Bernd Harder: "Medjugorje"

Wallfahrt für Millionen


Für interessierte Skeptiker nur bedingt geeignet

Am Johannistag des Jahres 1981 erschien die Madonna sechs Kindern in einem kleinen Dorf in der Nähe von Sarajewo. Seither sind mehr als 20 Millionen Menschen dorthin gegangen, um zu beten und zu fasten. Die Kinder, die die Madonna geschaut haben, sind mittlerweile im besten Lebensalter, haben geheiratet und betreuen, sofern sie nicht von Medjugorje weggezogen sind, hauptberuflich die Pilger in einem Touristenort, der mittlerweile 50.000 Gästebetten aufweist.

Dieser einfache Absatz, der nur die Tatsachen wiedergibt, kann das Phänomen oder die Faszination Medjugorje für die Millionen nicht erklären. Marienerscheinungsstätten wie Lourdes oder Fatima und Marienanbetungsstätten wie Tschenstochau, Mariazell und viele andere mehr gehören zu jenen Orten der Hoffnung, in denen besonders inbrünstig gebetet wird und wo im Überschwang auch manche dokumentierte Heilungen stattfinden. Dass Medjugorje hier heute einen besonderen Rang einnimmt, hat damit zu tun, dass dort die Heilige Maria immer noch erscheinen soll - und wahrscheinlich auch, dass die offizielle katholische Kirche diesem Wallfahrtsort ihren offiziellen Segen verweigert.

Der Autor Bernd Harder hat sich in den letzten Jahren als Skeptiker verschiedenster Mythen einen Namen gemacht. Sehr erfolgreich ist derzeit sein eben bei Eichborn erschienenes Buch "Großstadtmythen", das demnächst gefolgt werden wird von "... warum die Waschmaschine Socken frisst." Bei Medjugorje muss er als Autor natürlich besonders vorsichtig sein, denn dieses Buch wird fast nur von Katholiken gekauft werden, die dorthin wallfahren möchten. Er hält sich dementsprechend sehr zurück, wenn es um die Beurteilung von Irrationalitäten geht, denn er möchte seine Leser nicht vergraulen.

Das lässt das Buch etwas in die Jubelbroschürenrichtung kippen. Gerade in der katholischen Kirche scheint man sehr geteilter Meinung zu sein, was Medjugorje angeht, und davon erzählt Harder nur sehr wenig. Diese Skepsis hat verschiedene Gründe. Wichtigster ist natürlich die Frage, ob es sich bei Medjugorje überhaupt um ein christliches Phänomen handelt. Die Seher sind ja prinzipiell einmal Laien, die inbrünstig beten und vorgeben, das Sprachrohr der Mutter Gottes zu sein, aber spricht hier auch Gott? Von Maria sind in der Bibel selbst ja nur Randbemerkungen erhalten. Wie soll man sich erklären, dass sie 2000 Jahre nach ihrem Tod zurückkehrt, um der Menschheit Einhalt auf Irrwegen zu gebieten? Fährt sie hier nicht dem christlichen Gott selbst in die Parade? Glauben wir Christen denn nicht mehr an einen dreifaltigen Gott, nämlich Vater, Sohn und Heiligen Geist, sondern an die Mutter des Erdensohnes, die gerade noch nebenbei ihren stummen Sohn vorschiebt, um nicht ganz im Mittelpunkt zu stehen?

Die Frage zeigt auch schon, warum Maria so viele Anhänger hat. Die überbordende Männlichkeit des christlichen Glaubens ist vielen Menschen ein Dorn im Auge, und die Marienanbetung ist dann oft der Versuch, mehr weibliche Elemente des Bewahrens, Schützens, Hegens und Pflegens in eine als kalt empfundene Männerwelt einzubringen. Die Vorstellung der Erdmutter, die uns ernährt und bei Fehlentwicklungen warnt, ist aber bestimmt nichts Christliches, wahrscheinlich älter als die Bibel und nicht einmal europäisch. Gaia nennt man sie gerne, aber sie hat in allen Völkern andere Namen. Schon bei Apuleius um 100 n. Chr. taucht sie aus dem Meer auf, von Licht umflutet, und spricht zum Erzähler. Die europäischen Hexen des Altertums kannten nichts Höheres als die Erdmutter, den Ursprung des Lebens. Im Mittelalter tauchte dann als kirchliche Gegenbewegung, die die Anbetung der Mutter unterdrücken wollte, überall dort, wo ihr in Hainen gehuldigt wurde, ein Kirchlein auf, das nach einer Frau benannt wurde. Entweder es war eine Marienkapelle oder eine Walpurgiskapelle, so der offizielle Name. Mit der Zeit wurden dann Marienanbetungsstätten daraus. Eigentlich aber wurde dort immer der Erdmutter gedacht, gerade in Walpurgiskapellen, hoch oben auf den Hexenbergen. Der Name weist ja übrigens schon auf die Walpurgisnacht hin, die Nacht zum 1. Mai, die die Hexen selbst Beltanenacht nannten, und in der sie gerne zu den Hexenbergen strömten.

Vor diesem Hintergrund ist die Zahlenmystik von Medjugorje auffallend. Die erste Erscheinung fand am 24. Juni 1981 statt, der Nacht der Sommersonnenwende, von den Christen Johannisnacht genannt. Shakespeare schrieb ein Stück darüber. Sein unverblümt heidnischer "Sommernachtstraum" fällt in diese Nacht. Hexen wissen, dass sie in dieser kürzesten Nacht im Jahr, vor allem, wenn es eine Vollmondnacht sein sollte, besonders wirkungsvolle Arzneien pflücken können. Zu diesen sogenannten Johanniskräutern gehören Margerite, Arnika, Bärlapp, Beifuss, Eisenkraut, Kamille, Klette, Quendel, Ringelblume und vieles Andere mehr, besonders aber das getüpfelte Johanniskraut, auch bekannt als Hexenkraut, das sowohl Hexenkraft hat, als auch den Teufel austreiben kann, wenn man ein Büschel bei sich trägt. In dieser Hexennacht erschien abends die Madonna den Kindern.

Meine Meinung: Wenn das ein rein christliches Phänomen sein sollte, dann hat sich die Madonna einen sonderbaren Tag ausgesucht, um für das Christentum einzutreten. Auch ihr Entschluss, einem der Kinder nur mehr einmal im Jahr am 25. Dezember zu erscheinen, zur Wintersonnenwende, oder einem anderen am 19. März, kurz vor der Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche, weist in diese naturmythische Richtung, wenn auch die Vereinnahmung dieser Feiertage durch die Kirche als Weihnachten und Ostern im Lauf der Geschichte recht gut gelungen ist. Aber selbst das Christliche von Weihnachten und Ostern ist relativ zu sehen. Ostern kommt von der germanischen Göttin Ostara, und das Osterei ist das Symbol des keimenden Frühlings. Ziemlich heidnisch, finden Sie nicht? Selbst Weihnachten, das Lichtfest der Germanen, diesen Bäumeanbetern mit ihren stolzen Tannen, hat mehr heidnische als christliche Elemente. Immerhin aber verbindet sich hier der christliche Gedanke, dass Gott das Licht der Welt ist, mit dem alten, nicht umzubringenden Brauch.

Auf all diese Fragen geht Harder in dem Buch nicht ein. Es ist trotzdem sehr gut gemacht. Knapp, aber präzise und umfassend. Eigentlich bietet es alles, was man über das Phänomen der Madonna von Medjugorje wissen wollte, wenn auch auf engstem Raum. Zuerst werden die Erscheinungen erzählt, dann folgen Porträts der einzelnen Kinder. Es wird die Reaktion der Kirche und der Gläubigen dargestellt, Letzteres besonders ausführlich, wobei man den Promis, die hier waren und Inspiration aus Medjugorje gezogen haben - Hollywood-Stars, aber auch Andere, zum Beispiel die Kelly-Family - und drei in Medjugorje Erleuchtete, die ihre Erfahrungen schildern, ausführlicher zu Wort kommen. Die Skepsis der Kirche wird allein am Bischof von Mostar festgemacht, wobei nach meinen Informationen aber weit mehr kirchliche Würdenträger Bedenken haben. Das Ergebnis der letzten kirchlichen Kommission war immerhin, dass offizielle Wallfahrten untersagt sind, man aber privat dorthin fahren und beten darf. Papst Benedikt XVI. hat sich als damaliger Leiter der Glaubenskongregation 1991 durchaus positiv zu Medjugorje geäußert.

"Wallfahrt für Millionen" eignet sich sehr gut für Neugierige mit einer gewissen Restskepsis, aber doch willig, sich dem Phänomen der bosnischen Madonna zu öffnen. Im Anhang des Buches findet man sehr hilfreiche Informationen, unter anderem den Hinweis, dass man mit dem Privatauto nicht nach Bosnien-Herzegowina hineinkommt, wenn man nicht eine grüne Versicherungskarte dabei hat.

(Berndt Rieger; 04/2005)


Bernd Harder: "Medjugorje"
Pattloch, 2005. 240 Seiten.
ISBN 3-629-02105-0.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Lexikon der Großstadtmythen. Unglaubliche Geschichten von Astralreisen bis Zombies"

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Bernd Harder, Journalist der Zeitschrift "Skeptiker" und Pressesprecher der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften", erzählt in "Das Lexikon der Großstadtmythen" die spannendsten modernen Legenden und zeigt, wie sie entstanden sind.
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