Rebecca Miller: "Als sie seine Schuhe sah, wusste sie, dass sie ihren Mann verlassen würde"


Es sind die Geschichten von sieben Frauen, die faszinieren. Allen widerfährt etwas in ihrem Leben, das sie gehörig aus der Bahn wirft. Und je weiter man liest und je tiefer man in die Geschichten verwickelt wird, desto bewusster wird, dass einige Geschichten viel mehr zusammen hängen als erwartet. Es sind Personen, die doppelt vorkommen. Namen, die man meint, schon einmal gelesen zu haben.

Sieben Frauen - Greta, Delia, Louisa, Julianne, Bryna, Nancy und Paula.  

Greta, Lektorin bei Warren and Howe, ist mit Lee verheiratet. Er ist Rechercheur für den New Yorker und schreibt an seiner Dissertation. Greta ist niemals eine treue Seele gewesen, doch seit der Hochzeit mit Lee ist ihr noch kein Ausrutscher passiert, worauf sie sehr stolz ist. Aber dann bekommt sie den sensationellen Auftrag, ein Werk von Thavi Matola, dem angesagtesten Schriftsteller seiner Generation, zu lektorieren. Sie ahnt nicht, dass ihr dieser Mann zum Verhängnis werden wird.

Delia, Mutter von drei Kindern, die jahrelang von ihrem Mann verprügelt wurde, schafft es eines Tages, sich mit ihren Kindern ins Frauenhaus zu retten. Später kommt sie bei einer ehemaligen Schulkollegin unter, die sie seit langem nicht gesprochen hat, die ihr aber, dessen war sie sich all die Jahre sicher, noch einen Gefallen schuldig ist. Außerdem fühlt sich Delia nur dann lebendig, wenn sie Männer verführen kann, wenn sie die Macht hat, wenn sie bewundert wird. Das ist nicht immer einfach.

Louisa, Tochter von Penny und Derk Carlo, studiert Kunst, um die verspottete Kunst ihrer Mutter zu rächen. Sie leidet seit dem Tod ihres Zwillingsbruders an einem Trauma, da sie sich für dessen Tod verantwortlich fühlt. Louisa ist eine chaotische Persönlichkeit, die von einer Beziehung in die nächste schlittert und sich dennoch einsam fühlt.

Julianne, eine attraktive Frau, ist mit dem achtundzwanzig Jahre älteren Joe zusammen. Sie schreiben beide Gedichte, aber er ist der Experte auf diesem Gebiet, er ist ein berühmter Richter und Romanschriftsteller. Als sie sich kennen lernten, war sie graduierte Studentin am anglistischen Institut, in dem er ein Seminar abhielt. Seine Gedichte sind mager, karg und wahrhaftig; ihre überreif und säftetriefend. Sie weiß, dass sie immer in seinem Schatten stehen wird.

Bryna, die Haushälterin zweier Schriftsteller, lebt ein nüchternes Leben mit ihrem Ehemann Milton, der tagtäglich in der Scheune arbeitet, und dessen Mutter, einer verrückten alten Frau. Bryna hat immer von einem glamourösen Leben mit einem Schauspieler, einem Werbefachmann oder einem Arzt geträumt, aber dies blieb ein unerfüllter Traum. Bryna führt Selbstgespräche. Sie selbst bezeichnet jene als Interviews, die sie einer Journalistin gibt. Seltsam.

Nancy ist ein neunjähriges Mädchen, das sich gerne zu immer besseren Leistungen anspornt. Damit ängstigt sie nicht selten ihre Eltern. Sie verbringt viel Zeit mit ihrem Wochenend-Kindermädchen Sarah, die hauptsächlich deshalb eingestellt wurde, weil Nancys Mutter, eine High-Society-Lady, denkt, mit ihrem Kind stimme etwas nicht. Und tatsächlich gibt es Motive, die diesen Verdacht bestätigen.

Paula ist einundzwanzig, schwanger, Kellnerin, schreibt gelegentlich, früher malte sie auch. Nach einem Streit mit ihrem Freund Vincent verlässt sie die gemeinsame Wohnung und geht mit ihren Freundinnen in einen Club. Sie lernt einen Typen kennen, der ihr, wie sie meint, seinen baldigen Tod zu verdanken hat, und sie nimmt nach diesem Vorfall zum ersten Mal einen Tramper in ihrem Auto mit, einen kleinen Jungen. Paula ist verwirrt, sie hat am Ende dieser Irrfahrt durch den Regen das Gefühl, nur noch von Dunkelheit umgeben zu sein. Doch da ist etwas, das sie in die Realität zurückholt: Das Leben in ihr.

Rebecca Miller, Tochter des Schriftstellers Arthur Miller und der Fotografin Inge Morath, seit 1996 mit dem Schauspieler Daniel Day-Lewis verheiratet, verleiht diesen sieben Frauen durch ihren ruhigen, kunstvollen, aber doch bestechenden Schreibstil einmalige Charaktere. Man nimmt für die kurze Zeit jeder Erzählung Anteil am Leben der jeweiligen Frau und wird gezwungen, über ihr Schicksal nachzudenken. Es ist verblüffend, wie packend und wahrheitsgetreu jede Geschichte geschildert wird. Auf jeden Fall ein Leseabenteuer!  

(sandraaa; 07/2002)


Rebecca Miller: "Als sie seine Schuhe sah, wusste sie,
dass sie ihren Mann verlassen würde"
Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Giovanni und Ditte Bandini.
Gebundene Ausgabe:
Manhattan, 2002. 224 Seiten.
ISBN 3-442-54541-2.
ca. EUR 16,30.
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