Hans Blumenberg: "Beschreibung des Menschen"


Risiko Mensch

Hans Blumenberg war Professor für Philosophie an der Universität Münster - zu seinem zehnten Todestag erschien dieses gewaltige Opus aus dem Nachlass, herausgegeben von Manfred Sommer, der in seinem Nachwort einräumt: "'Beschreibung des Menschen' ersetzt den Titel 'Phänomenologische Anthropologie', hat sich Hans Blumenberg (1920-1996) auf einem Blatt notiert und damit des Gedanken eines Buches gefasst, das es nicht geben wird, dessen Ersatz jedoch das vorliegende sein will und auch nur sein kann." Der Herausgeber hat den Mut bewiesen, aus "verstreuten Hinweisen" die Texte herauszufinden, die Blumenberg wahrscheinlich unter diesem Titel versammeln wollte, nach der Maßgabe, "welches Konzept der Herausgeber beim Autor vorzufinden glaubte." Wobei Sommer auch konzediert, unter den Nachlasstexten Blumenbergs gebe es noch "etliche, die einen engeren oder lockeren Zusammenhang mit dem hier entfalteten Konzept haben." Somit liefert das vorliegende Buch keine abgerundete Theorie, sondern ein "Konvolut, sinnvoll geordnet."

Worum geht es in Blumbergs phänomenologischer Anthropologie?! Der Mensch kann sehen und gesehen werden - er ist also exponiert, was ihn zum "Virtuosen der Selbstinszenierung, aber auch der Selbstverstellung und Selbstverhüllung" macht. Wer sichtbar ist, ist aber auch undurchsichtig - dies führt zum Selbstbezug, zur Reflexion im Prozess der Evolution. Das Thema von Blumenbergs Anthropologie ist eigentlich nicht mehr der Mensch, sondern das transzendentale Bewusstsein überhaupt. Phänomenologie und Anthropologie bilden bei Blumenberg keinen Widerspruch, da jedes Bewusstsein einem Körper innewohnt, da Reflexion ihren Ausgang vom Sichtbaren nimmt.

Die Ausgangsfrage lautet für Blumenberg: "Wovon soll in der Philosophie die Rede sein?" Davon, was im Menschen sich vorfindet: Klärung der Frage nach Wesen und Sinn des Daseins. Dabei ist zu erwägen, wie sehr der Mensch für sich im Mittelpunkt seiner Betrachtungen stehen darf. Oder es gilt die Frage, inwiefern eine konstante Natur des Menschen doch historischen Modifikationen unterliegt - oder das Problem: wie gestaltet sich ein Abhängigkeitsverhältnis Vernunft - Mensch. Blumenberg sagt dazu: "Die Vernunft ist unser Organ für ... das Ganze, das wir nie haben können." Man kann sich das Leben freilich auch absichtlich schwer machen, indem man eine Frage stellt wie: 'Ist Intersubjektivität ein anthropologisches Phänomen?' (Kapitelüberschrift). Damit quält sich Blumenberg fast 100 Seiten herum! Wie sonst sollte man Intersubjektivität begreifen können, wenn nicht anthropologisch?! Jedenfalls prägt er eine Sentenz mit Allgemeinverbindlichkeit: "die Institution Wissenschaft muss von allem Anfang an funktionsfähig sein hinsichtlich der Herstellung von Objektivität." Das klingt doch ebenso elitär wie selbstverständlich. Denn selbstverständlich ist Intersubjektivität ein anthropologisches Phänomen - es sei denn man wollte sie auch für Tiere, Magnetkräfte und Atome reklamieren - wodurch allerdings Philosophie unartikulierbar würde.

Freilich wenn man wie Blumenberg u.a. eine These zugrunde legt wie "Nur der Mensch kann leben und dabei unglücklich sein", dann mag es einem so vorkommen, als seien die Philosophen per definitionem die unglücklichsten Menschen, weil sie zu jeder Möglichkeit auch die Unmöglichkeit dazu denken (müssen), zu jedem Gott auch das Nichts. Denn: "Der Mensch ist ein riskantes Lebewesen, das sich selbst misslingen kann." - so Blumenberg, wobei es wiederum eine Sache der Definition sein dürfte, was wir als "Misslingen" ansehen! Und wie bei vielen Philosophen landet man bei einer der ganz kernigen Fragen, inwiefern es eine vom Menschen unabhängige Wirklichkeit gibt - und wodurch sie sich von der Realität unterscheidet, die unser Denken zu registrieren imstande ist. Wie weit ist also der Schritt von der Intersubjektivität zur Objektivität - bzw.: können "Subjekte" überhaupt "objektiv" wahrnehmen?! Ist das Subjekt nicht die Negation des Objektiven?! Andererseits: wie sollte Objektivität hergestellt werden, wenn nicht durch den Konsens der Subjekte?!

Wir registrieren und argumentieren in Vorgriffen und Zuordnungen. Dazu ein Blumenberg'scher Satz: "Wissenschaft hat etwas damit zu tun, dass der Mensch in der Geborgenheit einer Lebenswelt nicht verweilen durfte und niemals wieder kann. (...) Anstelle von konstanten Vertrautheiten entstehen Horizonte von Erwartbarkeiten." Die Frage ist dabei, welche "Instanz" dafür sorgt(e), dass wir nicht "in der Geborgenheit verweilen" dürfen oder können?! Die Zahl der Menschen, die dies versuchen, nimmt jedenfalls im modernen Mediensumpf zu. Und so stellt sich die Frage nach einer "transzendentalen Subjektivität" - mehr noch: Transzendenz müsste ja wohl etwas Objektives sein. Sonst wäre sie eben nur Produkt von Reflexion, wenn nicht Spekulation.

Indem sich Blumenberg mit Descartes und Husserl auseinandersetzt gelangt er zu der These: "Eine phänomenologische Anthropologie müsste dasjenige Stück der Phänomenologie sein, welches die Voraussetzungen des Phänomenologen als anthropologische zur Evidenz bringt." Bornierterweise wird der Phänomenologe kontern: "Auf den Menschen kommt es, wenn man es mit den letzten Fragen der Philosophie zu tun hat, nicht an." Da kann der Anthropologe nur schallend hüsteln, was denn eine Philosophie solle ohne den Menschen bzw. nicht auf den Menschen bezogen?! Das "reine Bewusstsein in seinem Wesen" mag man getrost als des Phänomenologen Hobby klassifizieren, sowie der Gottglaube eben des Theologen Manie ist - dem Menschen nutzt letztendlich nur die Praxis und die Praxisbezogenheit einer Philosophie - dies ist das "Merkmal des seinsverstehenden Seienden."

Das Wesen des Menschen ist eben seine Materialität, seine "Faktizität"! Diese ist ebenso die Voraussetzung der Reflexion wie einer eventuell versuchten Negation oder auch jeglicher Transzendierung. Indem hier mit den Begriffen "Lebenswelt" und "Seinsglaube" operiert wird, gelangen auch das "Zeitbewusstsein" und die "Fremdwahrnehmung" ins Blickfeld - für Blumenberg mündet aller komplizierter Diskurs in der lapidaren Sentenz: "Das Vorkommen von Reflexion im Subjekt bedarf der Erklärung."

Und so beschäftigt sich dieser voluminöse Band u.a. auch noch mit 'Selbsterkenntnis und Fremderfahrung', mit 'Trostbedürfnis und Untröstlichkeit des Menschen' oder auch mit 'Leib und Wirklichkeitsbewusstsein'. Der alltagsgeplagte und nicht universitärgebildete Mensch wird sich fragen, ob man über das teils banale, teils anstrengende Leben so umständliche Gedanken in solch überzüchteten Verklausulierungen aufeinanderhäufen muss. Oder heißt das, man könne die Existenz ohnehin nur wissenschaftlich, esoterisch oder eben elaboriert erklären bzw. überhaupt verstehen?! Und welche Existenzberechtigung hätten dann die Nicht-Philosophen?! Der Mensch ist auch deswegen ein riskantes Wesen, weil er sowohl gleichgültig-borniert als auch übertrieben-umständlich sein kann. Indem Hans Blumenberg hier wichtige Bereiche der Philosophiegeschichte mitreflektiert, wird sich sein Leserkreis auf Eingeweihte beschränken müssen - wann lernt es die Philosophie vom Menschen sich auch für die real existierenden Menschen verständlich zu artikulieren?!

(KS; 12/2006)


Hans Blumenberg: "Beschreibung des Menschen"
Suhrkamp, 2006. 918 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Noch ein Lektüretipp:

Sibylle Lewitscharoff: "Blumenberg"

Groß, gelb, gelassen: mit berückender Selbstverständlichkeit liegt eines Nachts ein Löwe im Arbeitszimmer des angesehenen Philosophen Blumenberg. Die Glieder bequem auf dem Bucharateppich ausgestreckt, die Augen ruhig auf den Hausherrn gerichtet. Der gerät, mit einiger Mühe, nicht aus der Fassung, auch nicht, als der Löwe am nächsten Tag in seiner Vorlesung den Mittelgang herabtrottet, sich hin und her wiegend nach Raubkatzenart. Die Bänke sind voll besetzt, aber keiner der Zuhörer scheint ihn zu sehen. Ein raffinierter Studentenulk? Oder nicht doch viel eher eine Auszeichnung von höchster Stelle - für den letzten Philosophen, der diesen Löwen zu würdigen versteht?
Das Auftauchen des Tieres wirkt in mehrerlei Leben hinein, nicht nur in das Leben Blumenbergs. Ohne es zu merken, gerät auch eine Handvoll Studenten in seinen Bann, unter ihnen der fadendünne Gerhard Optatus Baur, ein glühender Blumenbergianer, und die zarte, hochfahrende Isa, die sich mit vollen Segeln in den Falschen verliebt.
"Blumenberg" ist nur nebenbei eine Hommage an einen großen Philosophen, vor allem ist es ein Roman voll mitreißendem Sprachwitz, ein Roman über einen hochsympathischen Weltbenenner, dem das Unbenennbare in Gestalt eines umgänglichen Löwen begegnet. (Suhrkamp)
Buch bei amazon.de bestellen