Robert Menasse: "Erklär mir Österreich"
"Dort, wo in österreichischen Bussen das Schild angebracht
ist: 'Das Sprechen mit dem Fahrer während der Fahrt ist verboten!', steht in
brasilianischen Autobussen: 'Bitte sprechen Sie mit dem Fahrer nach Möglichkeit
nur dann, wenn er gerade nicht fährt!'"
Das ist Wirklichkeit. Wie groß ist der Unterschied?
Durch die letzten Jahre der österreichischen Geschichte,
von der
Vranitzkyära
bis weit hinein in die schwarz-blaue Zeit führt uns diese Sammlung von Artikeln
und Essays, Bestandsaufnahmen dessen sozusagen, was jeweils faul ist im Staate
Österreich. Und das ist, wie es scheint, eine ganze Menge.
So lenkt Menasse seinen scharfen analytischen Blick auf die österreichische
Verfassung und ihre fragwürdige Anwendung (zahlreiche Beispiele hierfür
aus Zeiten der großen Koalition), streift vorsichtig die österreichische Mentalität
( Worte wie "Untertanenstaat" oder "Untertanendenken" verlangten - gemessen
an dem tatsächlichen Auftreten des Fänomens - gewiss nach häufigerer
Benützung), konstatiert einen seichten Umgang seiner Landsleute mit der
Vergangenheit sowie einen heuchlerischen mit der Gegenwart, beschäftigt sich
mit der Rolle der Medien bei der Schaffung von Politikerimages, der Hervorbringung
künstlicher Wirklichkeit mittels bürokratischer Sprache und ähnlichen Kunststücken
der modernen Welt.
Der erste Eindruck ist, dass die
Aufzählung aller Absonderlichkeiten unseres Landes (und unser Land ist oft ein
amüsantes Sinnbild für die moderne Welt) den Rahmen so eines 200-Seitenbuches
sicherlich sprengen würde, solcher Lappalien etwa wie des de facto ORF-Monopols
oder unseres aufgeblähten
Beamtenapparats
wird mit keinem Wort Erwähnung getan. Überhaupt hat Menasse eine gewisse Vorliebe
für das Hinter- und Abgründige, mit einer wohltuenden Ausnahme allerdings: wenn
er bezüglich mancher Fehlentwicklungen historische
Ursachenforschung betreibt, bewegt er sich dabei großenteils innerhalb der letzten
Jahrzehnte; schließlich hat man oft und anlässlich der EU14-Sanktionen
besonders drastisch erlebt, dass Fixierungen auf die
Nazizeit
(in anderen Fällen angeblich sogar auf die Monarchie) den Blick auf das
wesentliche, in besagtem Fall auf die kontinuierliche Entwicklung der 2. Republik,
verschleiern können.
Besonders wohltuend aber sind die emotionelle Unvoreingenommenheit
und Nüchternheit, mit der sich der Autor dem jeweiligen Thema, sei es brandheiß
oder unscheinbar, nähert. Wohl gerät ihm das eine oder andere bon mot mehr übertrieben
als gut, und möglicherweise sind auch seine Analysen manchmal fehlerhaft
bzw. - wie bereits erwähnt - unvollständig. Aber der Hauptwert von Menasses
Essays besteht wohl in ihrer Spiegelfunktion für den Leser, als Aufforderung,
mit eigenen Augen zu sehen, was Sache ist.
(fritz; 2000)
Robert Menasse: "Erklär mir Österreich"
suhrkamp taschenbuch, 2000. 175 Seiten.
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