Jacques Le Goff: "Die Geburt Europas im Mittelalter"


Angebote aus der Vergangenheit für die Zukunft

In seiner Heimat Frankreich gilt Jacques Le Goff als Autorität der Geschichtsforschung. Und auch im benachbarten Ausland wurden dem ehemaligen Professor für mittelalterliche Geschichte Meriten zuteil. 1993 erhielt er den Historikerpreis der Stadt Münster, ein Jahr später den Hegel-Preis der Stadt Stuttgart. Beide Auszeichnungen kommen einem Symbol für die grenzüberschreitende europäische Idee Le Goffs gleich: "Europa wird gebaut. Getragen von großen Hoffnungen. Doch erfüllen werden sie sich nur, wenn sie der Geschichte Rechnung tragen. Ein geschichtsloses Europa wäre ohne Herkunft und ohne Zukunft. Denn das Heute entstammt dem Gestern, und das Morgen entsteht aus dem Vergangenen."

Ebenfalls der europäischen Idee verpflichtet, beschlossen fünf Verlage unterschiedlicher Sprache und Nationalität, nämlich C.H. Beck (München), Basil Blackwell (Oxford), Critica (Barcelona), Laterza (Rom und Bari) sowie Le Seuil (Paris), die Buchreihe "Europa bauen" herauszugeben. Den besten zeitgenössischen Historikern soll darin Platz eingeräumt werden, das Werden des abendländischen Kontinents in Form von Essays zu umkreisen. In einer Reihe mit Koryphäen wie Umberto Eco wurde auch Jacques Le Goff für das Unterfangen gewonnen. Mit "Die Geburt Europas im Mittelalter" möchte er grundlegende kulturelle Fragen aufrollen: Wer sind wir Europäer? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?

Nach Le Goff nimmt Europa mit dem Ende des Römischen Weltreichs Gestalt an, als die "relative Einheit des Mittelmeerraums" zerbrach und die mediterran-romanische Kultur während der nachfolgenden Jahrhunderte langsam mit der keltischen, germanischen oder slawischen zu verschmelzen begann. Das Aufkommen des Christentums machte dabei den Kitt über alle Trennungslinien hinweg aus; es verlieh "ein gemeinsames Bewusstsein, das, nach und nach säkularisiert, ein europäisches Bewusstsein geworden ist."

Im Jahr 395, als Kaiser Theodosius unter seinen Söhnen das Römische Reich in zwei Hälften teilt (Honorius erhält den Westen mit Sitz in Rom, Arcadius den Osten mit dem Zentrum Byzanz), setzt Le Goff die historische Zäsur zwischen Antike und Mittelalter. Das östliche Reich nimmt fortan immer mehr eine eigene Entwicklung samt separater orthodox-christlicher Religion und griechischer statt lateinischer Schrift, aus der sich im 10. Jh. das Kyrillische entwickelt (Eine Trennung, die bis heute anhält). Im Westen hingegen geschieht die „Empfängnis Europas“.

Das erste Großkapitel in "Die Geburt Europas im Mittelalter" benennt Le Goff alsdann auch "Empfängnis Europas", chronologisch gefolgt von "Ein fehlgeborenes Europa", "Das erträumte und das mögliche Europa des Jahres Tausend", "Das feudale Europa", "Das schöne Europa der Städte und Universitäten" und "Herbst des Mittelalters und Frühling neuer Zeiten?".

I) "Empfängnis Europas" (4.-8. Jh.)
In der zu Ende gehenden Antike, im Jahr 313, wird das Christentum durch das Mailänder Edikt als Religion anerkannt, von Theodosius dem Großen (347-395) sogar zur Staatsreligion erhoben. Europas spirituelles wie völkerübergreifendes Bindemittel gewinnt an Anziehungskraft. Der Eremit Hieronymus (ca. 347-420) übersetzt die Bibel ins Lateinische ("Vulgata"), Kirchenvater Augustinus (354-430) liefert mit seinem Werk "Vom Gottesstaat" das dazugehörige ideologische Richtwerk ab. Gregor der Große (um 540-604) treibt - von Endzeitangst getrieben - eine Missionierung der "Heiden" voran. Die während der Völkerwanderung nach Westen und Süden vorgedrungenen Germanenvölker treten der Reihe nach zum Christentum über, seien es die Ostgoten unter Theoderich (488-526) in Italien, die Franken unter Chlodwig (466-511) in Gallien oder die Westgoten in Spanien, wo auch die ersten religiös motivierten Pogrome gegen Juden einsetzen. In alle Windrichtungen ziehen Missionare aus, um Iren, Angelsachsen oder Slawen zum "rechten Glauben" zu bekehren. Ab dem 7. Jahrhundert treten Erzbischöfe als oberste regionale Vertreter des Papstes auf die Bühne der Geschichte und unterteilen die Länder in Kirchenprovinzen (Erzdiözesen). Das Mönchtum setzt derweilen neue chronologische Maßstäbe, als die Woche einen biblischen Sieben-Tage-Rhythmus erhält, und Dionysius Exiguus im Jahr 532 das Geburtsjahr Christi rechnerisch zurückverfolgte (und sich um vier Jahre irrte). Schon zwei Jh. zuvor war der Geburtstag des Gottessohnes festgelegt worden - und zwar auf den 25. Dezember; ein geschickter politischer Schachzug, um den Kult des "unbesiegbaren Sonnengottes", dem am selben Tag Feiern zuteil worden waren, christlich zu überdecken. Parallel zur Akkulturation setzt die Verdrängung heidnischer Heroen und Halbgötter durch christliche Märtyrer und Heilige ein. Nach der Ausrottung der arianischen "Ketzer" droht dem römisch-katholischen Christentum vorerst nur eine Gefahr: der aus Arabien stammende Islam, welcher seit dem Tod des Propheten Mohammed, 632, rasant Nordafrika überrollt hatte und bis 719 weite Teile der iberischen Halbinsel kontrolliert. 732 kommt es bei Poitiers zur entscheidenden Schlacht der beiden expansionistischen Glaubenssysteme. Das christliche Frankenheer unter Karl Martell (688/9-741) trägt den Sieg davon und stoppt die weitere Ausbreitung der Muslime in Westeuropa.

II) "Ein fehlgeborenes Europa" (8.-10. Jh.)
Im Laufe des 7. Jahrhunderts zerfällt die Macht des fränkischen Königsgeschlechts der Merowinger. Als eigentliche Regenten schalten und walten dessen oberste Beamte ("Hausmeier") aus der Familie der Pippiniden. Karl Martell entstammte dieser Lütticher Familie. Sein Sohn, Pippin der Kurze (714-768), stürzt die Merowinger endgültig und lässt sich 751 zum König krönen. Nicht nur das, nach biblischem Vorbild empfängt er die Salbung durch die klerikalen Vertreter Gottes. Damit geht seine Familie ein enges Bündnis mit der Kirche ein, die dem Königtum der Frankenherrscher sakralen Charakter verleiht. Vom Heiligen Geist gekrönt, sieht sich Pippin als weltliches Oberhaupt der Christenheit. Mit Hilfe der Mönche Bonifatius und Winfried treibt der Frankenregent die Christianisierung der noch dem alten Glauben anhängenden Friesen und Sachsen voran. 768 wird Karl der Große (747-814) König - und am Weihnachtstag des Jahres 800 in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt. Er verfolgte eine stark nationalistische Politik, das Gesetz der Franken soll für Burgunder, Goten, Langobarden und Andere ebenso Gültigkeit haben. Jacques Le Goff bezeichnet diesen strategischen Entwurf als "kurzlebig" und "gescheitert".
Zur Zeit Karls des Großen ist das Frankenreich ein Land der Bauern und Krieger. Alle Freien müssen im Ernstfall dem König Waffendienst leisten und für ihre Ausrüstung selbst aufkommen. Das Herzstück des fränkischen Militärs macht die gepanzerte Kavallerie aus. Die schlagkräftige Armee bleibt dennoch verwundbar, wie die Niederlage von Karls Neffen Roland gegen die Basken belegt ("Rolandslied"). An seinen Residenzen versammelt der Analphabet Karl der Große die bedeutendsten Gelehrten der Zeit ("Karolingische Renaissance"). Wissen ist für den Kaiser gleichbedeutend mit Macht.
814 wird Karls Reich unter seinen Söhnen aufgeteilt. 842, in den Straßburger Eiden, dem ersten offiziellen Text, der sich der so genannten Volkssprachen bedient, treten Altfranzösisch und Altdeutsch urkundlich in Erscheinung. Immer mehr kristallisiert sich eine Teilung in ein Westfrankenreich bzw. ein Ostfrankenreich heraus, bewohnt von zwei Völkern, die fortan über viele Jahrhunderte Kriege gegeneinander führen werden: Franzosen und Deutsche. Karls vereintes Europa erweist sich als politische Fehlgeburt.

III) "Das erträumte und das mögliche Europa des Jahres Tausend"
962 setzt Papst Johannes XII. in Rom dem deutschen König Otto I. die Kaiserkrone auf. Es schlägt die Geburtsstunde des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, einem Gebilde, das in mehr oder weniger konsolidierter Form fast ein Jahrtausend Bestand haben sollte. Die herausragende Rolle innerhalb der weltlichen Christenheit wechselt von den Franzosen zu den Deutschen (wobei es so etwas wie ein völkisch-deutsches Nationalgefühl bis ins 19. Jh. nicht gibt) . Mit den Ottonen, nicht den Karolingern, beginnt bei Le Goff das einheitliche "erträumte Europa". Sukzessive setzt sich das römische Christentum auch in Skandinavien und bei den Normannen (Normandie, Sizilien) durch, ebenso bei den Kroaten und sogar beim kriegerischen Steppenvolk der Ungarn, das nach seiner Niederlage am Lechfeld (955) fixer Bestandteil des Abendlandes wird. Auf der spanischen Halbinsel kommt es kurz nach der Wende des Jahres Tausend zur Rückeroberung (= Reconquista) der maurisch-islamischen Territorien durch christliche Heere. Und Santiago de Compostela, im Nordwesten Spaniens, avanciert zum drittheiligsten Wallfahrtsort nach Jerusalem und Rom. In vielen Texten tritt das Wort Europa als Sinnbild des Abendlandes hervor, unter anderem auch auf dem in Bamberg aufbewahrten Sternenmantel Kaiser Heinrichs II. (†1024): "Heil sei dir, du Zierde Europas (...)"

IV) "Das feudale Europa" (11.-12. Jh.)
Die Feudalzeit des Mittelalters ist für Le Goff "die Periode, in der sich die Christenheit festigt, ist der Beginn des großen Aufschwungs, der schließlich Europa hervorbringen wird." Begünstigt wird dieser Aufschwung durch optimale klimatische Bedingungen. Zwischen 900 und 1300 erhöht sich die Durchschnittstemperatur um ein bis zwei Grad, wobei die Feuchtigkeit gering bleibt; eine Zeit idealer Voraussetzungen für den Ackerbau. Die Erfindung des Pfluges macht die Arbeit auf den Feldern effizienter. Und durch Einführung der Dreifelderwirtschaft (ein Feld bebaut, eines zur Erholung brachliegend, eines mit Hülsenfrüchten bebaut) können zwei Ernten im Jahr eingefahren werden. Die Benutzung des Tisches in der heute bekannten Form ist ebenfalls eine Innovation dieser Epoche.
Gesellschaftlich gewinnt der Blutadel immer mehr an Ansehen. Der Kirche gelingt es aber, das weltliche Rittertum rituell an sich zu binden (Waffensegen, Schwertleite) - und so einigermaßen zu kontrollieren. Zudem breitet sich das Ideal der höfischen Liebe aus - getragen von den Minnesängern. Ein Zentrum kultureller Blüte macht der Hof Königin Eleonore von Aquitaniens (~1122-1204) aus. Gegen Ende des 12. Jh. kommt es am westlichsten Ende Europas zur Niederschrift der Sagas ("Edda"). In Paris geht Pierre Abelard (1079-1142), jener Mann, der das Wort "Theologie" kreierte, neue Wege in der Gottessuche: "Der erste Schlüssel zur Weisheit ist die beharrliche Hinterfragung", formuliert er - und nimmt damit die Scholastik des nächsten Jh. vorweg. Weit mehr Bekanntheit erlangt der Geistliche allerdings durch die verbotene Beziehung mit seiner Schülerin, welche in die Literaturgeschichte als "Abelard und Heloise" eingehen soll. Stichwort Geschlechter: Auf Drängen des Klerus wird die Ehe endgültig zur monogamen Institution, bei der Inzucht (bis in die vierte Generation) zum Ärgernis des durch Blutlinien intern verbundenen Adels Untersagung findet.
Seit Gregor VII. (Papst von 1073-1087) kämpft die Kirche immer mehr gegen die Einmischung von Laien in Glaubensangelegenheiten, vor allem gegen jene des deutschen Kaisers. Zum Zentrum des katholischen Fundamentalismus wird das französische Kloster Cluny. Urban II., ein kluniazensischer Papst, ruft 1095 in Clermont zum Kreuzzug gegen die Muslime und zur "Befreiung" Jerusalems auf. 1099 wird die "Heilige Stadt" vom Kreuzfahrerheer tatsächlich eingenommen. Der Zisterziensermönch Bernhard von Clairvaux avanciert zum Chefideologen des "heiligen Krieges". 1187 erobert Sultan Saladin Jerusalem unterm Banner des Propheten zurück. Kaiser Friedrich Barbarossa, wie auch Englands König Richard Löwenherz und Frankreichs Philipp II. August ziehen daraufhin gegen die Muslime zu Felde. Der Erste ertrinkt ohne Feindeinwirkung im Fluss, die beiden Anderen zerstreiten sich; ein Fiasko. Immer mehr gerät die Kreuzzugsidee in die Krise. 1291 scheitert sie mit dem Fall der Festungen von Akkon und Tyrus gänzlich. Ein Nebeneffekt der croisades ist die Entstehung geistlicher Ritterbünde wie der Johanniter, des Deutschen Ordens oder der Templer. Letztere verzeichnen bis zu ihrer Vernichtung durch den König von Frankreich einen rasanten Machtzuwachs, wie Alain Demurger, ein anderer renommierter französischer Historiker in "Die Templer - Aufstieg und Untergang: 1120-1314" belegt.
Theologisch erfindet die Kirche das Fegefeuer, führt die Angstvorstellung des Teufels als obersten Heerführer aller höllischen Scharen ein, treibt die Marienverehrung voran und geht gegen Häretiker in den eigenen Reihen vor. Petrus Venerabilis, Abt von Cluny 1122-1156, legt mit den drei Traktaten "Die großen Bedrohungen der Christenheit" eine Art Handbuch der katholischen Orthodoxie auf. Papst Innozenz III. ruft 1208 Kreuzritter dazu auf, gegen die Katharer (von denen sich das Wort "Ketzer" ableitet) zu ziehen. Durch Blutbäder und Verwüstung wird der (vor allem in Südfrankreich) starke Einfluss dieser Glaubensgemeinschaft gebrochen. Parallel dazu setzen Pogrome gegen Juden ein, in England wie im Rheinland oder in Spanien; sie stehen im Verdacht der "Kindesopferung" und "Hostienschändung". 1232 richtet Papst Gregor IX. neben den bischöflichen Gerichten eine zweite kirchliche Judikative ein, die Ketzer in der gesamten Christenheit aufspüren und vernichten sollte, die Inquisition.
In Frankreich und Kastilien nehmen Feudalmonarchien mit zentralistischer Verwaltung und Hauptstädten Konturen an. Der König von Frankreich, ständiger Antagonist des deutschen Kaisers, bleibt - von Ausnahmen abgesehen - dem Papsttum in Rom besonders eng verbunden. Seit Robert dem Frommen (996-1031) schmücken Lilienblüte und blaue Farbe - Symbole des Marienkults - sogar das königlich französische Siegel. Das angelsächsische England wird 1066 von den Normannen unterworfen. Maßgeblich für das Nationalgefühl des anglo-normannischen Königreichs wird ein Buch, die "Historia regum Britanniae" (um 1136) des Geoffrey of Monmouth, in dem die glanzvolle mythische Vergangenheit der Briten unter König Artus beschworen wird.

V) "Das schöne Europa der Städte und Universitäten" (13. Jh.)

Jacques Le Goff: "Das 13. Jahrhundert gilt als Höhepunkt in der Entwicklung des mittelalterlichen Abendlands." Nach Ansicht des französischen Historikers wächst die "Christenheit" in dieser Ära zu einer "starken Persönlichkeit" heran. Kennzeichnend ist die Ablöse des ländlichen Europas des Frühmittelalters durch ein Europa der Städte. Ja, der ruralen Bevölkerung haftet mehr und mehr der Makel des vilani, des ungehobelten, brutalen Bauern an (im Engl. hat sich das Wort "villain" für "Schurke" bis heute erhalten). Im Gegensatz dazu bilden die Städte Schmelztiegel für neue ökonomische wie auch intellektuelle Institutionen. Bauer sein bedeutet meist Hörigkeit, Städter sein hingegen Freiheit ("Stadtluft macht frei"). Bedeutende urbane Zentren weisen eine Einwohnerzahl über Zehntausend auf. Palermo und Barcelona mit 50.000 bzw. Gent, Genua und Córdoba mit 60.000 stellten außergewöhnliche Ballungszentren dar. Noch mehr Menschen leben in Bologna (70.000), Mailand (75.000), Venedig oder Florenz (100.000). Die Metropole schlechthin ist Paris mit für die damalige Zeit unglaublichen 200.000 Einwohnern.
Nachdem die Kirche Händler vom negativen Nimbus des "Wucherers" befreit hatte, - ein Stigma, das nur mehr jüdischen Geldverleihern anhaftet - wächst der ökonomische Austausch unter den Städten rapide. Zwei merkantile Zentren kristallisierten sich heraus. Im Norden der Städtebund der Hanse, welcher über Ost- und Nordsee Handel von Nowgorod bis England treibt; im Süden italienische Stadtstaaten wie Venedig, Genua oder Florenz, die das Geschehen vom Mittelmeerraum bis Asien dominieren. Städte wie Brügge oder Köln schwingen sich zu wohlhabenden Handelsplätzen zwischen beiden Epizentren auf.
Le Goff: "Neben dem Europa der kommerziellen Arbeit entstand ein Europa der intellektuellen Arbeit."

Ein neuer Intellekt hatte sich zu rühren begonnen, die Scholastik, eine mittelalterliche Wissenschaft, die Gottes Wirken aufgrund der Vernunft zu belegen versucht. Basierend auf Lehren des Aristoteles und arabischer Denker wie Averroes machen vor allem die Dominikaner Albertus Magnus (1200-1280), ein Deutscher, sowie Thomas von Aquin (~1226-1274), ein Italiener, von sich reden. Beide studieren und lehren an der Universität von Paris, der zweitältesten des Kontinents (1174), die auf Theologie spezialisiert ist. Die älteste universitäre Lehrstätte überhaupt liegt in Bologna (seit 1154); ihres Zeichens um die Rechtswissenschaften zentriert. In Montpellier steht hingegen vor allem Medizin am Lehrplan. Bald folgen weitere Universitätsgründungen in Oxford, Cambridge, Neapel, Lissabon oder Salamanca. In der Hierarchie der Lehre genießt Theologie das meiste Ansehen, gefolgt von Jus und Medizin. Die artes liberales rangieren an unterster Stelle (Trivium aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik; Quadrivium aus Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik). Unterrichtssprache ist Latein. Das Studium steht Adligen, Städtern wie Bauern offen, dauert aber Jahre und verläuft kostspielig, weshalb nur wenige den Abschluss als Magister schaffen. Dieser akademische Grad findet im gesamten christlichen Abendland Anerkennung. Um mehr Fachmänner heranzuziehen, gründen Mäzene Kaderschmieden wie die Sorbonne (Paris) oder Merton (Oxford). Begabten soll ohne finanzielle Sorgen ein Heranwachsen zu Experten ihres Faches ermöglicht werden. Aufgrund der steigenden Zahl von Studierenden, Gelehrten, Ärzten oder Juristen floriert auch die Buchkultur. Le Goff: "Ein Europa christlicher Mandarine kündigte sich an."
Nach dem Prinzip actio : reactio bildet sich eine Gegenströmung zur Scholastik heraus, getragen von christlichen Mystikern wie Wilhelm von Ockham (~1285-1347) oder Meister Eckhart (~1260-1328), doch im Endeffekt gewinnt die Scholastik eines Thomas von Aquin die Oberhand. Bemerkenswert ist das Aufkommen von Bettelorden wie der Franziskaner. Dadurch, dass sie Laien wieder verstärkt miteinbeziehen, rufen Franziskus’ Nachfolger eine neue Volksfrömmigkeit hervor. Sichtbarstes Zeichen der christlich-europäischen Selbstsicherheit ist aber ein himmelsstürmender Architekturstil, der in den französischen Städten entstanden war und bald auf das gesamte Abendland übergreift: die Gotik. Notre Dame, die Kathedralen von Amiens oder Chartres, die Dome zu Köln bzw. Wien - alle zeugen von einer grenzüberschreitenden spirituellen Identität.
Mitte des 13. Jh. erschüttert der Mongoleneinfall das christliche Europa. Die bogenschießenden Reiterheere aus der Steppe Zentralasiens scheinen den Westlern wie Ausgeburten der Unterwelt, des Tartaros, weshalb sie unter dem Sammelnamen "Tartaren" zum Synonym des Schreckens aus den Tiefen des Ostens werden. Eine europäische Urangst ist neu angefacht worden; jene vor den "Barbaren", egal ob Perser, Skythen, Hunnen, Awaren, Ungarn, Mongolen oder späterhin Türken - immer kommt die Invasion vom Sonnenaufgang. Der Mongolensturm macht gleichsam den Vorboten für das dunkle 14. Jahrhundert der europäischen Geschichte aus.

VI) "Herbst des Mittelalters oder Frühling neuer Zeiten?" (14./15. Jh.)
Eine Epoche von Gewalt, Hunger und Krankheit erfasst im Laufe des 14. Jh. weite Teile Europas. Im Norden des Kontinents verschlechtert sich das Klima zwischen 1315 und 1322 drastisch, verheerende Ernteausfälle sind die Folge. 1347/8 zieht von Genua ausgehend der Schwarze Tod, die Beulenpest, durch das Abendland. Innerhalb von nur 24 bis 36 Stunden sterben die Infizierten. Mit der Pest einher laufen andere Epidemien wie Typhus, Pocken oder Scharlach. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte der europäischen Bevölkerung von diesen Seuchen dahingerafft wird. Alleine in England fällt die Einwohnerzahl bis 1400 von sieben auf zwei Millionen. Viele sehen einen Vorboten der Apokalypse gekommen, das "Memento mori" ("Bedenke, dass du sterblich bist") macht die neue Grundlage der Frömmigkeit aus. Der florentinische Dichter Boccaccio (1313-1375) geht hingegen im "Decamerone" mit der Pest leichtfüßiger um - auch eine Möglichkeit der Realitätsbewältigung. Weite Verbreitung findet ein makabres ikonografisches Motiv: Der Tod in Form eines Skeletts. Doppelt Leidtragende der Seuchen sind die Juden, die von vielen Christen als Urheber der Pest ("Brunnenvergifter") bezichtigt werden.
Angestachelt durch Hunger und Willkür der Obrigkeit flammen europaweit Bauernaufstände auf. Überhaupt setzt eine Militarisierung der Gesellschaft ein. Nachdem zwischen 1325 und 1345 das Schießpulver von China nach Europa eingeführt worden war, gehen Kanonen reihenweise in Produktion. Burgen haben bald ausgedient und werden durch massivere Festungen ersetzt. Berufssoldaten, meist Söldner, bieten ihre Dienste an. In Italien sorgen sie als condottieri für Schrecken. In der Bretagne, in Burgund oder Kastilien toben Kriege. Die Seemächte Genua und Venedig liegen in Dauerfehde, Frankreich blutet unter dem Hundertjährigen Krieg gegen England. Schließlich bekämpfen sich auch noch zwei verfeindete Päpste. Der eine residiert weiterhin in Rom und findet Unterstützung bei Italienern, Engländern, Ost- und Nordeuropäern sowie beim deutschen Kaiser, der andere, von Frankreich, Kastilien und Schottland gefördert, sitzt ab 1305 in Avignon.
Der Herbst des Mittelalters geht in den Winter über. In der Schlacht bei Tannenberg (1410) verliert der Deutsche Orden gegen die Russen. Damit ist der Anfang vom Ende des Rittertums eingeleitet. Gleichzeitig tauchen neue Feindbilder der Kirche auf. In Böhmen etwa die reformistische Christengruppe des Johannes Hus, der 1415 am Scheiterhaufen sein Ende finden sollte. Seine empörten Anhänger, die Hussiten, nehmen Prag in Besitz und führen Krieg gegen die Katholiken. In England übersetzt der Oxforder Doktor der Theologie John Wyclif (1320-1384) die Bibel in die Volkssprache seines Landes und prangert Irrlehren des Klerus an. Seine Lollarden werden ebenso vernichtet wie die tschechischen Hussiten, doch liegt in beiden Gruppierungen der Kern für die Reformation des 16. Jh. Nachdem die neuen häretischen Strömungen zerschlagen sind, sucht die Inquisition nach einem neuen Betätigungsfeld - und findet es in Form der Hexenverfolgungen. Die Dominikaner Institoris und Sprenger liefern 1486 mit dem "Hexenhammer" das grausige Handbuch für Folter und Aberglauben. (siehe: Rainer Decker, "Hexen - Magie, Mythen und die Wahrheit")
Doch auch Gutes geschieht. 1454 hat Johannes Gutenberg in Mainz den Buchdruck erfunden, ein Novum, das bald ganz Europa zu literarischem Aufschwung verhilft. Und in Florenz "beginnt, was man Renaissance nennen wird" (Le Goff); von Dante Alighieri (1265-1321) bis Leonardo da Vinci (1452-1519).
Im Laufe des 15. Jahrhunderts treten neue Mächte auf die Bühne der Geschichte. Polen und Ungarn werden zur Ostgrenze des römischen Christentums. Brandenburg (das spätere Preußen) und Sachsen gewinnen an Macht. Le Goff: "Den größten Aufstieg erlebt Österreich"; sowohl was den politischen Einfluss innerhalb des Hl. Römischen Reiches betrifft als auch hinsichtlich territorialer Erweiterungen. 1492 beenden England und Frankreich im Vertrag von Étaples den 100-jährigen Krieg. Alle kontinentalen Besitztümer (mit Ausnahme Calais) gehen an den König von Frankreich. Damit wächst Frankreich zur Großmacht, da es bereits 1449 die Normandie, 1482 Burgund annektierte und 1499 die Bretagne folgen sollte.
Eine schiffbauliche Erfindung, die Karavelle, ermöglicht den europäischen Seemächten weitreichenden Handel sowie weltweite Entdeckungsfahrten. Zwei der Columbus-Schiffe, mit denen er 1492 in Amerika landet, waren Karavellen. Im Vertrag von Tordesillas (1494) teilt Papst Alexander VI. alsdann alle noch zu entdeckenden Gebiete der Neuen Welt unter den christlichen Mächten Spanien und Portugal auf.
Le Goff: "Ich schlage meinen Lesern vor, das Ende des 15. Jahrhunderts als einen wichtigen Haltepunkt der mittelalterlichen Geschichte Europas zu betrachten (...)" Das Abendland hat sich danach gewandelt. Ein Übergang vom christlichen Mittelalter mit seiner Grundidee des einheitlichen Reichsgedankens zu Nationalstaaten mit primär kolonialen und merkantilen Interessen geschieht. Die neuen europäischen Nationen schwingen sich zu Hegemonialmächten auf. Einziger ernstzunehmender Widersacher bleibt das islamische Osmanische Reich mit Zentrum am Bosporus. 1453 war Konstantinopel, Schaltzentrale des orthodoxen Christentums, von den Türken eingenommen worden. Im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte soll das Halbmondbanner auch über weite Teile des Balkans und Ungarns wehen. Aller Bedrohung zum Trotz dient den zerstrittenen abendländischen Nationen gerade diese Gefahr der islamischen Expansion als neues Bindemittel.

Conclusio:
Nach Erachten des Rezensenten ist Jacques Le Goff mit "Die Geburt Europas im Mittelalter" ein modernes Leitwerk der Mediävistik gelungen. Durch historisches Datenmaterial versucht der französische Forscher, dem hartnäckigen Vorurteil entgegenzutreten, wonach das Mittelalter nur brutal und dunkel gewesen wäre. Le Goff zeigt die Vielfältigkeit dieser Epoche. Der sprühende Intellekt eines Abelard, die wunderbare Literatur Monmouths oder die grandiose gotische Baukunst haben darin ebenso Platz wie Glaubenswahn, Folter oder Pest. Er verliert nicht den Blick auf das Ganze. Und Le Goff wirkt phasenweise geradezu radikal, etwa wenn er den Finger in die kollektive Wunde des Christentums legt: auf Antisemitismus und Gräuel der Kreuzzüge. Erschreckende Ähnlichkeit zu zeitgenössischen Predigern des "Heiligen Krieges" aus dem islamischen Raum kommt der Person des Bernhard von Clairvaux zu.
Vor allem aber beschreibt Jacques Le Goff, wie im Mittelalter der Samen der europäischen Idee gesät worden ist. Die Vorstellung von einem politischen Gebilde, in dem Frieden herrscht, Handel wächst und Kultur floriert, nimmt im Reich der Ottonen ihren Anfang und setzt sich in der modernen EU fort. Damals war ein idealisiertes Christentum Kitt und Leitbild zugleich, heute heißen die säkularisierten Glaubensinhalte Ökonomie und Demokratie. Wie gut oder tauglich diese Ideale sind, bleibt dem Leser überlassen.
Mit der Osterweiterung der Europäischen Union werden erstmals die Grenzen des mittelalterlichen Abendlandes überschritten. Ein vereinter Kontinent bis Russland - und vielleicht darüber hinaus zum Ural - wird angedacht. Damals wie heute verläuft die gesellschaftliche Bruchlinie an jener geografischen Zone, wo römisches und orthodoxes Christentum aufeinandertreffen. Damals wie heute gibt es eine "Gefahr aus dem Osten", gegenwärtig manifestiert im Spannungsfeld zum Islam. "Die Geburt Europas im Mittelalter" ist wortwörtlich ein brandaktuelles Buch. Allheillösungen offeriert es dennoch nicht. Le Goff: "Das heutige Europa muss noch gebaut, ja sogar noch gedacht werden. Die Vergangenheit macht Angebote, aber keine Vorschriften."

(lostlobo; 12/2004)


Jacques Le Goff: "Die Geburt Europas im Mittelalter"
(Originaltitel "L'Europe est-elle née au Moyen Age?")
Aus dem Französischen von Grete Osterwald.
C.H. Beck, 2004. 344 Seiten.
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Jacques Le Goff, geboren am 1. Jänner 1924, ist einer der angesehensten und meistgelesenen Historiker Europas und ein international anerkannter Fachgelehrter für das Mittelalter. Er war Präsident des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris, wo er einen Arbeitskreis zur anthropologischen Erforschung des mittelalterlichen Abendlandes ins Leben rief.
Jacques Le Goff erhielt zahlreiche Preise: 1987 den "Grand Prix National d‘histoire du ministère de la Culture", 1991 die "médaille d'or du CNRS", 1994 den Hegelpreis der Stadt Stuttgart, 1996 den "grand prix Gobert de l'Académie française", 1997 den "grand prix d'histoire de la Ville de Paris".

Weitere Bücher des Autors:

"Auf der Suche nach dem Mittelalter"

Das Buch, das aus Gesprächen zwischen Jacques Le Goff und dem Journalisten Jean-Maurice de Montremy hervorgegangen ist, bietet einen lebendigen Zugang zu Le Goffs Werk und eröffnet gleichzeitig einen wunderbaren Einblick in die Werkstatt des großen Mediävisten.
Angeregt durch die Lektüre von Walter Scott, machte sich der junge Jacques Le Goff frühzeitig auf die Suche nach dem Mittelalter. Bald schon spürte er, dass diese Welt uns zugleich sehr nah und sehr fern ist. Es war der Beginn eines Abenteuers, das ihn bis heute fesselt. In den Gesprächen, die Jacques Le Goff mit Jean-Maurice de Montremy im Jahr 2002 führte, entstand eine spannende Synthese seiner Arbeiten: Le Goff räumt mit den Legenden vom "finsteren" Mittelalter auf und erweckt statt dessen eine reiche Zivilisation zum Leben, die von der christlichen Kirche geprägt wurde. Er zeigt, wie innovationsfähig eine Kultur war, die sich eigentlich allem Neuen verweigerte, und legt schließlich überzeugend dar, dass das zukünftige Europa nur Gestalt annehmen kann, wenn es seine Vergangenheit nicht vergisst. (C. H. Beck)
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"Das Lachen im Mittelalter"
Einfühlsam, klug und mit überraschenden Einblicken in eine vergangene Epoche erschließt Jacques Le Goff in seinem Buch die (ernste) Bedeutung des "Lachens" im europäischen Mittelalter.
Zutiefst verabscheut in Umberto Ecos "Der Name der Rose" der überstrenge Mönch Jorge de Burgos das unterhaltsame Gelächter der Menschen; nichts fürchtet er so sehr wie die Verbreitung einer verloren geglaubten Schrift des Aristoteles über das "Lachen". Eindringlich zeigt Le Goff, welche Bedeutung der mittelalterlichen Mensch dem Lachen zumaß:
"Hat Jesus gelacht? Kann Gott überhaupt lachen? Verspottet der lachende Mensch denn nicht die göttliche Weltordnung?", so fragten sich besorgt Mönche und Gelehrte. Und doch: "Wenn Jesus auch Mensch war, dann war er auch ein Wesen, das lachen konnte."
Anschaulich schildert Le Goff die vielfältigen Anlässe, sozialen Formen und Funktionen des Lachens in der mittelalterlichen Gesellschaft und setzt es in die größeren geschichtlichen Zusammenhänge. Mit großem historischen Scharfblick und unverwechselbarer Präzision bietet der Autor überraschende Einblicke in ein facettenreiches mentalitätsgeschichtliches Phänomen. (Klett-Cotta)
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"Das Mittelalter in Bildern"
In diesem Bildband gelingt es Le Goff, die Kultur des Mittelalters in ihrem gesamten Spektrum mit bestechender Präzision und zugleich höchster Anschaulichkeit darzustellen. Zeit und Raum, Mensch und Gott, die Tiere und die Körperlichkeit, das Individuum, das Populäre, das Spiel und vieles mehr wird dem Leser durch die bildliche Darstellung in der ganzen Pracht, derer das Mittelalter fähig war, unmittelbar nahegebracht. Zugleich führen die luziden und klugen Erläuterungen des Autors in jene Fremdheit des Mittelalters ein, die heute so anziehend wirkt. (Klett-Cotta)
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"Ludwig der Heilige"
Jacques Le Goff legt die erste "allumfassende Biografie" Ludwigs des Heiligen vor. Eine klassische Studie über den markantesten und zugleich unbekanntesten Herrscher auf dem Thron Frankreichs im Mittelalter, ein Heiliger, der zum Inbegriff des 13. Jahrhunderts wurde.
Ludwig IX. (1214-1270), der erste und einzige heiliggesprochene König Frankreichs ist neben Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen (1194-1250) die herausragende Herrschergestalt des 13. Jahrhunderts. Ludwig wird zur nationalen, ja mythischen Identifikationsfigur der Franzosen wie sein kaiserlicher Gegenspieler für die Deutschen. Jacques Le Goff entwirft eine historische Biografie des Königs und Heiligen, Kreuzfahrers und Friedensstifters, entfaltet das Weltbild seines Jahrhunderts und erzählt das Leben des Königs: seine Herkunft, die Geburt 1214, der frühe Tod des Vaters, die Bedeutung des Großvaters, die Regentschaft seiner Mutter, Blanka von Kastilien, die Heirat mit Margarete von Provence und der erste Kreuzzug (1248-1254). Der König gerät in Gefangenschaft und kommt nur durch die Zahlung eines Lösegeldes frei. Schließlich kehrt er nach dem Tod der Mutter in das damalige Frankreich zurück, regiert und reformiert sein Königreich und stirbt 1270 vor Tunis während eines zweiten, gescheiterten Kreuzzuges.
Die Persönlichkeit Ludwigs IX. würde sich uns entziehen und auf seine Heiligkeit reduziert, wenn es Jacques Le Goff nicht gelänge, den König als Erneuerer Frankreichs, als Baumeister von Städten, Klöstern und Kathedralen, als Muttersohn und Ehemann, als Bruder und Familienvater und schließlich vor allem als charismatischen König zu zeigen: herrschend und betend, weinend und büßend, aber wenn nötig auch strafend und vernichtend. Ludwig der Heilige, ein weiser König, ein tiefgläubiger Asket, ein glühender Fanatiker, symbolisiert wie kein Zweiter seiner Epoche, die Jacques Le Goff in seinem Hauptwerk besichtigt. (Klett-Cotta)
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"Das Hochmittelalter"
Dieser Band der "Fischer Weltgeschichte" schildert die Geschichte Europas im Hochmittelalter. Jacques Le Goff beschränkt sich nicht auf eine isolierte Betrachtung der abendländischen Welt, sondern bezieht in seine Darstellung die byzantinische und islamische Geschichte ein, die für die europäische Entwicklung in dieser Epoche von Bedeutung gewesen sind. Der Leser erhält einen Überblick über die Entfaltung und den darauffolgenden Niedergang der Christenheit in den drei Jahrhunderten von der lateinisch-griechischen Kirchenspaltung des Jahres 1054 bis zur großen Krise des 14. Jahrhunderts, aus der die Neuzeit hervorgehen sollte. Die Polarität zwischen Kaiser und Papst, die Spannungen zwischen Sacrum Imperium und dem Ausbau der Territorial- und Nationalstaaten, die Kreuzzugsidee und ihre Konsequenzen werden deutlich. Eingehend werden die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen erklärt, unter denen der Mensch im Hochmittelalter lebte. Der Band informiert auch über die Philosophie, die Literatur, die Kunst und die religiösen Strömungen im damaligen Europa. Der Autor verbindet die traditionelle geschichtswissenschaftliche Methode mit modernen sozialgeschichtlichen Fragestellungen und gewinnt so neue Einsichten in das Wesen dieser Zeit. - Der Band ist in sich abgeschlossen und mit Abbildungen, Kartenskizzen und einem Literaturverzeichnis ausgestattet. Ein Personen- und Sachregister erleichtert dem Leser die rasche Orientierung. (Fischer)
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