Dirk Böttger: "Wolfgang Amadeus Mozart"
"Sie fragen mich, ob Sie den jungen Salzburger in Ihre Dienste nehmen sollen. Ich weiß nicht wieso; ich glaube nicht, dass Sie einen Komponisten oder derlei unnütze Leute brauchen."
(Kaiserin Maria Theresia an ihren Sohn, Erzherzog Ferdinand, Wien, 12. Dez. 1771)
Geht man von der Popularität der Schöpfungen eines Komponisten aus, so muss Mozart unter den Giganten seiner Zunft zweifellos der Rang eines Primus inter pares zugestanden werden. Gemeinsam mit Giuseppe Verdi und Richard Wagner bildet Mozart das göttliche Dreigestirn der Oper, und unter den zehn meistaufgeführten Opern im deutschsprachigen Theaterraum finden sich gleich fünf Mozart-Opern, darunter "Die Zauberflöte" auf Rang 1 und "Die Hochzeit des Figaro" auf Rang 2. Eine erdrückendere Dominanz im Opernrepertoire ist kaum mehr denkbar. Es ist dann wohl auch diese ungebrochene Geltung des Musikus als Hauptmotiv für die Herausgabe eines neuerlichen biografischen Porträts zu erachten (die Mozart-Literatur quillt ja längst schon über), denn wirklich Neues und bis dato noch Unbekanntes ist zur historischen Person oder über Mozarts Schaffen wahrlich nicht zu vermelden.
Es erübrigt
sich, lobendes Wortzeugs über das sprachliche Können des Autors dieser Biografie
und über die ansprechende Strukturierung des vorliegenden Buches auch nur beiläufig
zu verlieren. Wer bereits
anderweitige
Titel aus der Reihe "dtv portrait" kennt, der wird wissen, dass man dergleichen
als gegeben voraussetzen darf. Eine Enttäuschung dieser Erwartung scheint a
priori ausgeschlossen zu sein. Und so darf sich eine Buchbesprechung gegenständlich
auf den bloßen Inhalt beschränken. Dieser nun ist strikt chronologisch gehalten.
Beginnend bei den ersten Lebensjahren des am 27. Januar 1756 in Salzburg geborenen
Wunderkindes, über seine rege Reisetätigkeit durch Europa (1762-1773), die Salzburger
Jahre (1773-1776), neuerliche Reisen nach Italien, Mannheim und Paris (1777-1779),
die Übersiedelung nach Wien (1781), triumphale Gastspiele
in Prag (1787), bis zu seinem frühen
legendenumwitterten Tod (1791), findet sich das kurze Leben des "größten Wunders,
dessen sich Europa oder die Menschheit überhaupt rühmen kann" ("The Public Advertiser",
London, 9. Juli 1765) mit historischer Gewissenhaftigkeit abgehandelt.
Dirk Böttger
dürfte nicht unbedingt ein Freund fruchtloser Spekulationen und schon gar nicht
moralisierender Bezichtigungen sein. Bis ins Detail wird ausgeführt, wie und
dass Leopold Mozart - der gewiss ein fürsorglicher Vater war - schon mit dem
sechsjährigen Johann Chrysostomus Wolfgang Gottlieb Mozart auf Imagetour fährt,
begleitet von der fünf Jahre älteren Schwester Maria Anna (1751-1829),
"Nannerl", welche ebenso wie ihr kleiner Bruder ein Wunderkind am Klavier ist.
Die beiden Mozartkinder erregen in den Metropolen Europas ob ihres ausnehmend
frühreifen Virtuosentums ein gehöriges Aufsehen und hinterlassen allen Orts ein
närrisch gewordenes Publikum, das sich nicht schämt, von einem überweltlichen
Wunder zu sprechen. Und so wie schon in jenen Zeiten bleibt auch diesmal im
Grunde unhinterfragt, wie dieses unfassbare Wunder möglich sein konnte, ob es
eine rationale Erklärung für das Unbegreifliche gibt. Unhinterfragt bleibt
folglich ebenso, welche Opfer diesen hochgradig disziplinierten Kindern seitens
ihres ehrgeizigen Vaters abverlangt wurden. Immerhin berichtet Dirk Böttger von
den strapaziösen Zumutungen einer ständigen Reisetätigkeit und erwähnt in diesem
Zusammenhang die viel diskutierte These von einer vorzeitigen physischen
Erschöpfung Mozarts als eigentliche Ursache für das baldige Erlöschen seiner
Lebensflamme. Eine im Einklang mit kindlichen Entwicklungsphasen stehende
Entfaltung seiner Vitalenergien war dem jungen Mozart jedenfalls nicht wirklich
zugestanden worden, was jedoch bei Böttger eher unterbelichtet bleibt bzw. nicht
umfassend und explizit zur Sprache kommt.
Spätestens nach dem
Erscheinen des, schlussendlich mit Oscar-Ehrungen überhäuften, cineastischen
Großereignisses "Amadeus" ("Amadeus" ist die Übersetzung des deutschen Namens
"Gottlieb" ins Lateinische) von Milos Forman im Jahre 1984 ist die historisch
verbürgte Rivalität zwischen Mozart und dem Hofkapellmeister Antonio Salieri ein
absolutes Muss für jeden Mozartbiografen. Auch bei Dirk Böttger kommt die
Darstellung dieses Konflikts nicht zu kurz, wobei er sich jedoch um
Gerechtigkeit für Salieri bemüht und keineswegs dem von Forman transportierten
Klischeebild eines intriganten und neidischen Charakters blinde Folge zu leisten
bereit ist. Mozart war gewiss nicht der Protegé Salieris. Auf den Erfolg von
Mozarts "Figaro" beim Wiener Publikum reagierte Salieri unverständlich und
verräterisch: Er betrieb mit Erfolg die vorzeitige Absetzung der zusehends
bejubelten Oper vom Spielplan. Und nicht zuletzt bezichtigte sich Salieri selbst
des Giftmordes an Mozart. Dies allerdings, wie von Milos Forman im Film richtig
dargestellt, im Zustand geistiger Umnachtung.
Die Entstehungsgeschichte der
Legende von der unversöhnlichen Feindschaft zwischen Mozart und Salieri hat
mannigfaltige Wurzeln, historisch korrekte aber auch eher fabelhafte (wie in
Alexander Puschkins "Mozart und
Salieri"), die - wenn unkritisch betrachtet - nur zu leicht die großen
Verdienste des gebürtigen Italieners um die Wiener Klassik vergessen machen.
Immerhin war Salieri Kompositionslehrer von
Liszt und
Schubert
(welchen letzteren er dessen Talents wegen unentgeltlich unterrichtete) und in
gesangstechnischen Fragen eine stete Hilfe für Beethoven.
Als weitere biografische Aspekte von erheblicher Bedeutung wären anzuführen:
Das sich als Emanzipierungsprozess darstellende Verhältnis Mozarts zu seinem
Vater Leopold, seine - von manchen Mozartbiografen verschämt ausgeblendete -
Neigung zu obszönem Gehaben, seine Sinnenfreudigkeit und die väterlicherseits
missbilligte Ehe mit Konstanze Weber, die unfassbare Leichtigkeit seines künstlerischen
Schaffens und eine Deutung dieses Schaffens, die vorgebliche Armut und tatsächliche
Wohlhabenheit eines vermutlich eher verschwenderischen Menschen, die ebenso
enge wie prägende Verbundenheit Mozarts mit der Wiener Freimaurerloge "Zur Wohltätigkeit",
und nicht zuletzt die künstlerisch so ergiebige Zusammenarbeit mit dem kongenialen
Partner Emanuel Schikaneder (1751-1812), aus welcher in Mozarts Todesjahr die
"Zauberflöte" - ein wahrlich vielschichtiges
und von humanistischen (freimaurerischen) Idealen durchdrungenes Opernwerk -
als abschließende Krönung seines Schaffens resultierte. Nichts davon bleibt
bei Böttger ausgespart, manches wird richtig gestellt bzw. von mythischer Umwitterung
gesäubert, obgleich die historische Faktenlage teils immer noch dürftig ist
und vieles nach wie vor im Dunklen liegt. So weiß man zum Beispiel mangels schriftlicher
Dokumente nicht allzu viel über das politische Denken des leidenschaftlichen
Freimaurers Mozart, der sich immerhin gegenüber dem autoritär agierenden Salzburger
Fürsterzbischof Graf Colloredo durch ein unbotmäßiges Trotzen in der Manier
eines selbstbewussten Citoyens auszeichnete, wie überhaupt er sich nicht scheute,
am Vorabend der Französischen Revolution Beaumarchais' "Figaro"-Komödie - eine
rebellische Kritik der Adelsprivilegien - in der bearbeiteten Fassung seines
Librettisten
Lorenzo da Ponte (ebenso ein unbeugsamer Verfechter humanitärer
Ideale) seiner Oper "Figaros Hochzeit" zugrunde zu legen. Es lässt sich also
so manches zumindest erahnen.
Mozart starb am 5. Dezember 1791 unter nicht ganz
geklärten Umständen (kein Kriminalfall, sondern eher ein medizinisches Rätsel)
und wurde am Tag nach seinem Hinscheiden auf dem St.-Marxer-Friedhof in Wien,
einer damals üblichen Gepflogenheit folgend, gemeinsam mit anderen Verstorbenen,
in ein Schachtgrab zur letzten Ruhe eingeerdet. Bei diesem Friedhof in St.-Marx
handelt es sich übrigens um einen, unter Wienern heutzutage kaum als solchen
wahrgenommenen, geschichtsträchtigen Ort, welcher als museale Anlage von
verhaltener Schönheit zum stillen Flanieren einlädt, obgleich die ebenso
lärmende wie stinkende Gegenwärtigkeit einer nahen Stadtautobahn das besinnliche
Vergnügen des Spaziergängers gehörig belastet und jeglicher Andacht abträglich
ist. Im Trauergeleit zur eher bescheiden gehaltenen Bestattungsfeier befand sich
an jenem denkwürdigen Dezembertag des Jahres 1791 übrigens auch Mozarts großer
Rivale Antonio Salieri, nicht jedoch sein liebend Eheweib, Konstanze Mozart,
welche in Ausübung ihres Trauerdienstes der Nachwelt vermitteln hätte können, an
welcher Stelle denn Mozarts sterbliche Überreste nun konkret bestattet worden
seien. Schon nach 1800 konnte die Grabstelle somit nicht mehr hinreichend
bestimmt werden, was dem Gerücht vom Armenbegräbnis Auftrieb gab, welches bis in
unsere Tage hinein die historische Wahrheit überlagert und sogar auf der
offiziellen Homepage der Stadt Wien (zum Stand 06/2003) seinen Niederschlag
findet. Auch in Hinblick auf diese Volksmär gilt es für Dirk Böttger, der
historischen Wahrheit neuerlich auf die Beine zu helfen, denn - wie gesagt -
nach wie vor hält sich die Legende vom Armenbegräbnis unbeirrt im Mythenschatz
des Volkes und sohin das völlig verkehrte Bild vom verkannten Genie, das in
bitterer Armut dahindarbte. Nichts davon stimmt. Und so ist dem Biografen eine
Wiederholung der ewig gleichen Faktenlage ein auferlegtes Gebot. Allein schon um
der historischen Klarstellung wegen.
Mozarts letzte Ruhestatt bleibt
freilich, entgegen anders lautenden Verkündigungen, unauffindbar, und wer in
diesen Tagen des großen Klangzauberers vor Ort gedenken will, muss schon mit
einem um 1900 aufgestellten symbolischen Grabdenkmal vorlieb nehmen. Wobei sich
dem Betrachter ein erstaunlich schlichtes Grabdenkmal darbietet, offenbar
ungeeignet zur Inszenierung eines massenwirksamen Personenkults, solcherart den
ernsthafteren Verehrern von Mozarts erhabener Kompositionskunst zumindest eine
weitere Peinigung erspart bleibt.
Die Stilisierung von picksüßer
Schokolade zu Mozartkugeln wie auch die Selbsterhöhung einer - ansonsten
durchaus reizvollen - Stadt zur Mozartstadt (Mozart hasste Salzburg!), müssen
übrigens beide, auch im Lichte von Böttgers Mozartbiografie, weiterhin als
illegitime Versuche des Ausbeutens eines großen Namens erachtet werden. Und so
bleibt es nur noch abzuwarten, mit welch üblen Geschmacklosigkeiten das
Jubiläumsjahr 2006 (man feiert den 250. Geburtstag) wieder aufwarten wird. Einem
Mozart, der sich in einem der so genannten "Bäsle-Briefe" selbst einen
"Sauschwanz" nannte, wäre zu dem Ungemächlichen, was sich heute bereits
ankündigt und was bei aller Erfahrung noch zusätzlich zu erwarten ist, wohl so
manch unflätiges Wort hochgekommen. Beliebte es ihm doch, sich in seinem
Schriftverkehr einer abgründigen "Fäkalkomik" zu bedienen, was ihn
schlussendlich auch noch als literarisches Talent auszeichnet. Ein Hang zum
Spaßen und Kalauern, eine "Freude am obszönen Schabernack", wie es Dirk Böttger
so treffsicher benennt, zeichnete das schwerlose Gemüt des großen Komponisten
aus, worin andere Interpreten jedoch eher eine psychische Unbeständigkeit
erblicken, als tragische Spätfolge einer nicht gelebten Kindheit.
Wie würde
dieser humorige - nach anderer Sichtweise: infantile - Genius auf die Tatsache
der anhaltenden Vermarktung seiner Person reagieren, die in einer vergleichbaren
Intensität noch keinem anderen Komponisten von Weltrang widerfahren ist? Eine
absolut spekulative Frage, der sich Dirk Böttger in seiner von sachlichem Ernst
geprägten Faktenbezogenheit tunlichst enthält, die sich jedoch alle Jahre wieder
- wann immer ein Mozartjubiläum ansteht - von selbst aufdrängt und zuletzt (zum
Anlass des 200 Todestages im Jahre 1991) nach unablässigen Schändungen durch
eine kommerzielle Interessensgemeinschaft einem konträr gearteten Mozartbild
Vorschub leistete, das einen Mozart zeigt, der den Geschäftemachern frech die
Zunge entgegenstreckt.
Dirk Böttger, 1939 in Frankenberg/Sachsen geboren,
studierte in Göttingen und Wien und promovierte in Theaterwissenschaft. Danach
war er 30 Jahre lang als Chefdramaturg, Regisseur und zuletzt als Intendant an
verschiedenen deutschen Theatern tätig.
(Harald Schulz; 06/2003)
Dirk Böttger: "Wolfgang Amadeus Mozart"
dtv, 2003. 190 Seiten.
ISBN 3-423-31071-5.
ca. EUR 10,-.
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Brigitte Hamann: "Wolfgang Amadeus Mozart" zur Rezension ...
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Ein sich lohnender Blick
auf den
St.-Marxer-Friedhof findet sich
hier