Dorothee Frank: "Menschen töten"
Warum Menschen töten
Normal final
Bei einer
Internet-Umfrage (https://www.transpersonal.com/) im Jahre 1999 zum Thema "Unter
welchen Umständen würden Sie einen anderen Menschen absichtlich töten?" gingen
sehr unterschiedliche Antworten ein wie: "Ich kann mir keine Situation
vorstellen, in der ich das tun würde" - "Vielleicht in Notwehr" - "Wenn ein
Mensch an einer unheilbaren, sehr schmerzhaften Krankheit leidet" - "Wenn jemand
mich oder Schwächere bedroht" - "Wenn jemand mein Kind umgebracht hätte" -
"Einen Diktator eventuell".
Zwei Drittel aller Morde werden von
"normalen", bis dato unauffälligen Menschen verübt. Die Rundfunkjournalistin
Dorothee Klein geht der Frage nach, ob jeder von uns in der Lage wäre, Menschen
zu töten. Dazu führte sie Gespräche mit Mördern, Attentätern, Kriegsverbrechern
und Beteiligten an Hinrichtungen sowie Angehörigen von Opfern. Wolfgang
Schmidbauer spricht in seinem Vorwort davon, dass Menschen, denen es "nicht
gelingt, befriedigende Gefühlsbeziehungen herzustellen", andere aus Neid und Wut
töten können (oder sich selbst). Zu fragen ist "nach der psychischen Entwicklung
des Täters, nach den Einflüssen von Erbanlagen, nach der Bedeutung seelischer
Verletzungen oder der Verführung durch soziale Ereignisse, die Tötungshemmungen
abbauen können" (ebd.).
Einerseits ist das Töten durch die Medien für uns
ein alltäglicher Vorgang geworden - andererseits sehen wir einen Menschen, der
tötet, als eine Art Monster an. Dabei ist Töten eigentlich nicht unnatürlich,
nicht unnormal. Interessant ist auch, dass es weit weniger Frauen als Männer mit
Tötungsdelikten gibt. Das vorliegende Buch vergleicht Fallgeschichten in höchst
unterschiedlichen Konstellationen. Auch wenn Frank eine Reihe von Fachleuten
(Psychologen, Hirnforscher,
Verhaltensbiologen, Kulturanthropologen) zu Rate
zog, musste sie konzedieren: "Es ist eine Illusion zu denken, dass sich das
Töten vollständig erklären ließe."
In Deutschland geschehen im Jahr ca.
1.000 Tötungsdelikte (dazu gibt es im Vergleich ca.
Äußerliche Gründe sind meist komplexe Beziehungsprobleme,
finanzielle Sorgen oder Gelüste, Kränkungen, Ängste - Verzweiflung. Abstrakt
gesprochen: die Unfähigkeit, mit einer Konfliktsituation fertig zu werden. In
den allerseltensten Fällen geht es um abgebrühte Profikiller. Und so ergibt sich
die makabre Fragestellung, ob der Täter (der Töter) nicht in gewisser Hinsicht
ein Opfer (seiner Gene, Sozialisation, Psyche etc.) sei?! Es gibt also keinen
"kaltblütigen" Mord, der Ermordete ist in gewisser Weise nur ein
"Ersatzopfer".
In den Fallbeispielen, die Frank ausbreitet, werden im
Grunde Defizite emotionaler und rationaler Art erkennbar. Menschen bekommen
sukzessive Zwangsideen - es laufen sozusagen destruktive Filme im Kopf ab - es
entsteht ein "klaffender Abgrund im Selbst". Also ist auch das Töten lediglich
Kompensation. Krieg, Völkermord und Todesstrafe sind die am besten
dokumentierten "Aspekte des Tötens". In dem Kapitel, das sich mit der
Todesstrafe befasst, kommen erstmals moralische Aspekte in die Diskussion. Dabei
geht es aus christlicher Perspektive darum, dass die ursprüngliche Fassung des
5. Gebotes hieß: "Morde nicht!" Handeln also Gesetzesvertreter und Henker bei
der Anwendung der Todesstrafe sogar noch im Toleranzbereich göttlich-moralischer
Tabumaximen?! Oder müssen Henker und Staatsanwälte auch als "Mörder"
kategorisiert werden?!
Im Kapitel "Vom Töten im Krieg" wird von den
Schwierigkeiten der Wehrpflichtigen mit dem Töten berichtet. Andererseits
erfahren wir, wie ihnen die Tötungshemmung "abtrainiert" wurde. Das heftigste
Kapitel handelt "Vom Völkermord".
Genozide werden "langfristig geplant und
professionell organisiert." Kollektives Morden wird durch eine Art verordneter
Gruppendynamik ebenso plausibel wie z.B. die Folterung von Terrorverdächtigen
zwecks Vereitelung von Anschlägen. Kriegsverbrechern ist womöglich nur "der
Sprung vom kleinen Arbeiter und kleinen Betrüger zum Herrn über Leben und Tod
monströs zu Kopf gestiegen." Bei dieser Gelegenheit erinnert Frank an
Elias
Canettis "Masse und Macht", wenn es um das Talent der Täter geht, ihre Taten zu
verdrängen.
Sehr heikel ist wohl auch das Kapitel über Terrorakte und
Attentäter. Die Motivlage ist eher diffus, gründet aber letztlich in dem
Eindruck, dass die Gemeinschaft und das Selbstwertgefühl verletzt wurden. Und so
lassen sich Selbstmordattentäter für eine "gute" Sache regelrecht dressieren.
Man fühlt sich als eine Art Soldat in einem "gerechten" Krieg, nicht als
Verbrecher. Oder wie moralisch gerechtfertigt ist ein Anschlag auf einen
Diktator?! Während hier noch eher Ratlosigkeit dominiert, wirkt das Kapitel über
Nordirland, wo sich Täter und Opfer in Personalunion begegnen, um ihre
Interessen durchzusetzen oder für eine friedliche Lösung zu kooperieren, sehr
ungewöhnlich und mutig. Es geht dabei um das psychische Ausbalancieren zwischen
Rechtfertigung der Idee (Glaube) und Schuld an der vernichtenden Tat.
Im
Schlusskapitel zieht Dorothee Frank das Fazit, dass jedes Tötungsdelikt "für
sich betrachtet werden muss." Als Gemeinsamkeiten erkennt sie Motive wie Ängste,
Hass, verletztes Ehrgefühl, Wut, Rache, Besitzgier - oder eine
ideologieträchtige Überzeugung, Schuldige oder Minderwertige getötet zu haben.
Dabei ist das Problem der Willensfreiheit naturgemäß mit der Schuldfähigkeit
gekoppelt. Hierbei lässt sich letztendlich die Frage nach möglicher Prävention
überhaupt nicht klären. Es ist ein sehr beeindruckendes Buch - v.a. weil die
Autorin versucht, über authentische Begegnungen mit "Tätern" zu einem
allgemeingültigen und nachvollziehbaren Erkenntnismuster zu gelangen - dessen
pauschale Unmöglichkeit sie dann aber doch eingestehen muss.
(KS; 04/2006)
Dorothee Frank: "Menschen töten"
Walter,
2006. 280 Seiten.
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Dorothee Frank, mit vielen Preisen
ausgezeichnet, arbeitet u.A. als Rundfunkjournalistin für den österreichischen
Kultursender "Ö1" sowie für den "Bayerischen Rundfunk", den "Südwestfunk" und
für "Deutschlandradio Berlin".
Noch ein Buchtipp:
Hans-Ludwig Kröber: "Mord. Geschichten aus der Wirklichkeit"
Ein Mann drückt seiner Frau einen Polster auf das
Gesicht, bis sie nicht mehr atmet. Eine Frau beauftragt jemanden, ihren Freund
umzubringen. Ein anderer Mann tötet zwei Kinder - im Abstand von 18 Jahren.
Warum sie das getan haben, können alle drei im Nachhinein nicht sagen. Dabei
gibt es keine fundamentalere Entscheidung als die, einen Anderen zu töten. Mit
dem Mord überschreitet der Täter eine Grenze, die ihn von den meisten seiner
Mitmenschen trennt, er begibt sich ins gesellschaftliche Abseits.
Hans-Ludwig Kröber ist forensischer Psychiater, seine Aufgabe als
Kriminalgutachter ist es, in die Seele der Verbrecher zu schauen und die wahre
Geschichte herauszufinden. Wie wird aus einem normalen Kind jemand, der
vergewaltigt, schlägt, um sich sticht, tötet? Wie kam es, dass
das Böse in
diesem Menschen die Oberhand gewann? Kröber hört zu und versucht zu verstehen,
was sich im Inneren eines Täters abspielt. Wenn dieser seine Lage allerdings so
darstellt, als sei seine Tat nur den Umständen geschuldet, fragt Kröber
besonders genau nach. Er weiß aus Erfahrung: "Oft bleibt einem gesunden
Menschen die Wahl, ob er eine kriminelle Tat begeht, mag seine Kindheit auch
sehr schwer gewesen sein." In seinem Buch erzählt Hans-Ludwig Kröber neun
Geschichten vom Töten. In lakonisch-unaufgeregtem Ton schildert er, wie aus
normalen Bürgern Mörder werden. Der Weg dorthin ist oft verschlungen, er führt
durch die Abgründe in der Mitte unserer Gesellschaft. Ein beklemmender Einblick
in die Seele des Bösen.(Rowohlt)
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