Tobias Leuker: "Bausteine eines Mythos"

Die Medici in Dichtung und Kunst des 15. Jahrhunderts


"Pater Patriae": Wie die Medici sich bewerben ließen und selbst darstellten

Italien war im 15. Jahrhundert zerrissen. Zu den mächtigsten souveränen Städten gehörte die Republik Florenz, die jedoch, wie andere bedeutende Städte auch, durch das Paktieren ihrer Verbündeten und Feinde geschwächt wurde. Nicht zuletzt diese Schwäche ermöglichte es der Familie Medici, die Republik in eine Art Erbmonarchie umzuwandeln - mit dem kaisergleichen Familienoberhaupt an der Spitze. Die Medici prägten sechs Jahrzehnte der florentinischen Geschichte und hinterließen zahlreiche Spuren in der zeitgenössischen Literatur und Kunst.

Der Literaturwissenschaftler Tobias Leuker geht in "Bausteine eines Mythos" diesen Spuren nach. Nicht alle sind so offensichtlich wie zwei Medaillen, die Cosimo de' Medici als "Pater Patriae", den Vater des Vaterlandes, bezeichnen. Die darin enthaltene Huldigung schließt sich ebenso selbstredend an die römisch-kaiserliche Tradition an wie viele Lobeshymnen Medici-freundlicher Dichter, von denen Naldo Naldi vielleicht der bedeutendste ist. Interessant sind auch die von den Medici in Auftrag gegebenen oder im Auftrag Dritter für sie angefertigten Gemälde und anderen Kunstwerke: Ihnen wohnt zumeist neben der religiösen Botschaft oder dem klassisch-antiken Motiv eine politische Bedeutung inne; so kann man ein Bild der mit Medici-Symbolen geschmückten Athene, die einen stürmischen Zentauren sanft, aber unnachgiebig bändigt, als eine Unterweisung in der Staatslenkung interpretieren. Auch Darstellungen von Namenspatronen verschiedener Medici-Familienmitglieder haben stets einen tieferen Sinn, der sich aus den Heiligenviten erschließt. Nicht selten wird dem mediceischen Florenz in Kunstwerken und Literatur in einer Weise gehuldigt, aus der klar hervorgeht, dass das Schicksal der Stadt mit jenem des herrschenden Medici eng verknüpft ist und beide einander bedingen. Diese offen zur Schau getragene Verschmelzung verstärkt sich, als im Rahmen eines Komplottes in einer Kirche ein Attentat auf die Brüder Lorenzo und Giuliano de' Medici verübt wird. Giuliano stirbt, Lorenzo wird nur leicht verletzt und gibt eine Medaille heraus, deren Inschrift die schicksalhafte Verbindung von Staat und Herrscher hervorhebt.

Auch politische Leistungen der Medici werden in der Literatur gewürdigt, zum Beispiel die Friedensschlüsse mit Neapel und dem Vatikan. Einer der Medici-Neffen wird schließlich erst dreizehnjährig zum Kardinal berufen. Doch die Medici hatten viele Feinde - die Aufhebung der Republik gefiel den Patriziern nicht, und natürlich gab es Neid. 1494 wurde Piero de' Medici aus Florenz vertrieben.

Bei diesem Buch handelt es sich um eine Überarbeitung der Habilitationsschrift des Autors. Dementsprechend folgt es einem streng wissenschaftlichen Aufbau mit klarer, vorwiegend chronologischer Gliederung und der Erschließung des Stoffes anhand zahlreicher moderner und älterer, vielfach zeitgenössischer Quellen. Einige der vorgestellten Kunstwerke dürften die meisten Leser kennen, jedoch wahrscheinlich nicht unter den im Buch diskutierten Gesichtspunkten betrachtet haben - sie erschließen sich nun auf erstaunliche Weise neu. Nicht minder interessant ist die Interpretation der mit dem mediceischen Florenz befassten Literatur, deren Verweise auf klassisch-antike Vorbilder aus Mythologie und Geschichte den Leistungen und Stärken der jeweiligen Medici-Herrscher huldigen. Und auch Lorenzo de' Medici selbst erweist sich als ein geschickter Dichter: Davon zeugen seine Karnevalsgesänge, die, ganz in der Tradition, je nach Betrachtungsweise entweder völlig harmlos oder grob anstößig erscheinen, also durchweg zweideutig verfasst sind.

Stehen Wissenschaftlermeinungen zu einer Interpretation gegeneinander, so diskutiert der Autor die Standpunkte fundiert und anhand der Fakten- und Quellenlage; seine Schlüsse wirken stets plausibel und gut nachvollziehbar.

Das mit ausführlichen Personen-, Stichwort- und Literaturverzeichnissen versehene Buch enthält einen ausführlichen Bilderteil mit Schwarzweiß-Abbildungen der besprochenen Kunstwerke. Der Stil des Autors ist trotz der gebotenen Sachlichkeit und Knappheit unkompliziert und angenehm zu lesen, sodass sich die Lektüre nicht nur für Literatur- und Kunsthistoriker, sondern auch für an diesen Gebieten interessierte Laien lohnt.

(Regina Károlyi; 02/2007)


Tobias Leuker: "Bausteine eines Mythos"
Böhlau Verlag, 2006. 528 Seiten.
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