Yukio Mishima: "Nach dem Bankett"
Yukio Mishima, der als Kimitake Hiraoka am 14. Januar 1925 in Tokio geboren wurde, war eine der prägenden Gestalten des japanischen Kulturlebens in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg, skandalträchtiges enfant terrible und (bald auch international) gefeierter Schriftsteller, der es im Laufe seines Lebens auf zahlreiche Kurzgeschichten, Romane, Essays und Theaterstücke, besonders heraushebenswert hierbei seine Wiederbelebung der altjapanischen Kunstform des No-Theaters, brachte. Mishima war eine vielschichtige Persönlichkeit, die einerseits vehement für die Rückbesinnung auf alte japanische Werte eintrat, andererseits viele Elemente moderner europäischer Literatur in sein Werk aufnahm, ein (nicht zuletzt sexuell) besessener, leidenschaftlicher Mann, der das Leben, welches er auf des Messers Schneide liebte, als sein größtes Kunstwerk betrachtete und dies gekonnt (wenn auch meist unverstanden) inszenierte. Spektakulär war auch sein Ende; am 25. November 1970 unternahm er mit einer von ihm gegründeten paramilitärischen Truppe japanischer Nationalisten einen ziemlich aussichtslosen Putschversuch und beging, als dieser scheiterte, Seppuku, eine ebenso geschichtsträchtige wie schmerzhafte und natürlich durch und durch japanische Art, sich mit dem Schwert das Leben zu nehmen.
Sein Roman "Nach dem Bankett" erschien 1960. Kazu, die fünfzigjährige, aus einfachen Verhältnissen stammende Heldin des Romans hat es zur Besitzerin und Leiterin eines Tokioter Nobelrestaurants gebracht, in dem führende Politiker der Stadt gerne verkehren. Die große Beliebtheit verdankt das Lokal noch vor seinen exquisiten Speisen zuallererst dem Wesen seiner Chefin. Kazu hat eine strahlend heitere Natur, einen unbeugsamen Charakter und unbedingtes Selbstvertrauen, sie ist großmütig und offenherzig, obwohl - in ihrem Fall könnte man auch sagen weil - sie das Leben kennt. Mit der Liebe hat sie eigentlich schon nichts mehr im Sinn, dieser steht ihr mehr nach kontinuierlichen Freundschaften und - schon berufsbedingt - leichter Unterhaltung und Kurzweil. Da sie aber gleichzeitig eine nach ihren Gefühlen lebende Person ist, kommt es schließlich doch noch einmal anders. Sie lernt den sechzigjährigen Politiker Noguchi kennen, verliebt sich in den grundverschiedenen Charakter, einen würdevollen, nüchternen (manchmal langweiligen) und sehr traditionellen Mann aus alter Familie und heiratet ihn schließlich. Noguchi gehört der kleinen Reformpartei an, bei der er sich mit seinen Prinzipien und seinem Idealismus besser aufgehoben fühlt als bei der schamlos ihre Macht ausübenden Zentrumspartei. Kurz nach der Hochzeit lässt sich Noguchi nach anfänglichem Zaudern als Kandidat seiner Partei für den Gouverneursposten von Tokio aufstellen. Kazu unterstützt ihn leidenschaftlich, mit Flugzettelaktionen, mit Reden bei Wahlkampfveranstaltungen (denn aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Emotionalität kommt sie beim Wahlvolk besser an als ihr allzu trocken und intellektuell wirkender Mann) und nicht zuletzt mit ihrem nicht unbedeutenden Vermögen. Aber die Zentrumspartei ist nicht gewillt, sich den neuen Waffen so einfach geschlagen zu geben. Es entwickelt sich ein äußerst gehässiger Wahlkampf, im Zuge dessen Kazu immerhin Gelegenheit bekommt, bisher unbekannte Seiten ihres Wesens kennenzulernen.
Im Zentrum des Romans steht der große Gegensatz und die sich daraus ergebenden Spannungen der beiden Ehepartner. Vor dem Hintergrund des auch nicht gerade einfachen japanischen Gesellschaftssystems, in welches der Leser notgedrungen tiefe Einblicke mitgeliefert bekommt, schildert der Autor in einer klaren Sprache ihre Erwartungshaltungen, Streitereien, Missverständnisse, erfasst präzise alle Nuancen ihrer (vor allem Kazus, die der facettenreichere Charakter der beiden ist) Seelenlagen und zeichnet in poetischen, typisch fernöstlichen Stimmungsbildern ihre Augenblicke von Einverständnis. Beide verkörpern auch Grundtendenzen in Mishima selbst, die auf diese Weise, indem er sie einmal gegeneinander ausspielt, dann wieder verbindet, einem Härtetest bzw. einem Reinigungsprozess unterzogen werden. Idealismus und die Macht des Geldes, Kultur und Vitalität, Kampf und Unterwerfung, das sind die wichtigsten Begriffe, die seinen Roman (wie auch sein Werk allgemein) durchziehen.
Das zweite Thema, das
politische Gefüge in Japan, brachte ihn nach Erscheinen des Romans vor
Gericht. Zu ungeschminkt war seine Beschreibung der üblichen Praktiken
der politischen Parteien, wofür die Bezeichnung schmutzig eine grobe Verharmlosung
wäre (der namentlich erwähnten Zentrumspartei zuallererst), was umso
schärfer wirkt, als Mishima sich jeglichen moralischen Urteils enthält.
Sehr realistisch auch die Zeichnung der handelnden Politiker; Menschen, die
ihre eigenen Taten nur dadurch ertragen, dass sie diese mit distanziertem Amusement
und andere Menschen mit höflichem Hohn behandeln, dann wiederum - von Mishima
unkommentiert - unvermittelt in Tränen ausbrechen.
Mishimas eigener Putschversuch und Selbstmord 10 Jahre später deuten -
gemessen an seinem kühlen Blick auf die japanische Dekadenz in Politik
und Gesellschaft - darauf hin, dass sein starker Abgang von der Bühne des
Lebens weniger als politische Verzweiflungstat, sondern eher als transzendentales
Vermächtnis des Lebenskünstlers anzusehen ist.
(fritz; juni 02)
Yukio Mishima: "Nach
dem Bankett"
suhrkamp taschenbuch 2002
221 Seiten
ca. EUR 8,00.
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