Alexandra Wehner: "Mörder unter uns"

Ungeklärte Verbrechen in Österreich


Fragwürdige Aufarbeitung älterer, noch ungelöster Kriminalfälle

"Ein Buch über ungeklärte Mordfälle zu schreiben ist verdienstvoll." So lautet der erste Satz des Vorwortes, verfasst von Prof. Dr. Gottfried Machata, einem bekannten Gerichtsmediziner aus Wien. Die Journalistin Alexandra Wehner kann dieses Verdienst mit ihrem hier vorliegenden Buch meiner Meinung nach allerdings nicht für sich in Anspruch nehmen. Zu reißerisch erscheinen mir die Darstellungen der zumeist an Frauen und Kindern verübten Gewalttaten abgefasst. Dem sich selbst auferlegten Anspruch, in ihrer Arbeit stets den Respekt in den Vordergrund zu stellen, der den Opfern und deren Angehörigen gebührt, kann die Autorin selten gerecht werden. Im Gegenteil - sie reißt durch ihren grobschlächtigen, sich an den niederen Instinkten des Menschen ausrichtenden Stil, alte Wunden wieder auf. Was müssen die Angehörigen der Opfer wohl empfinden, wenn sie beispielsweise lesen, dass ihr Kind, die kleine Rosi "auf dem Pfad in die Verdammnis" geht, weil am Ende des Weges eine Bestie auf das Mädchen lauert? Oder wenn sie mit Sätzen konfrontiert werden wie den folgenden: "Ein Ungeheuer, gnadenlos und böse. Voll ungezügelter Brutalität tötet er die 38-jährige Mutter und Geschäftsfrau. Ein qualvolles Sterben; und für den Sohn und seinen Vater die Pforte zur Hölle." Das mag ja alles den Tatsachen entsprechen oder entsprochen haben, doch etwas einfühlsamer, weniger sensationell aufgebauscht hätte es schon formuliert werden können.

Es sind zumeist schlagwortartige, kurze Sätze, oft nur Satzfragmente, die die Autorin ihren Lesern kredenzt. Aufmerksamkeit heischender Sensationsjournalismus im bewährten "Kronen"- oder "Bild"-Zeitungsstil. Einige Beispiele: "Seele der Hölle", "Diktator der Gewalt", "Spukgestalt des Todes", "Das Phantom mit dem Meißel, das zur blutrünstigen Bestie mutiert", "Der Weg in die Hölle", "Ein Ungeheuer, gnadenlos und böse", "Blutrausch, Exzess der Gewalt" und so weiter. Der Leser taumelt in der Tat durch ein Kaleidoskop von Gewaltdarstellungen, die Detailschilderungen, die Prof. Machata in seinem kurzen Vorwort hervorhebt, erschöpfen sich zumeist in bluttriefenden Beschreibungen des Tathergangs. Es liest sich tatsächlich so, als wäre Frau Wehner oftmals Augenzeugin der Tat gewesen. Beispiel: "Die Meißelhiebe entstellen ihr Gesicht, Margits Hilfeschreie, markerschütternd schrill, gellen durch das Haus. Doch dieses Monster lässt nicht ab von seinem Opfer, so unendlich erbarmungslos. Der Mann schleppt das halb tote Mädchen ins Wohnzimmer, vergewaltigt die Schwerverletzte, rammt ihr ein Messer in den Körper ..." Selbst vor so abstrusen Aussagen wie "Der Täter hat sein Opfer dreifach getötet: erschlagen, erstochen und erdrosselt", schreckt Frau Wehner nicht zurück. Und ob man durch das Schildern der Ängste und Leiden, die viele der Opfer ausgestanden haben müssen, ob man dadurch ihnen und den Gefühlen ihrer Angehörigen gerecht werden kann, das scheint mir auch mehr als zweifelhaft.

Dreißig ungeklärte Mordfälle werden auf etwa 140 Seiten abgehandelt, die meist kurzen Texte sind reichlich versehen mit Bildmaterial aus dem Archiv der "Kronen-Zeitung", auch jedes der Opfer wird mit Bild vorgestellt. Die Überschriften über diesen Porträts wie beispielsweise "Arsen für den Tanzlehrer", "Das Phantom mit dem Meißel", "Todesstiche am Karfreitag" oder "Die geköpfte Frau im Roggenfeld" lassen schon erahnen, welcher Art die dreißig Berichte sind, die auch alle nach einem mehr oder weniger ähnlichen Strickmuster ablaufen. Nach Ansicht der Autorin könnte ihr Buch eventuell dazu beitragen, dass der eine oder andere Fall doch noch aufgeklärt wird, was ich allerdings auch wieder bezweifeln möchte. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, schreibt Maximilian Edelbacher, letzter Vorstand des Sicherheitsbüros, in seinem Nachwort über Kriminalität in Österreich: "Spektakuläre Verbrechen sind die Würze des Kriminalgeschehens." Da erübrigt sich wohl jeder Kommentar.

(Werner Fletcher; 02/2007)


Alexandra Wehner: "Mörder unter uns. Ungeklärte Verbrechen in Österreich"
Verlag Carl Ueberreuter, 2007. 160 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:

Christa A. Tuczay: "Die Herzesser. Dämonische Verbrechen in der Donaumonarchie"

Nicht immer ging es in der guten alten Zeit so idyllisch zu, wie man glauben möchte. Seuchen, Hunger und Pest verheerten ganze Landstriche, und manch einer versuchte, sich das Leben durch Teufelsbund und Hexerei einfacher zu gestalten. So traten etwa die berüchtigten Herzesser auf: abscheuliche Serienmörder im modernen Jargon, die Menschen umbrachten, weil sie glaubten, sich dadurch unsichtbar machen zu können. Andere wieder, wie die Gräfin Báthory, konzentrierten ihre kriminelle Energie auf unschuldige Kinder. Die Obrigkeit reagierte mit Verfolgung und jahrelangen Prozessen, um ihnen das Handwerk zu legen. Handelte es sich um Ritualmörder? Um "kriminelle Genies"? Um gezielte Propaganda eben jener Obrigkeit?
In diesem hervorragend recherchierten Buch findet der Leser Aufsehen erregende Fallgeschichten in einer Art Dämonologie des Donauraums versammelt. (Seifert Verlag)
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