Ákos Molnár: "Zwölf Schritte"
Fatale
Vierecksbeziehung
Als der junge Gymnasiallehrer Professor Albert Tittelbach sich in die
bezaubernde Helga verliebt, die ältere Schwester seines kurz
vor dem Abitur
stehenden Schülers Egon, ahnt er nicht, dass aus dieser
scheinbaren Liebe
seines Lebens eine verhängnisvolle Beziehung resultieren wird.
Um die Liebe nicht zu gefährden, weigert sich Tittelbach,
Helga zu heiraten.
Denn er kennt nur unglückliche oder gescheiterte Ehen. Egon,
fünfzehn Jahre jünger
als Helga und von dieser aufgrund des Todes der Eltern erzogen, zeigt
sich zunächst
eifersüchtig, akzeptiert den sympathischen Lehrer jedoch
schließlich als
"Schwager". Trotzdem stellt er bisweilen einen Prüfstein
für die
Liebe zwischen Helga und Tittelbach dar, vor allem, als sich seine
jugendlich-überbordenden
sexuellen Wünsche auf Grete konzentrieren, das
Hausmädchen seiner Schwester.
Grete stammt aus einem bäuerlichen Umfeld; sie ist
mäßig hübsch und noch
Jungfrau. Dem sie massiv bedrängenden Egon hält sie
entgegen, dass sie einen Anderen
liebt, der sie niemals erhören wird. Egon forscht nach und
findet heraus, dass
es sich bei Gretes großer, scheinbar hoffnungsloser Liebe um
Tittelbach
handelt.
Dessen Begehrlichkeit richtet sich mittlerweile jedoch ebenfalls auf
Grete, ohne
dass er sich erklären kann, wie es dazu kommt, besitzt Helga
doch außer
Bildung und Stand auch eindeutig die größeren
körperlichen Vorzüge. Um sich
seiner unglückseligen Leidenschaft zu entledigen, oder um
Grete näher sein zu
können - wirklich klar scheint ihm das selbst nicht zu sein -,
heiratet er
Helga, doch sobald er mit Helga und daher mit Grete unter einem Dach
wohnt, kann
er sich nicht mehr beherrschen und wird von Grete leidenschaftlich
empfangen.
Nicht zuletzt aufgrund von Egons teils auf Eifersucht, teils auf Sorge
um Helga
beruhenden Nachforschungen erfährt die betrogene Ehefrau von
dem Verhältnis,
und es bahnt sich eine Katastrophe an.
Ákos Molnár, 1895 geboren und 1945 von Faschisten
ermordet, gehört zu jenen
ungarischen Schriftstellern, die in den letzten Jahren dem Vergessen
entrissen
wurden. Molnár schrieb mehrere historische Romane,
"Zwölf Schritte"
spielt jedoch im Berlin der frühen Dreißigerjahre.
Genau zwölf Schritte sind
es von Tittelbachs zu Gretes Bett.
Molnár hat diesen Roman anhand geschickt ersonnener
Spannungsbögen und mit
viel psychologischem Feingefühl konstruiert. Das darin
enthaltene Leitmotiv,
wenn man es so nennen kann, stellt
die Macht der Sexualität
dar, die in dieser
Geschichte die Existenz des freien Willens Lügen straft und
alle durch
gesellschaftliche Konventionen errichteten Schranken beiseite wischt.
Dieser
Problematik untergeordnet ist das Thema der sozialen Schichten, denn
eigentlich
hat Tittelbach seine Helga korrekt gewählt: Sie stammt wie er
aus dem Bildungsbürgertum
und scheint auch aus dieser Sicht für ihn die perfekte
Lebensgefährtin
beziehungsweise Ehefrau zu sein, fühlen sie sich einander doch
geistes- und
seelenverwandt. Grete hingegen als Bauerntochter gehört einer
untergeordneten
Klasse an und ist daher zum Dienen geboren. Dass sie sich weigert, die
dringlichen sexuellen Bedürfnisse des Sohnes ihrer
Dienstherrin zu befriedigen
- Tittelbach hat Helga zunächst sogar dazu überredet,
diese "natürliche"
Sache zu dulden -, gibt ihr bereits beinahe den Anstrich einer
Revolutionärin.
Und als sie Tittelbach schließlich, nachdem sie dessen rein
körperlichem
Verlangen nachgegeben und ihm ihre Jungfräulichkeit geschenkt
hat, für sich
allein will, wird der Aufstand offensichtlich.
Am Ende des Dreiecks-, vielmehr Vierecksdramas verlieren sie
zwangsläufig alle.
Molnárs Stil ist schnörkellos und flüssig,
anschaulich, in den dramatischen
Szenen jedoch dichter, gedrängter, exakt an die
Spannungsbögen angepasst. Auch
wenn dem heutigen Leser manches Element als fast schon rührend
altbacken
erscheinen mag, handelt es sich bei "Zwölf Schritte" doch um
einen
meisterlich ausgeführten Roman mit zeitloser,
bedrückender Thematik.
(Regina Károlyi; 11/2007)
Ákos
Molnár: "Zwölf Schritte"
(Originaltitel "Tizenkét lépés")
Aus dem Ungarischen von Christina Kunze.
Piper, 2007. 315 Seiten.
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Ákos Molnár, 1895 in Budapest geboren, strebte eine Karriere als Geiger an, bevor er im Ersten Weltkrieg einen Arm verlor und sich ganz auf das Schreiben verlegte. Zwischen 1926 und 1941 erschienen fünf Romane und drei Novellenbände von ihm. 1945 wurde Ákos Molnár zusammen mit seiner Frau im besetzten Budapest von einem Mitglied der antisemitischen Faschistenpartei erschossen.