Selbstbehauptung gegenüber der totalitären Macht. Und dieses Sprachbewusstsein stellt sie neben Erinnerungen an die Kindheit in den Mittelpunkt ihrer poetischen und politischen Selbstbefragung. (Hanser)
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"Der Fuchs war damals schon der Jäger"
Freunde sind Verräter geworden, andere sind verschwunden, wahrscheinlich ermordet. Ehemalige Direktoren werden Lehrer, Verwalter werden Direktoren, und die Lehrerin Adina sieht eines Tages nach dem Umsturz, dass die Bedrohung nie verschwunden war. Der Fuchs ist der Jäger geblieben. Herta Müller verbindet in ihrem auch verfilmten Roman eine poetische Prosa mit der oft beklemmend eindringlichen Schilderung des Totalitarismus. (Hanser)
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"Heute wär ich mir lieber nicht begegnet"
"Ich bin bestellt." Auf der Straßenbahnfahrt zum Geheimdienst zieht ihr Leben an der jungen Frau vorüber: die Kindheit in der Kleinstadt, die halberotische Gier nach dem Vater, die ahnungslose Ehe mit dem Sohn des "Parfumkommunisten". Gespräche mit ihrer toten Freundin Lilli, die alte Männer liebte; Erinnerungen an das sporadische Glück, das ihr mit Paul gelingt. (Rowohlt)
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"Atemschaukel"
Rumänien 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die deutsche Bevölkerung lebt in Angst. "Es war 3 Uhr in der Nacht zum 15. Januar 1945, als die Patrouille mich holte. Die Kälte zog an, es waren -15º C." So beginnt ein junger Mann den Bericht über seine Deportation in ein Lager nach Russland. Anhand seines Lebens erzählt Herta Müller von dem Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen. In Gesprächen mit dem Lyriker Oskar Pastior und anderen Überlebenden hat sie den Stoff gesammelt, den sie zu einem großen Roman geformt hat. Ihr gelingt es, die Verfolgung Rumäniendeutscher unter Stalin in einer zutiefst individuellen Geschichte sichtbar zu machen. (Hanser) zur Rezension ...
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