Andreas und Regina Zeppelzauer: "Mord"
Die spektakulärsten
Mordfälle Österreichs
Psychogramme, Bilder und Berichte
Der
Mord ist die radikalste Durchbrechung allgemeinverbindlicher Sozialmuster. Oder
anders gesagt: Über den kategorischen Imperativ des Mordverbots - Du sollst
nicht töten! - konstituiert sich das Fundament einer jeden Zivilisation. Der Mörder
also, er ist ein Barbar, denn er handelt in einer Weise, die gedeihliches
Zusammenleben im Prinzip unterminiert. Und wenn wir einander zwar auch nicht
immer allzu hoch schätzen, zuweilen den Anderen in nerviger Gelauntheit gar zum
Teufel wünschen, so muss doch, ist man erst wieder bei Sinnen, das Lebensrecht
eines jeden Mitgeschöpfs als fundamentalster Anspruch jedenfalls außer Streit
gestellt bleiben. Denn ist der Mord eines Tages nicht mehr ganz allgemein als
schlimmstes Verbrechen geächtet, sondern z.B. als (aristokratisches) Vorrecht
einzelner Auserwählter oder auch sich souverän wähnender Individuen zulässig,
dann hat soziales Miteinander keinen Sinn mehr, dann ist jeder Begriff von
Humanität ab sofort erledigt.
Mord ist also allemal mehr als individuelles Töten. Mord ist die Negation des
Humanen schlecht hin. Eine Umwertung von für gemeinhin wünschenswerten Werten,
weshalb sich unter Anderem ein Friedrich
Nietzsche - wohl wissend warum - seinerzeit gegen
die Todesstrafe für
Mörder ausgesprochen hat. Wen wundert jetzt dann also noch, dass Morde die
Volksseele aufwühlen und als solcherart spektakuläre Ereignisse dem
Kollektivgedächtnis als punktuelle Schrecknisse verhaftet bleiben. Über die
Figur des Mörders manifestiert sich letztlich ein ganz sonderliches Heldentum,
worin nicht nur Monströses liegt, sondern ebenso ein radikaler Begriff von
Selbstsein oder von Freiheit zutage tritt, welcher das demokratische Selbstverständnis
eines modernen Empfindens in Frage stellt.
Ein vager Begriff von Freiheit, sehr wohl, wie
Jean
Paul Sartre dies in seinem gewiss nicht unumstrittenen und überdies
elitären Kult um "den Mord" (als Freiheitsakt) dermaleinst ebenso zum
Ausdruck brachte, denn immerhin, und die Soziologie des abweichenden Verhaltens
bestätigt dies, ist der Kriminelle in einem gewissen Sinne eine sozial
innovative Person. Er ist gegenüber dem Zwang zur konformistischen Anpassung an
geltende Normen resistent - ist Nonkonformist, indem er brachial wider jenes
Regelmaß handelt, das alle Umgangsformen bestimmt und als
Verinstitutionalisierung des Einzelmenschen dessen Eigentümlichkeit gefährdet.
Der Mörder ist Individualist und in diesem Sinne in Zeiten fortschreitender
Individualisierungstugenden als Typus keineswegs so unpopulär wie man
vielleicht meinen möchte.
Jede Nation hat sowohl ihre Helden als auch ebenso ihre Mörder. Ersteren
errichtet man Denkmäler und lobt ihre Taten, selbst wenn dabei in Strömen Blut
floss. Auch der Mörder wird gedacht - obgleich nicht an öffentlichen Plätzen,
sondern lediglich zwischen Buchdeckeln, ganz im Stillen. Ihre Prägnanz ist
nichtsdestotrotz von charismatischer Natur: Die Mörderin mit dem Engelsgesicht,
die Bestie von Steyr, der Blaubart von St. Pölten, und - eine österreichische
Berühmtheit - Elfriede Blauensteiner, genannt die schwarze Witwe. Man nimmt
ihnen Interviews ab, hofiert sie und rühmt ihren zuweilen berückenden Charme.
Dies alles freilich ohne all zuviel Respekt im Gestus. Wer würde schon vor
einem Mörder sein Haupt beugen? Er steht am Pranger öffentlicher Ächtung -
doch dort ist er der Star.
Andreas und Regina Zeppelzauer sind als gelernte Journalisten Meister der
Reportage. Und in diesem Stil ist letztlich auch des Autorenduos Buch zum
dunklen Thema "Mord" verfasst. Ihr Metier ist die mediale Recherche
und - dies gilt insbesondere für Andreas Zeppelzauer - die Berichterstattung zu
kriminellen Geschehnissen. Woraus letztlich resultiert, dass Andreas Zeppelzauer
nicht nur aus seinem Berufsalltag erzählt, sondern im Buch selbst zur
handelnden Person wird. Sein nicht ungewichtiger Beitrag zur Überführung eines
besonders skrupellosen und raffiniert agierenden Mörders trägt ihm dessen
unversöhnlichen Hass ein. An dieser Stelle wird die Reportage zur realen
Kriminalgeschichte. Die Drohungen des Schwerverbrechers gegen den mit der
Polizei kooperierenden Aufdeckungsjournalisten sind nicht lediglich Fantasie,
sondern wirklich.
Das Ehepaar Zeppelzauer schreibt also quasi aus dem Leben, bzw. aus eigener
Erfahrung. Im Rahmen der Veranstaltung zur Buchpräsentation, am Freitag dem 11.
November 2005 im Kriminalmuseum Wien, gestand Regina Zeppelzauer dann auch bange
Momente ein, als ihrer Familie infolge des unerschrockenen Engagements ihres
Ehepartners mit Auslöschung gedroht wurde. Ein Gefühl, das sich kaum
beschreiben lässt, aber wohl - so die Autorin - irgendwie zum Beruf dazu gehört.
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass der betreffende Mörder nicht so bald wieder
frei kommt.
Es war das Leben selbst, welches das Skript zum besprochenen Buch diktierte,
denn das Grauen ist immer schon in der Welt und liefert unaufhörlich Stoff zu
grauenhaften Erzählungen. Der Blick auf das Besondere verleiht dem Geist des
Grauenhaften eine menschliche Gestalt. In diesem Sinne interviewte Andreas Zeppelzauer
für die Zeitschrift "NEWS" die mehrfache Giftmörderin Blauensteiner,
welche - wusste man um ihre Schandtaten nicht - offenbar allemal den Eindruck
einer durchaus gewinnenden und scheinbar überaus lauteren Person machte. Und er
war - so liest es sich im Buch - in seiner Funktion als Journalist unmittelbar
in die Geschehnisse um ein ominöses Waffenlager und den Mord an der Sekretärin
eines stetig um mediale Aufmerksamkeit bemühten Exsträflings involviert.
Welcher, jener Haftentlassene, übrigens als ein Liebling der Medien galt, zumal
er mit viel Geschick die Rolle des zum anständigen Menschen gewandelten
Kriminellen zu inszenieren verstand. Mit Raffinesse konstruierte der Mann eine
Wirklichkeit, hinter deren netter Fassade gemordet wurde.
Die in chronologischer Abfolge zur Darstellung gebrachten Mordfälle ergeben
in Summe eine österreichische Kriminalgeschichte des Mordes - ausgehend von
den Nachkriegsjahren bis in die Gegenwart hinein. Ein "blutiger Streifzug",
der gewiss nicht einem Vollständigkeitsideal nacheifert, denn der eine oder
andere besonders prominente Mörder fehlt in der Auflistung. Etwa ein Udo Proksch,
dem es einst gelang, mächtige Persönlichkeiten der politischen Führungsschicht
in seinem Sinne zu korrumpieren, oder ein Jack Unterweger, Liebling einer intellektuellen
Schickeria, die den schlussendlichen
Serienmörder
zur ultimativen Verkörperung eines aus heutiger Sicht romantisch anmutenden
Resozialisierungsgedankens stilisierte. Die Abstinenz dieser Großkriminellen
ist ob ihrer Prominenz zwar auffällig, sie scheint jedoch dann plausibel, wenn
man bedenkt, dass deren soziale Milieus, Psychogramme und Mordtaten sich auf
knappem Raum kaum seriös abhandeln lassen. Zudem sind diese Persönlichkeiten
bereits literarisch ausgeschlachtet.
Im Zentrum der Betrachtungen stehen im vorliegenden Buch allemal der Werdegang
des jeweiligen Mörders, quasi seine kriminelle Biografie, des Weiteren die
zuweilen erstaunlich raffinierte Taktik und das Motiv (Gier nach Geld, sexuelles
Verlangen, Geisteskrankheit, Ekel, Geltungssucht oder auch die blanke Not wie im
Fall eines wegen seiner Homosexualität erpressten Ordnungshüters),
Ermittlungen durch die Verfolgungsbehörde, der Prozess, das Urteil und dessen
allfällige spätere Revision. Denn dass zuweilen auch Unschuldige oder Täter
aus Verzweiflung im Gefängnis landen, diese Problematik wird von den Autoren
ebenso wenig ausgespart, wie dass kriminelle Handlungen gelegentlich unmittelbar
oder mittelbar auf eine Kriminalisierung durch den Gesetzgeber (z.B.
strafrechtliche Diskriminierung sexueller Randgruppen) oder auf soziale Ächtung
zurückgeführt werden können. Denn so manche grundanständige Person wird aus
blanker Angst vor den Konsequenzen einer Bloßstellung zum Rechtsbrecher - im
Extremfall zum Mörder.
"Mord" kommt in seinen Beschreibungen spektakulärer Mordfälle im Großen
und Ganzen ohne viel Theorie aus. Weder findet sich eine ausformulierte
Soziologie der Schwerkriminalität, noch eine Philosophie des Mordes. Dieses
Theoriemanko mag vielleicht dem einen oder anderem Leser ärgerlich sein, doch
ist es seitens der Autoren nicht anders gewünscht. Dieses Buch erzählt nämlich
unmittelbar aus Grenzsituationen des Lebens, gibt die Dramatik dieser
Augenblicke wieder, erhellt nur allzu menschliche Hintergründe aus der
packenden Szene selbst, liefert jedoch nicht den rein tiefgründigen Gedanken
dazu. Ist doch mit Andreas Zeppelzauer ein Mann der Tat am Wort und Werk,
bekannt ob seiner Reportagen aus dem Mafia-Milieu sowie auch von den
Kriegsschauplätzen in Afghanistan, Kosovo, Albanien und Bosnien. Ein Reporter,
der wahrlich oft im Brennpunkt steht.
Was sollte er also das anscheinend Unabänderliche und vielmals Erfahrene dann
auch noch mittels einer Geste sezierender Gelehrtheit hinterfragen? Der Brudermord
ist seit jeher des Menschen Schicksal. Schon in den frühesten Menschheitsmythen
mordet Kain den Abel, und
Cäsar fiel einer
heimtückischen Verschwörung zum Opfer - was sollte es dazu weiterer Spekulationen
über die vorgeblich sündige Natur des Menschen bedürfen? Wohin führte das schon,
außer zu einer Generalisierung des Bösen in quasi theologischer Manier. Der
Mensch ist weder nur gut noch nur böse, doch hat er zuweilen im Leben Pech,
ist durch eine unglückliche Biografie gezeichnet und handelt gegebenenfalls
unter ungünstigen Verhältnissen, die ihn zwar nicht zwangsläufig zum Mörder
machen, doch sehr wohl dazu verleiten können. Die Autoren Zeppelzauer zeigen
nicht zuletzt am Beispiel der mehrfachen Mörderin Elfriede Blauensteiner, wie
rasch und fast schon moralisch korrekt ein Mensch in die Bahnen einer Mörderkarriere
geraten kann. In diesem Sinne sollte uns "Mord" nicht nur eine spannende Lektüre,
sondern sehr wohl auch eine Mahnung sein. Niemand scheint davor gefeit, sich
bei teuflischer Gelegenheit in eine reißende Bestie zu verwandeln.
(Harald Schulz; 11/2005)
Andreas und Regina Zeppelzauer: "Mord"
V. F. Sammler / Stocker, 2005. 219 Seiten.
ISBN 3-85365-215-8.
Buch
bei amazon.de bestellen
Andreas Zeppelzauer begann seine
journalistische Laufbahn als Sportfotograf bei den
"Vorarlberger-Nachrichten", bevor er einige Jahre als
Chronik-Journalist bei der Tageszeitung "Täglich alles" wirkte. Seit
1996 ist er bei Österreichs Nachrichten-Magazin "NEWS" als Reporter tätig.
Seine Einsatzgebiete waren unter anderem Afghanistan, Kosovo, Albanien und
Bosnien, wo er über das aktuelle Kriegsgeschehen berichtete.
Regina Zeppelzauer arbeitete einige Jahre als Redakteurin bei den Magazinen
"NEWS" und "TV-Media". Zwischenzeitlich schrieb sie als
freie Journalistin für verschiedene Kunden-Magazine, wie "Shopping
Intern" oder "Raiffeisenbank-Club News". Seit 2003 ist sie bei
"WOMAN Österreich" als Redakteurin in den Ressorts "Reise"
und "Home" tätig.
Ein weiteres Buch des Autorenduos:
"Die Wilderer"
Wie kam es zum Wildern? Wer waren die
Wildschützen, wogegen kämpften sie und wie entstanden die Mythen, die sich um
diese Rebellen rankten? Dieses Buch soll einerseits einen geschichtlichen Rückblick
über die Wilderei bieten, auch an Hand bekannter Wilderer ohne deren Taten zu
verherrlichen. Auf der anderen Seite soll es die Konflikte zwischen Wilderern
und Jägern, die immer wieder in Gewaltausbrüchen und sinnlosem Morden endete,
aufzeigen. Wie hart die Strafen für illegales Jagen einst waren und was
Wilddiebe im 21. Jahrhundert erwartet ist genauso Gegenstand des Buches
wie Wilddiebstahl in Not- und Kriegszeiten, der in der NS-Zeit meist im
Strafbataillon endete.
Dass die Wilderei auch heute noch weit verbreitet ist, sich aber die Beweggründe
teilweise drastisch verändert haben, ist ebenso ein Thema wie "unehrenhaftes
Wildern" aus reiner Profitgier. Wildschützschicksale der Jetztzeit in ganz Österreich
und dem benachbarten Bayern sollen zeigen, welche Faszination die illegale Jagd
nach wie vor auf viele Menschen hat. (V. F. Sammler / Stocker)
Buch
bei amazon.de bestellen