Mirabai: "Liebesnärrin"

Die Verse der indischen Mystikerin


Das Sanskrit-Wort "Bhakti" bedeutet in etwa "selbstlose Liebe" oder "Hingabe" und wird für einen der Hauptwege, um zur Verschmelzung mit dem Absoluten zu gelangen, verwendet. Eine Frau, die diesen Bhakti-Weg von Anfang an bedingungslos und leidenschaftlich gegangen ist, war die indische Dichterin und Mystikerin Mirabai. Mehr als tausend Lieder, die sie zum Ruhme Gottes sang, sind von ihr überliefert. Jene 202 davon, deren Urheberschaft als gesichert betrachtet werden kann, liegen nun, dank der Übersetzung aus dem Rajasthani von Shubhra Parashar, erstmals auch in deutscher Sprache vor. Die Qualität der Übersetzung, einige Seiten zum Leben Mirabais und ihrem historischen Hintergrund und zahlreiche Fußnoten, welche die mythologisch-religiösen Anspielungen der Dichterin erklären, lassen das Projekt als durchwegs gelungen erscheinen.   

Mirabai lebte von 1498 bis 1546 im Nordwesten Indiens. In eine Aristokratenfamilie hineingeboren ging sie früh einer weltlichen Laufbahn verloren, als ihr nämlich eine Statue des Gottes Krishna geschenkt wurde und Mirabai für den Rest ihres Lebens (kennt man ihre Verse, möchte man anfügen: und darüberhinaus) dem Zauber des göttlichen Flötenspielers erlag. In einer politischen Heirat wurde sie als junge Frau einem mächtigen Rajputen-Fürsten verheiratet, betrachtete sich aber längst als Braut Krishnas, sodass die weltliche Ehe nie vollzogen wurde, Mirabai auch sonst kaum am Palastleben teilnahm, stattdessen die Gemeinschaft der Heiligen suchte und bald in den Tempeln zum Ruhm ihres göttlichen Geliebten zu singen und tanzen begann. Daraus erwuchs ihr früh große Beliebtheit und Bekanntheit, aber auch erbitterte Feindschaft, wobei nicht nur ihr radikaler Lebenswandel für Aufregung sorgte, sondern auch die Tatsache eine Rolle spielte, dass Mirabai nicht umhin konnte, sich das eine und andere Mal in die hohe Politik (sie hatte das Pech, in einer äußerst instabilen, von ständigen Kriegen gezeichneten Epoche zu leben) einzumischen. Auf jeden Fall wurden etliche Mordversuche auf sie unternommen, die sie jedoch allesamt - wie die Rede geht, mit Hilfe Krishnas - überlebte. Schließlich brach Mirabai alle Brücken zu ihrem früheren Leben hinter sich ab, indem sie sich nach Dvarka, Krishnas einstigem Königssitz, aufmachte, wo sie die zerstörten Tempelanlagen wiederaufbauen ließ und fortan dem Dienst an ihrem Auserwählten lebte. Der Sage nach verschmolz sie, als sie von Brahmanen ihrer Heimat zur Rückkehr gedrängt wurde, vollends mit ihrem Gott, nach einer anderen Version täuschte sie die Abgesandten und lebte weit über das Jahr 1546 hinaus. Die Krishnastatue, die Mirabai in Kindheitstagen ihrer Bestimmung zugeführt hat, kann übrigens im Jagatshiromaniji-Tempel in Ajmer bewundert und verehrt werden.

Mirabais Verse sind sämtlich in Metren gehalten (die Übersetzung entschied sich zugunsten des poetischen Ausdrucks für freie Prosa), spirituelle Liebeslyrik, wie sie in Indien und im Mittleren Osten weit verbreitet ist, welche die Gottessehnsucht in der Sprache irdischer Liebe ausdrückt bzw. (in anderen Fällen) sich auf den Flügeln der Liebe zu einem Menschen in himmlische Gefilde erhebt. Mit Ausnahme der Eifersucht, welche auf spiritueller Ebene sinnlos (und Krishna gegenüber eine unermessliche Quelle des Leids) wäre, empfindet Mirabai ihrem Liebsten gegenüber alle Gefühle einer verliebten Frau, von selbstbewusster Glückseligkeit ("Zwischen Dir und mir/ Ist kein Unterschied,/ Wie zwischen der Sonne/ Und ihrer Glut.") über leidenschaftliches Verlangen, stille Sehnsucht, hoffnungsvolles Locken bis hin zu heftigem Trennungsschmerz, doch selbst in Augenblicken des Verlassenseins bekräftigt sie schlussendlich ihre grenzen- und zeitlose Hingabe. Auch Anspielungen auf ihren Lebensweg fließen ein, unüberhörbar vor allem die stolze Verachtung der öffentlichen Meinung, manchmal wiederum versetzt sie sich in eine der Kuhhirtinnen, die der schelmische Knabe Krishna einst in Verzückung und Raserei versetzte. Und schließlich gibt es auch einige Passagen, die unmissverständlich belegen, dass Mirabai die wahre Gestalt ihres Geliebten kannte, sie mit seiner Hilfe jede Erwartung an diese Welt aufgab und kompromisslos auf das andere Ufer zusteuerte. 

(fritz; 07/2006)


Mirabai: "Liebesnärrin"
YinYang Verlag 2006
Hrsg. von Regina Berlinghof
Aus dem Rajasthani von Shubhra Parashar

265 Seiten
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Paga bāʼndha ghūʼngharyāʼn ņācyāʼnrī

Ich tanzte mit Fußglöckchen an meinen Füßen.

„Mīrā ist wahnsinnig“, sagten die Leute,
„Diese Sippenzerstörerin“, schimpfte die Schwiegermutter.

Den Giftbecher schickte ihr der König,
Mīrā lachte, als sie ihn austrank.

Körper und Geist habe ich zu Haris Füßen geopfert,
Bei seinem Anblick werde ich Nektar trinken.

Mīrās Herr ist Giridhara Nāgara,
In Deine Zuflucht werde ich gelangen.


Mīrā magana bhaī …

Mīrā wurde glückselig, denn sie besang die Tugenden Haris.

Einen Schlangenkorb schickte ihr der König,
Mīrā persönlich wurde er überreicht.
In Ruhe nach dem Bad schaute sie sich den Inhalt an,
Und fand darin den heiligen śhālagrama-Stein.

Den Giftbecher schickte ihr der König,
Verwandelt wurde das Gift für Mīrā in Nektar.
Sie wusch sich die Hände und trank davon,
Sie wurde unsterblich, als sie es austrank.

Das Prunkbett aus Spießen schickte ihr der König,
„Gebt es ihr, damit sie darauf schlafe.“
Abenddämmerung, dann die Nacht:
Mīrā legte sich schlafen,
Es war ihr, als läge sie auf Blumen.

Mīrās Herr hilft immer,
Alle Übel hält er von ihr fern.
Ich wandele umher, versunken in Gotteshingabe,
Ich habe mich Giridhara geopfert.

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