Martin Mosebach: "Der Mond und das Mädchen"
Der
Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach, 1951 geboren, ist in der
Literaturszene nicht unumstritten. Durch seinen bekennenden
Katholizismus sowie seine streng konservative Haltung und Perspektive
auf die Gesellschaft ist er in einer Literaturwelt, in welcher der
Schriftsteller immer noch hauptsächlich ein Sprachrohr der
Unterdrückten und Benachteiligten, mindestens aber ein mehr
oder auch einmal weniger radikaler Kritiker von Bestehendem, seien es
Strukturen, seien es Werte und Normen, zu sein hat, eher ein
Außenseiter geblieben. Dabei haben seine Ansichten durchaus
Hand und Fuß, und wenn man seine unlängst auch bei
Hanser erschienene, wohl leider nur von einem kleinen Kreis wirklich
rezipierte
Streitschrift
über die Feinde der römischen Liturgie
immanent liest, d.h. ohne den oft schon reflexartigen Automatismus, der
bei Themen anspringt, die nicht en vogue sind oder einen selbst als
Leser, erst recht aber als Kritiker, unter falsche Gesellschaft geraten
lassen könnten, so muss man feststellen, dass dieser Mann der
ersten Nachkriegsgeneration wirklich etwas zu sagen hat und man ihn
ernst nehmen sollte.
Deshalb ist der Hinweis so mancher Feuilletons in Deutschland nach der
Verleihung des Großen Literaturpreises der Bayerischen
Akademie der Schönen Künste 2006 an Martin Mosebach,
dass der Cheflektor des Hanser Verlags ein Händchen
für Preisträger habe, nicht von der Hand zu weisen.
Denn Martin Mosebach hat den Preis sicher nicht nur für seine
gesellschaftspolitischen und theologischen Positionen erhalten, sondern
für seine schriftstellerische Leistung und sein
künstlerisches Können.
Dieses Können stellt er auch in seinem neuen Roman "Der Mond
und das Mädchen" unter Beweis. In einem Stil und mit einer
Thematik, die den Rezensenten manches Mal an das unlängst bei
C.H. Beck erschienene Buch
"Charakter"
des Holländers Ferdinand Bordewijk erinnerte,
beschreibt Mosebach die ersten Ehemonate von Hans und Ina. Sie haben
jung geheiratet, gegen den ausdrücklichen Willen von Inas
Mutter, Frau von Klein, die als halsstarrige und
kritiksüchtige Altadlige in Hamburg lebt, sich und ihre Freude
für etwas Besseres hält und daher für die
eher einfache Herkunft von Hans' Familie nur herablassende Verachtung
übrig hat.
Es grenzte schon an ein Wunder, dass sich Ina nach jahrelangen
Sticheleien ihrer Mutter doch gegen sie durchsetzte und eine Hochzeit
mit allem Drum und Dran organisierte.
Hans ist gelernter und auch studierter Bankkaufmann und hat direkt nach
der Eheschließung eine attraktive Stelle in Frankfurt
erhalten. Während Ina
mit ihrer Mutter drei Wochen in Italien weilt, müht sich der
etwas naive, in seinem Beruf allerdings durchaus
durchsetzungsfähige Hans, für das junge Ehepaar in
Frankfurt
eine Wohnung zu finden. Er gerät
in eine große aber ziemlich heruntergekommene Altbauwohnung
im vierten Stock eines Hauses am Baseler Platz, einem Viertel, das nun
nicht gerade angesagt ist. Als Ina vom Urlaub mit ihrer Mutter
zurückkommt, fängt sie nach dem ersten Schock sowohl
über den Zustand der Wohnung als auch die soziale
Zusammensetzung der Mitbewohner und Nachbarschaft an, die Wohnung recht
schön einzurichten. Doch während der Wohnsitz
zunehmend eine persönliche Note erhält, kommen die
jungen Eheleute immer weniger miteinander klar. Hans flüchtet
in einen von einem Äthiopier geführten Kiosk im
Erdgeschoss des Wohnhauses, wo er neben dem marokkanischen
Hausverwalter Abdullah Souad unter anderem auch das Paar aus der
Nachbarwohnung kennenlernt.
Als er dem Marokkaner und anderen Moslems zum ersten Mal begegnet,
lässt Mosebach seinen durchaus gebildeten und sich auf der
Höhe der Diskussion befindlichen Hans - ohne den Autor
namentlich zu erwähnen über Hans Magnus Enzenbergers
Buch "SchreckensMänner. Versuch über den radikalen
Verlierer" nachdenken und zu dem Schluss kommen, Enzensberger denke
sich mit dem Topos des Verlierers den islamischen Terror wohl zu
einfach und mache sich über seine zeitlich befristete Zukunft
wohl doch einige Illusionen. Hier zeigt Mosebach wohl andeutungsweise,
in welche Richtung er selbst denkt, führt dies jedoch dann
nicht weiter aus.
Die ganze Geschichte läuft auf eine große
Entfremdung hinaus. Ina und Hans haben einander nicht mehr viel zu
sagen, die Kommunikation mit dem zwielichtigen Kreis der Menschen um
den Hausverwalter Souad ist mehrdeutig, und auch die zarte Beziehung
Inas zum Hausbesitzer Sieger, der völlig vom Hausverwalter
abhängig ist, bleibt ungleich.
Martin Mosebach beschreibt distanziert und ohne Häme, doch mit
viel Ironie, Zustände in deutschen
Großstädten, er notiert die Unsicherheit von
Bürgerlichen einer zunehmend islamisch dominierten
Nachbarschaft gegenüber und ihre teilweise Unterwerfung unter
diese.
Die Gegensätze zwischen Hans' Berufswelt in der
Großbank zehn Gehminuten entfernt und dem Publikum am Baseler
Platz könnten nicht größer sein.
Irgendwann wird das alles zu viel für Ina. Zur
Überraschung der ganzen Hinterhofrunde und des benachbarten
Ehepaars wird sie gegenüber Hans handgreiflich: sie
schlägt ihm eine Bierflasche auf den Kopf - mit unverhofftem
und nach der Lektüre des Buches nicht mehr für
möglich gehaltenem Erfolg ...
Fazit: "Der Mond und das Mädchen" thematisiert Beziehungen von
Großstadtmenschen sowie einen immer größer
werdenden Kulturgraben mitten in unserer Gesellschaft.
(Winfried Stanzick; 08/2007)
Martin
Mosebach: "Der Mond und das Mädchen"
Gebundene Ausgabe:
Hanser, 2007. 191 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2010. 192 Seiten.
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Fünf weitere Bücher des Autors:
"Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und
ihr Feind"
Das Zweite
Vatikanische Konzil, das 1965 endete, hatte einen der
revolutionären
Kulturbrüche des 20. Jahrhunderts zur Folge. Papst Paul VI.
ordnete das Ende
der alten römischen Liturgie und die Schaffung einer neuen an.
Doch der
Optimismus, dass die Abschaffung des Lateinischen als Liturgiesprache
der Kirche
neue Kreise öffnen könne, ist längst
vergangen. Martin Mosebachs
provozierendes Buch stellt die Frage, ob die Kirche durch den Bruch mit
ihrer
großen Tradition sich nicht selbst ihrer Substanz beraubt
hat, aber auch, ob über
den alten Ritus bereits das letzte Wort gesprochen ist. (Hanser)
Buch
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"Krass" zur Rezension ...
Das Blutbuchenfest" zur Rezension ...
"Mogador" zur Rezension ...
"Als das Reisen noch geholfen hat"
zur Rezension ...
Von
Büchern und Orten
Leseprobe:
Wer eine Wohnung sucht, hat es mit einem der seltenen Augenblicke zu
tun, in
denen der Mensch wirklich einmal glauben darf, über die
Zukunft seines Lebens
zu entscheiden, denn im Wohnen, so vieldeutig dies Wort eben ist, liegt
doch das
ganze Leben beschlossen. Der junge Mann, der auf dem Fahrrad durch die
Straßen
der ihm noch fremden Stadt
Frankfurt fuhr, hatte ein paar Tage zuvor
geheiratet
und hielt Ausschau nach der ersten Wohnung, die er mit seiner Frau
gemeinsam
bewohnen würde. "Meine Frau" zu sagen, ging ihm noch nicht
glatt von den
Lippen. "Meine Frau" - wäre das nicht eher eine Matrone? Um
"meine
Frau"
zu werden, müßte das Mädchen, das er
geheiratet hatte, alles verlieren, was
jetzt zu ihm gehörte: Kindlichkeit, Schmetterlingszartheit,
Elfenleichtigkeit.
Das waren nicht seine Gedanken, poetische Ausdrucksweise wollte er sich
nicht
zutrauen, aber eine leise klingende, feingläserne
Zerbrechlichkeit war es
schon, was ihm vorschwebte, wenn er an dies Mädchen dachte,
ein zartes
Glasgeklingel, Silbrigkeit in Stimme und Haar. Dabei war sie gar nicht
viel jünger
als er, aber aufgewachsen und behütet in einem Reservat
abschirmender Bürgerlichkeit
wie ein exquisites Frühgemüse, das nur mit
Wärme und Tau, nicht aber mit
Frost und rauhen Winden in Berührung kommen darf.
Die ersten Wochen dieser Ehe sahen ein wenig anders aus, als es solch
geordneten
Verhältnissen entsprochen hätte. Unzählige
Gäste gratulierten dem jungen
Paar. Die meisten waren für den Bräutigam Wildfremde
und blieben es auch, als
er die Hochzeitsphotos betrachtete; da hätte man ihm hin legen
können, wen man
wollte, er hätte bereitwillig geglaubt, das Gesicht irgendwann
auf seiner
Hochzeit gesehen zu haben. Aber nach dieser "mariage à la
mode" fand die berühmte
rituelle Hochzeitsreise leider nicht statt. Es ging nicht. Es war nicht
zu
machen, der Antritt der neuen Arbeitsstelle, der ersten nach der
Universität,
hatte sich nicht verschieben lassen; es war auch gar nicht ernsthaft
daran
herumgeschoben worden, denn das, was in früheren Zeiten auf
einer solchen
Hochzeitsreise geschehen sollte, hatte, wie üblich,
längst stattgefunden, und
der eigentlichen Hochzeit waren mindestens drei kleine Hochzeitsreisen
vorangegangen. Für Sentimentalitäten war keine Zeit,
so drückte es seine
Schwiegermutter aus, in deren Nähe es nicht nur die
Sentimentalitäten, sondern
eigentlich sämtliche Gefühlsregungen schwer hatten,
sich zu behaupten.
Noch mehr als Gefühlsregungen verabscheute die Dame jede
Anstrengung, und
mochte man auch alles, was sich nur delegieren ließ,
Hilfskräften übertragen,
so täuschte doch nichts darüber hinweg, daß
die Hochzeit vor allem eine
solche immense Anstrengung gewesen war. Nur wenige Tage, nachdem das
Feuerwerk
der Brautsoirée abgebrannt worden war, reiste sie in den
Süden und nahm dabei
ihre Tochter mit, denn sie trat bei anderen Leuten ungern allein auf.
Immer mußte
sie jemanden aus der eigenen Sphäre dabei haben, um vom
fremden Milieu nicht zu
leicht vereinnahmt zu werden. Der junge Mann war mit dieser Reise
grundsätzlich
einverstanden. Er war immer froh, wenn das Mädchen etwas
Angenehmes erlebte,
und es war viel unkomplizierter so: Er zog in Frankfurt in eine kleine
Pension
und würde sehr schnell, abends nach der Arbeit und an den
Wochenenden, eine
Wohnung gefunden haben, und wenn sie zurückkam, würde
er sie überraschen - eine köstliche Vorstellung
-, und sie würden den Lastwagen mit
Hochzeitsgeschenken aus Hamburg kommen lassen und mit dem Auspacken und
Einrichten beginnen.
Nur daß der Wunsch der Mutter so ganz fraglos und ohne
Abwägung befolgt zu
werden hatte, verwunderte ihn ein wenig, wenn er jetzt in seinem
Alleinsein darüber
nachdachte. Ob er in diesen ersten Tagen am neuen Ort den Beistand
seiner soeben
erst geheirateten Frau brauchen könnte, wurde nicht einmal in
Betracht gezogen.
Ina machte keine glückliche Miene, als sie ihm vom Vorhaben
ihrer Mutter
berichtete, aber ihr Bedauern angesichts der objektiven Notwendigkeit -
denn
die stellte die mütterliche Anordnung ohne jeden Zweifel her -
blieb doch
klein. Es war nicht das erste Mal, daß ein solches
Inbeschlagnehmen vorkam,
aber solange sie nicht verheiratet waren, hatte es ihn nicht weiter
belastet. Es
paßte zur Kindlichkeit des Mädchens, daß
es so innig an seiner Mutter hing.
Die Schwiegermutter war Witwe, war es da nicht naheliegend, sich mehr
um sie zu
kümmern? Wenn er nur nicht den Eindruck gewonnen
hätte, daß diese Frau einen
Menschen, der sich um sie sorgte, gar nicht nötig hatte.
Frau von Klein war nicht so grazil gewachsen wie ihre Tochter. Ihr
hübsches
Gesicht war keine altersmäßige Fortentwicklung oder
Entfaltung dessen, was im
Gesicht ihrer Tochter angelegt war, sondern nur ein wenig
weitläufiger, und natürlich
lag jenes feine Netz über der Haut, das die auch von der
Mutter bewahrte
Kindlichkeit auf rührende und Zärtlichkeit weckende
Weise gealtert erscheinen
ließ. Sie war die schönste Schwiegermutter, die sich
denken ließ, mit
langsamen, lässigen Bewegungen. Auf der Hochzeit hatte sie
Rosa getragen, ohne
albern zu wirken, und wer weiß wie viele Dummköpfe,
weibliche zumeist, hatten
die Plattheit nicht gescheut, jedermann zu versichern, Mutter und
Tochter sähen aus wie Schwestern
- "Ich hoffe doch nicht", sagte Frau von Klein mit
unbewegter Miene, wenn sie so etwas hörte.
Der junge Mann sah sie vor sich, wie sie nach dem Hochzeitsempfang mit
entfernten Verwandten in der Hotelhalle saß und den
Friseur,
einen häßlichen
kleinen Italiener, der sich stets aufs neue schüchtern
näherte, dreimal aufs
neue wegschickte, obwohl sie ihn bestellt hatte. Der verzweifelte Mann
mußte
logistisch Außerordentliches leisten und beständig
die Termine der anderen
Damen umlegen, ohne daß er von ihr mehr als einen blanken
Blick ohne die Spur
auch nur gespielten Bedauerns erhielt.
"Sie ist vollkommen unabhängig von der Zustimmung anderer",
dachte der junge
Mann, "sie nimmt andere Menschen kaum wahr." Beim
Abendessen war ihr
Haarhelm
dann makellos, als hätte sie den Nachmittag unter der Haube
verbracht.
Wirkliche Kälte hat etwas mit vollständiger
Gerechtigkeit gemeinsam. Sie
vermag sogar als Stärke erscheinen und dämpft
zunächst auch die Empörung der
anderen. Trotzdem wuchs da inzwischen ein kleiner Groll bei dem jungen
Mann.
"Frankfurt
ist eine scheußliche Stadt", sagte Frau von Klein, als er ihr
stolz von seiner
neuen Stelle erzählte. War das alles, was sie zu dieser
erfreulichen Nachricht
zu sagen hatte?
Ina hing an den Lippen ihrer Mutter, aber als sie zu ihm
hinübersah, lächelte
sie. Und so mußte es auch sein. Dieser gemeinsame Neubeginn
mußte Ina mit
Freude und Zuversicht erfüllen. Ob sich in Frankfurt auch
für sie sofort ein
Job finden würde, durfte durchaus erst einmal unwichtig sein.
Man lebte in der
Stadt, in der man arbeitete. Was war überhaupt eine
scheußliche Stadt? Gewiß
nicht die, durch die er jetzt nach dem Büro mit dem Fahrrad
fuhr.
Er trug noch seinen dunklen Nadelstreifenanzug, seine Uniform als
assistant
executive, wie er auf seiner neuen Visitenkarte genannt wurde, aber die
Krawatte
hatte er in die Rocktasche gesteckt, denn wenn man den
gekühlten Glasturm
verließ, in dem sein Büro lag, prallte man gegen die
Hitze wie gegen eine
Wand. Es war erst Juni, aber in Frankfurt schon heißer als am
Mittelmeer, wie
er von Ina wußte. Sie sprach von einem bedeckten Himmel und
geradezu ungemütlicher
Abendkühle am Golf von
Neapel, während sich
über Frankfurt ein blühendes
Hellblau spannte, das gegen Abend weicher wurde, aber noch lange nicht
verblaßte.
Außerhalb der Innenstadt waren die Straßen leer.
Das Fahrradfahren war ein
Dahingleiten durch streichelnde, gesättigte Luft. Selbst die
Autoabgase gaben
ihr, wenn er einmal solch eine Fahne streifte, gewürzhafte
Fülle. Eine gewisse
Schwere, eine gleichsam wattige Substanzhaftigkeit gehört
geradezu zur
Stadtluft. Viel Staub und Schmutz in der Luft gibt dem Licht eine
unvergleichliche Schönheit, wie jeder weiß, dem die
Sonnenuntergänge von
Delhi oder Mexico City vor Augen stehen - hinter den Rauchfiltern wird
die
Sonne riesengroß und verströmt eine in reinen
Sphären unbekannte rotgoldene
Pracht. Für solche Schauspiele war die Luft in Frankfurt
allerdings nicht
schmutzig genug, und exotische Lichtwunder wurden auch gar nicht
vermißt, wenn
Häuser und Vorgärten ihren biedermeierlichen
Abendfrieden ausstrahlten,
Feierabendstille, in die tatsächlich auch eine bimmelnde
Kirchenglocke klang.
Es mußte hier irgendwo eine Kapelle in der Nähe
sein, für eine große Glocke
war der Klang zu hell. Vor vielen Fenstern waren die Rolläden
heruntergelassen,
um die Sonne tagsüber abzuhalten. Und nun rumpelte es
überall leise, weil sie
hinaufgezogen wurden, um das ausgeschlossene Licht, dem endlich die
brennende
Hitze fehlte, wieder in die Zimmer fallen zu lassen. Die
Straßen, die er ohne
große Pläne durchfuhr, waren wohl vor hundert Jahren
angelegt worden. Die
Mietshäuser mit drei, höchstens vier Stockwerken
bestanden vielfach aus rotem
Mainsandstein, wenigstens die Torpfosten, das Sockelgeschoß
und die
Fensterumrahmungen waren rot, etwas Deutsches, Provinzielles hatte
dieser Stein,
eine gewisse burg- und kirchenhafte Düsterkeit. Jetzt aber war
er so sanft
beschienen, daß er geradezu von innen heraus strahlte.
"Wie wäre es, hier zu wohnen?" fragte sich der junge Mann und
blickte in ein
Eßzimmer, in dem eine schöne Lampe vor einem
großen Spiegel
brannte, ein
weiteres Zimmer schloß sich an, und durch das hintere Fenster
sah es grün
herein. Nein, niemals ein Erdgeschoß, dachte er dann, Ina
fürchtete sich und hätte
in einer Parterrewohnung nie bei offenem Fenster geschlafen. Aber man
konnte ja
auch in den ersten Stock ziehen, der gewiß ein wenig heller
war und dessen pompöser
kleiner Balkon eine dicke Barockbalustrade hatte. Auf diese Balustrade
würde
sie wohl Terracotta-Töpfe mit Buchsbaumkugeln setzen, wie die
Leute das hier
auch getan hatten. Eine Reihe von Häusern hier war derart
geschmückt, als
schlage das diskrete Innenleben durch die dicken Mauern hindurch nach
außen, um
den im Innern herrschenden Geschmack auch zur Straße hin
auszustellen. In der Wärme
des Sommerabends atmeten die starren Häuser und wurden zu
großen Klangkörpern,
wie von Musikinstrumenten, die leise hallen und dröhnen, wenn
sie angestoßen
werden oder wenn die Luft durch sie hindurchbläst.