Christa Chorherr: "Mohammed"
Eine kurze Geschichte des Propheten
Dass
es sich bei der zu würdigenden Lebensgeschichte des Propheten
Mohammed, er lebte und wirkte zwischen 570 und 632 nach Christi Geburt,
nicht um eine historische, sondern um eine religiöse Biografie
islamischer Lesart handelt, wird der Leser spätestens an jener
Stelle erkennen, wenn Mohammed nach Jerusalem reist, um sich an diesem
heiligen Ort mit Jesus, Moses und anderen Heilsbringern
religiöser Mythologie zum gemeinsamen Gebet einzufinden.
Mohammed wird hierbei das Privileg des Vorbeters zugestanden. Hernach
betritt er vermittels einer Himmelsleiter die überirdischen
Paradiese. Dass es sich bei diesen Berichten nicht um die Beschreibung
von sozusagen biologischen Wahrheiten handeln kann, also um Wahrheiten,
die sich aus der Logik des Lebens ergeben und daran orientieren,
sondern dass es sich um religiöse Wahrheiten handelt, die als
solche erkannt und respektiert werden wollen, liegt auf der Hand.
An anderer Stelle zu Mohammeds Lebensgeschichte befiehlt Erzengel
Gabriel die Belagerung einer Festung. Das kriegerische Geschehen ist
durch die Geschichtswissenschaften grundsätzlich
verbürgt. Die Anordnung durch Erzengel Gabriel ist aber wohl
nur insoweit wirklich, als dass man dem Religiösen einen
eigenen Wirklichkeitsbereich zugesteht. Völlig missverstanden
ist Religion nämlich dann, wenn man sie mit Historie oder
Biologie verwechselt. Des Menschen Welt ist, dies unterscheidet ihn vom
Tier, in Wirklichkeitswelten eingeteilt. Das macht ihn menschlich, und
je mehr Welt, je mehr Welten seine geistige Dimension umfasst, desto
mehr nähert er sich jenem mythologischen Ideal einer
Gottgleichheit an.
Christa Chorherr, Ehepartnerin des selbst schriftstellernden Urgesteins
des österreichischen Qualitätsjournalismus -
Thomas
Chorherr -, Mutter des bekannten Grünpolitikers
Christoph Chorherr, ist selbst römisch katholischer
Konfession. Ihr Buch ist die Biografie des Propheten Mohammed im Geiste
des Islams. Was folglich fehlt, ist jegliche Kritik an der Person des
Gesandten Gottes und an seinem Lebenswerk. Kritische Aspekte, z.B. der
Wandel Mohammeds vom nonkonformistischen Propheten zum machtbewussten
Politiker und Kriegsherrn, werden ohne viel Hinterfragen ins Positive
gewendet. Und die - zumindest aus heutiger Sicht - höchst
fragwürdige Ehe des alternden Religionsbegründers mit
einem - so berichtet es die islamische Orthodoxie - Kind (Lieblingsfrau
Aischa sollte zum Zeitpunkt des Ehevollzugs zarte neun Jahre alt
gewesen sein), wird mit dem Hinweis auf ein "sehr junges"
Mädchen galant umschrieben, wobei der Autorin ernsthafte
Spekulationen zu Hilfe kommen, demnach das Mädchen Aischa
möglicherweise doch schon etwas älter gewesen sein
könnte.
Eine Katholikin schreibt also eine Biografie Mohammeds im Geiste des
Islams. Was für ein Unterfangen! Leichter wäre es,
obgleich in Hinblick auf muslimische Überempfindlichkeiten
gefährlicher, eine Kritik oder Schmähung des
Propheten zu verfassen. Christa Chorherr jedoch versuchte sich als
kulturelle Grenzgängerin. Ihr Anliegen ist es, einem
mitteleuropäischen Publikum jenen Mohammed näher zu
bringen, der für gläubige Moslems relevant ist.
Dieser Mohammed der Anderen soll nicht zuletzt über die
humanistischen Kernzüge des Islam aufklären. Nicht
Terror und Frauenunterdrückung seien demnach die eigentlichen
Wesenszüge dieser Religion, sondern Krieg und Kampf gelten als
ultima Ratio, Krieg und Terror gegen Zivilisten ist sowieso
verwerflich, keineswegs gottgefällig, und die Frau befindet
sich zwar eine Stufe unter dem von Gott ausgezeichneten Mann, sollte
überdies allemal recht sittsam sein, doch wurde ihre
rechtliche und gesellschaftliche Stellung unter Mohammed
gestärkt. Er selbst soll sich, so berichtet es Chorherr,
keineswegs zu schade gewesen sein, in den Haushalten seiner Ehefrauen
mitzuhelfen. Aischa bint Abu Bakr (614-678), jenes zur Lieblingsfrau
erkorene "sehr junge" Mädchen, in deren Armen der Prophet
nicht bloß verstarb, aber dies auch, und die ihn um
sechsundvierzig Jahre überlebte, wurde später zur
wichtigsten Quelle für Hadithen (mündliche
Überlieferungen), Ratgeberin der rechtgeleiteten Propheten und
oftmals befragte "Mutter der Gläubigen" bei der Kanonisierung
des Korans (Mohammed hatte kein Schrifttum hinterlassen). Die
Steinigung verheirateter Unzuchtstäter oder die
Gliedmaßenamputation bei schwerwiegendem Diebstahl ist durch
den Koran zwar festgelegt und als Wort Gottes nicht modifizierbar,
doch, so die Autorin, besteht kein Zwang, die Strafen auch zu
vollziehen, zumal Vergeben besser als Strafen ist.
Christa Chorherr dürfte sich der Schwierigkeit und Brisanz
ihres Vorhabens bewusst gewesen sein. Eine Biografie des Propheten
Mohammed zu verfassen, ohne selbst Kind der islamischen Kultur zu sein
und ohne akademisches Studium islamischer Theologie und Geschichte,
ist ein gar unmöglich’ Ding. Sie hat es trotzdem
versucht: Mit viel Liebe, Bienenfleiß und der
Unterstützung durch Schriftgelehrte des Islam. Wer nun im
Konkreten, also namentlich, die sachkundigen Ratgeber und theologischen
Korrektoren bzw. sekundierenden Gelehrten der islamischen
Religionsgemeinschaft waren, entzieht sich der Kenntnis des
Rezensenten, doch verweist die Buchpräsentation in der
Shura-Moschee in Wien-Leopoldstadt auf eine dezidiert weltoffene und um
interkulturellen Dialog bemühte Richtung innerhalb des Islam.
Imam der nämlichen Shura-Moschee (Shura steht
für ein demokratisches Prinzip im Islam) ist Scheich Mag.
Adnan Ibrahim, 1966 in Gaza geboren. In einer nach den
Anschlägen auf die U-Bahn in London veröffentlichten
Fatwa (ein religiöses Gutachten) legte der Scheich dar, dass
für Muslime in Österreich die religiöse
Pflicht bestehe, sofort und ohne Zwischenschaltung eines Imams die
Polizei zu informieren, wenn sie überzeugt sind oder annehmen,
dass jemand einen terroristischen Anschlag vorbereitet. Denn, so Adnan
im Interview mit dem Magazin "Öffentliche Sicherheit" 3-4/06,
die islamische Lehre sieht das Leben als das höchste Gut an.
Im Koran heißt es: Wer einen unschuldigen Menschen
tötet, handelt so, als ob er die ganze Menschheit
getötet hätte. Die Hochwertung des Lebens
schließt einen mitleidigen und fürsorglichen Umgang
mit dem Tier mit ein, denn eine Frau, die eine eingesperrte Katze
verdursten ließ, muss nach der
Prophetenüberlieferung am Tag des Jüngsten Gerichts
mit schwerer Bestrafung rechnen. Umgekehrt vergab Gott einer
Prostituierten alle ihre Sünden, weil sie einem Hund Wasser
gab und ihn so vor dem Sterben rettete.
Welche Islam-Gelehrten im Namentlichen nun also die Koautoren zu
Christa Chorherrs Buch gewesen sein mögen, wissen wir zwar
immer noch nicht, doch kommen sie offenbar aus einem Milieu, an dessen
humanistischer und tierethischer Gesinnung kein Zweifel bestehen kann.
Womit jetzt nicht gesagt sein soll, dass es der mutige Imam oder einer
seiner unmittelbaren Weggefährten gewesen sein
müsste, dagegen spricht auch einiges, doch deuten die
Umstände in ihrem Gesamtbild und die in der Schrift zu
erkennende freundliche Tendenz zu einer islamischen Frohbotschaft auf
das (geistige) Umfeld jener löblich weltoffenen Shura-Moschee
in der Wiener Leopoldstadt, wo sich der Islam als
religiös-intellektuelle Lebenspraxis versteht - offen
für jede kritische Frage, bei gleichzeitig gebotenem
wechselseitigen Respekt. Und möglicherweise ist ja genau diese
Haltung identisch mit der Geistes- und Gesinnungswelt der offiziellen
islamischen Religionsgemeinschaft in Österreich, die sich mit
höchster Prominenz zur Buchpräsentation in der
Shura-Moschee einfand, deren Wirkmacht mangels ausreichender
institutioneller Möglichkeiten allerdings bekanntlich
eingeschränkt ist. Denn leider gibt es an den
österreichischen Universitäten nach wie vor keine
Lehrstühle für islamische Theologie, wo
gemäß den Richtlinien eines weltoffenen Islam
Studenten der theologischen Islamwissenschaft zu faktisch staatlich
geprüften Imamen herangebildet werden könnten. Dieses
wäre in unser aller eigentlichem Interesse, doch
populärer ist es immer noch, den Moslems wichtige
Einrichtungen zur Stabilisierung und Pflege ihrer Kultur zu verweigern,
um sich zugleich über den Wildwuchs dubioser Subkulturen in
Hinterhofmoscheen zu beklagen.
Christa Chorherr bemüht sich in ihrem Buch um Gerechtigkeit
für den Islam und bezweckt in diesem Sinne, beim Leser ein
Verständnis zu erwecken, das zu Anerkennung führen
soll. Unabsichtliche Kränkungen sollten unbedingt vermieden
werden, insofern ihre Biografie auch kein wissenschaftliches Werk ist.
Ausdrücklicher Wunsch ist es, die Österreicher (und
Deutschen, Schweizer, ... Europäer) mögen sich mit
der Kultur ihrer Neobürger befassen, zumal es um den
diesbezüglichen Wissensstand der Österreicher/der
Europäer sehr dürftig bestellt sein soll. Letztlich
geht es um den Abbau von Aggression. Der in ihrer Latenzform
allgegenwärtigen Angstvision Eurabia (nach
zwei gescheiterten militärischen Eroberungsversuchen wird es
nun mit Mitteln der Demografie versucht) wird bei Chorherr das
Gemeinsame, der kultische Rückbezug auf die Legendengestalt
des Urvaters Abraham und eine (bei gutem Willen) lediglich in
Nuancierungen unterschiedliche Gesittung, entgegengestellt.
Es lässt sich kaum leugnen: Mit mancher seiner
Charakterzüge wirkt selbst Chorherrs freundlicher Mohammed
einschüchternd. Als Kriegsherr verhält er sich wie
der leibhaftige Widerspruch zu dem pazifistischen Jesus der Christen.
Eine vielleicht müßige doch zulässige
Frage, wie hätte sich Jesus an der Stelle Mohammeds verhalten?
Für Jesus, er hatte keine militärische Option, war
der Pazifismus angesichts einer übermächtigen
römischen Militärmacht die intelligenteste Strategie.
Seine Nachfolger sahen und handhabten es bereits anders:
Karl der
Große (nach seinem Tod vom Vatikan heilig gesprochen)
missionierte die heidnischen Völker ca. 200 Jahre nach
Mohammed mit Feuer und Schwert. Gewiss, Mohammed war auch Krieger, er
hatte die Option sich zu wehren und anzugreifen, und Mohammed - selbst
von rühmlich schöner Gestalt - war ein
Fürsprecher der sinnlichen Liebe (in der Ehe!) und sohin ein
Liebhaber der Frauen, deren gesellschaftliche Stellung er zu jener Zeit
gegenüber vorher deutlich emanzipierte. Denn er gestand ihnen
das Recht auf Auflösung der Ehe, auf Unterhalt durch den Mann,
auf Vermögensanteile und vieles Andere mehr zu. Mohammed
wertete die Frau als Trägerin von Rechten gehörig
auf. Des Weiteren schuf er eine an Wohlhabende adressierte Sondersteuer
zum Unterhalt von Armeneinrichtungen, betrieb mit Staatsmitteln die
Sklavenbefreiung, propagierte und praktizierte die Gleichwertigkeit der
Rassen, beseitigte tendenziell Standesunterschiede und ersetzte in der
erstaunlich kurzen Zeit von 25 Jahren die in Arabien wild wuchernde
Vielgötterei durch einen die arabischen Stämme zur
Einigkeit geleitenden Eingottglauben. Schlussendlich ist es dieser eine
transzendente Gott - Allah (al ilāh = der
Gott) - zu dem Juden, Christen und Moslems
gleichermaßen beten.
Keine Frage! Für Christa Chorherr ist der Islam nicht nur
europareif, sondern in seiner unverfälschten
religiösen Authentizität überdies eine
Bereicherung für Europa und die Welt. Mit ihrem Buch will sie
diese Sichtweise einem größeren Publikum zum
Verständnis bringen und hofft, hiermit einen Beitrag
für ein gedeihliches Miteinander der Kulturen zu liefern. Was
dieser - Chorherrs - Schrift, verglichen mit anderweitiger,
marktgängerischer um nicht zu sagen marktschreierischer Literatur
somit abgeht, ist die reißerische
Provokation, der kämpferische Tonfall, der Hohn, die
Gehässigkeit, aber eben auch die sachlich-wissenschaftliche und
vielleicht gerade
deswegen im religiösen Kontext verletzende
Kritik - was diese Schrift letztlich auszeichnet,
ist die Fülle schlichter Informationen zur Person des
Propheten Mohammed. Vermittelt über eine zu Wort gewordene
Gestik wechselseitiger Hochachtung und tief empfundenen Respekts
für die fragile Wahrheit des durch kulturelle
Unterschiedlichkeit differenzierten Mitmenschen. Ein Akt von geradezu
liturgisch zelebrierter Gerechtigkeit - einer Muslima im Geiste
würdig.
(Harald Schulz; 11/2006)
Christa
Chorherr: "Mohammed. Eine kurze Geschichte des Propheten"
Verlag Carl Ueberreuter, 2006. 160 Seiten.
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Buchtipps:
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Werner
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Ausbreitung - Kultur und Religion - Staat, Politik und Recht"
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