Empar Moliner: "Salon Feli"
Barcelona - das ist jene Stadt, die 1992 Austragungsort der Olympischen Spiele war. Doch der Ort des Geschehens könnte genausogut eine andere westeuropäische Stadt sein, wie man mit einigem Genuss während der Lektüre feststellt, denn die beschriebenen Personen und Ereignisse sind keinem Europäer wirklich fremd ...
Haarige
Situationen unter der Lupe: Wer mit wem - und warum?
Die Geschichte beginnt etwas
abrupt mit einem schrägen Vorkapitel, worin der
schlichtgeistige Kraftlackel Onessifor Roldan, Besitzer eines
imposanten Gemächts, in einer geschenkten
Serranoschinkenkeule ein Bildnis Buddhas zu erblicken meint. Der
"heilige" Schinken darf natürlich nicht verzehrt werden,
sondern
erhält einen Ehrenplatz in einer Vitrine. Onessifor, seiner
nunmehrigen
Berufung folgend, rasiert sich also eine Glatze und stellt seine
Ernährung
radikal um. Etwas später schickt er Iolanda, seine Verlobte,
sozusagen in die Wüste,
unter anderem deshalb, weil sie seine spirituellen Flugversuche weder
verstehen kann noch will.
Im Folgenden macht der Leser die Bekanntschaft der im Gesicht
überaus behaarten
Sozialarbeiterin Tere Ranera, einer ebenso gebildeten wie
lebensuntüchtigen
Person, die lange davon geträumt hat, endlich erste sexuelle
Erfahrungen mit
einem Ex-Kriminellen in der von ihr betreuten Wohngemeinschaft zu
machen, denn
mit ihren 36 Jahren ist sie immer noch Jungfrau und staut ihre
Gefühle und
Sehnsüchte
zu schwülstigen Fantasien auf. Beinahe
überflüssig zu erwähnen,
dass das Beisammensein mit dem rohen "Strubbel" in einem Fiasko endet
und Tere nach wie vor krampfhaft ihrem ersten Geschlechtsverkehr
entgegenstrebt.
Wie auch immer, Tere ist gerade auf dem Weg zum Kosmetiksalon "Feli",
weil dessen Besitzerin, Felisa Martí, eine Familienhelferin
beantragt hat, die
sich um die pflegebedürftigen Großeltern
kümmern soll. Tereseta, "Tere",
muss beurteilen, ob die NGO diesem Ansuchen entsprechen wird oder
nicht. Wie es
die Berufsehre der Kosmetikerin erfordert, macht sich Feli
unverzüglich ans
Werk und lichtet die Augenbrauen und die Kinnbehaarung der
verunsicherten
Sozialarbeiterin, auch um diese für ihr Anliegen
einzunehmen.
Durch Verkettung unglücklicher Umstände kommt Felisas
Großmutter bald darauf
zu Tode, und Tere fühlt sich schuldig, sodass sie - als
Buße quasi - die Pflege
des Großvaters übernimmt, nachdem sie sich hat
umschulen lassen.
Feli, eine mit beiden Beinen fest im Leben stehende Person mit
treffsicherem
Mundwerk, hat von ihrem 45jährigen Ex-Ehemann Frederic,
genannt Fede, einen
ziemlich hässlichen Sohn, Bernart, bei dessen Anblick jeder
erschrickt. Die
Kosmetikerin hat seinerzeit als Maskenbildnerin zusammen mit Fede bei
einer
Kinderamateurtheatergruppe gearbeitet, und Fede schlägt sich
nach wie vor als
eher erfolgloser Stückeschreiber durch. Er ist
unfähig, sich eigenständig
Charaktere und Dialoge auszudenken und notiert daher ständig
Aussagen,
insbesondere jene seiner Ex-Frau, an der er immer noch interessiert ist
-
("Feli verkörperte die weibliche Intuition auf Erden")
- was ihn
jedoch keineswegs daran hindert, die beeindruckende Oberweite seiner
Ex-Schwägerin genauer in Augenschein zu nehmen; und es soll
nicht dabei bleiben
...
Fede schreibt gerade ein Stück mit dem Arbeitstitel "Zwei in
einem
Aufzug", doch die Geschichte wird von den realen Begebenheiten im
weiteren
Verlauf des Romans dergestalt beeinflusst, dass das Stück am
Ende unter
"Vier in einem Lastenaufzug", mit der ehemaligen
Leinwandschönheit
Glòria Bruni in der Hauptrolle, aufgeführt wird. Um
packende Monologe und
glaubwürdige Interaktionen niederschreiben zu können
versucht Fede, im
wirklichen Leben Schicksal zu spielen. Doch dass die Beziehungen
"seiner" Darsteller zueinander im Alltag gehörige Eigendynamik
entwickeln, ist nicht im Sinne des Erfinders, und so bezahlt er
schließlich
einen hohen Preis für sein Theaterstück.
Dann gibt es noch die sich parallel entwickelnde Geschichte von
Mercedes, "Mercè",
Felis Schwester, einer - wie bereits erwähnt -
üppigen Dame, geschieden, als
Verkäuferin billig nachgemachter Markenparfüms
beschäftigt. Deren Beziehung
zum Psychologen Sebas nimmt auf einer Unisex-Toilette ihren Anfang, als
Mercè
ihrem Kabinennachbar über die Zwischenwand hinweg
erklärt, wie man gewisse
Hemmungen ablegen könne ...
Als eines Tages der Opa mit seiner neuen Freundin spurlos verschwindet,
ist die
Familie in Aufruhr. Fede macht Onessifors Bekanntschaft in einem
Turnstudio,
Feli entdeckt ihre Begeisterung für den Buddhismus,
(eigentlich für Onessifor,
den sie nur auf diese Weise ködern kann), Tere verliert
endlich ihre Unschuld,
...
Es ist kein Fehler, den etwas zähen Beginn des Romans hurtig
zu lesen, denn
etwa nach den ersten hundert Seiten verdichten sich die diversen
Erzählstränge
zu einem amüsanten Beziehungsgewirr, die Ereignisse
überstürzen sich
geradezu, mit erstaunlichen Wendungen und trefflichen Einsichten
aufwartend.
Der flotte, filmhafte Roman der 1966 geborenen katalanischen Autorin
Empar
Moliner widmet sich genüsslich und mit Akribie den
Rivalitäten unter
Geschlechtsgenossen und bildet die köstlichen Eitelkeiten und
Schwächen der
Protagonisten feinsinnig ab, ohne dabei jemanden beleidigend vor den
Kopf zu
stoßen. Die verwinkelten Geschichten der einzelnen Figuren,
die allesamt im
Dunstkreis des "Salon Feli" herumschwirren, machen
den mit dem "Premio
Joseph Plá" ausgezeichneten Roman zu einem kurzweiligen
Lesevergnügen.
(Anja; 03/2003)
Empar
Moliner: "Salon Feli"
(Originaltitel "Feli, Estéticienne")
Aus dem Katalanischen von Theres Moser.
Kiepenheuer & Witsch, 2003. 314 Seiten.
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Empar
Moliner ist Autorin,
Journalistin, Schauspielerin und Kabarettistin. Sie lebt
in Barcelona.
Ein weiteres Buch der Autorin:
"Verführung
mit Aspirin"
Erzählungen
Zur Adoption entschlossene Pärchen im Gespräch mit
Psychologen,
Jugendliche
auf Sinnsuche, Frauen auf Abwegen.
Jenseits politischer Überkorrektheit, mit viel Gespür
für Situationskomik,
entwirft die katalanische Autorin ihre Figuren, die direkt aus den
Filmen von
Pedro Almodóvar stammen könnten.
Überlebenstipps für Paare: Eine Frau sitzt beim
Geschäftsessen ihres Mannes
mit am Tisch, mustert seinen Kollegen und hat plötzlich einen
Einfall: Sie will
ihn verführen, den Herrn im grauen Anzug. Und es geht ganz
einfach ... Oder
stellt sie sich die erotischen Szenen etwa nur vor?
Ein Ehepaar bekommt zur Silberhochzeit von den Kindern eine Reise nach
Tunesien
geschenkt. Im fremden Hotelzimmer, ohne Fernseher,
Telefon oder andere
Ablenkung
sind Mann und Frau plötzlich allein mit sich. Wie wird die
Nacht vorübergehen?
Ein drittes Paar beginnt sich vor den Adoptionsbeamten zu
streiten.
Bissig und schonungslos beobachtet Empar Moliner alltägliche
und manchmal
haarsträubende Szenen aus dem Leben von Paaren und nimmt dabei
die uns
vertrauten Rollenmuster unbarmherzig aufs Korn. (Verlag Klaus Wagenbach)
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