Colum McCann: "Zoli"
Colum
McCann gehört zu einer Reihe von jungen Autoren, die mit ihren
Romanen wirklich aufhorchen lassen, weil sie etwas zu sagen haben,
etwas Neues zu sagen haben. Auch sein soeben erschienener Roman "Zoli"
ist aufwändig recherchiert aber sparsam geschrieben. Der Autor
schickt kein Wort zuviel auf seine Seiten.
Wie er mit wenigen Worten den Holocaust an den Roma in der Slowakei
beschreibt, mag dafür als erstes Beispiel stehen:
"Rings um den See wurden Feuer entzündet und MGs
aufgebaut, sodass sie nicht fliehen konnten. Als es gegen Mittag immer
wärmer wurde, zwang man sie, die Wohnwagen in die Mitte des
Sees zu fahren. Das Eis brach, die Räder versanken, und der
Rest folgte ihnen, Wohnwagen, Pferde und Harfen."
Es bleibt der Phantasie des Lesers überlassen, sich den Rest
dazuzudenken: die Schreie der Menschen, Männer, Frauen und
Kinder, das Krachen der Wagen, das Gluckern und Röcheln des
Wassers.
So nimmt McCann den Leser sofort mit auf eine Reise, die versucht, all
das, was da von einem faschistischen Unrechtsregime getötet,
versenkt und ausgerottet werden sollte, das die Roma und Zigeuner zu
Untermenschen deklarierte und die Ressentiments der einheimischen
Bevölkerung gegenüber dieser Jahrhunderte alten
Volksgruppe zu nutzen und zu schüren wusste,
wiederherzustellen, zum Leben zu verhelfen, es tönen, es
hören zu lassen.
Colum McCann erzählt die Geschichte eines
Romamädchens, Zoli genannt, das zu Beginn des Buchs
fünf Jahre alt ist. Zoli überlebte dank ihres
Großvaters das oben beschriebene Massaker, denn er versteckte
sich mit ihr im Wald. Dieser Großvater sorgt dafür,
dass Zoli, die eigentlich Marienka heißt, aber mit einem
Jungennamen gerufen wird, lesen und schreiben lernt. Das hebt sie schon
zu diesem Zeitpunkt aus ihrer Volksgruppe heraus und macht sie zu etwas
Besonderem, aber auch zur Außenseiterin.
Der Großvater erkennt ihr übergroßes
Talent und spürt Zolis Freude am Wort und an der
Poesie. Und
deshalb verheiratet er sie, gerade einmal sechzehnjährig, mit
einem viel älteren Mann, einem begnadeten Geigenspieler. Von
ihm weiß der Großvater, dass er Zoli nicht in die
in der paternalistischen Struktur der Sippe übliche
Frauenrolle pressen wird, sondern dass sie bei ihm weiterhin lesen und
schreiben wird können. Und sie schreibt viel; sie
beschreibt, was sie erlebt. Ihre neue Gemeinschaft, die kumpanija,
zieht sich vor der Vernichtungsmaschine der Nazis in die
Wälder zurück. Ihre ersten Gedichte und Lieder
entstehen.
Der Großvater, der seine Enkelin dergestalt fördern
wollte, wird später von der eigenen Gemeinschaft
dafür angeklagt, dass er Zoli das Lesen und Schreiben
beibrachte. Frauen tun so etwas nicht in dieser alten Kultur.
Viel später, nachdem Zoli von der ersten kommunistischen
Regierung der ČSSR mit der
Unterstützung zweier Männer, von denen gleich noch
die Rede sein wird, hochgejubelt und gefeiert worden sein wird, um
dann, weil die Zeiten frostiger und die vorübergehende
kulturelle Freiheit einer Eiszeit gewichen ist, abserviert und
kaltgestellt worden zu sein, wird auch sie von ihrer kumpanija
verurteilt und mit Schande davon geschickt.
Während dieser ersten Phase lernt Zoli Stephen Swann, einen
irischen Journalisten und Völkerkundler kennen und verliebt
sich ihn. Auch er erkennt Zolis Talent, aber er
überhöht sie. Und er verbindet mit dem Projekt, Zolis
Gedichte als Buch zu veröffentlichen, Motive, die alles andere
als uneigennützig sind. Er weiß sich der
Unterstützung der Regierung sicher, die in den ersten
euphorischen Jahren des Kommunismus in der ČSSR
Zoli als Kundschafterin der bis dahin verachteten Roma, die nun
erstmals Bürgerrechte bekommen haben, benutzen will.
Zoli spürt das und bittet ihren Freund inständig, von
diesem Projekt Abstand zu nehmen, zumal sie all die vergangenen Jahre
in einem regelrechten Zwiespalt gelebt hat. Ihre Lieder und Gedichte
müssen aus ihr heraus, gleichzeitig spürt sie, wie
sie von der kumpanija argwöhnisch
beäugt wird.
Swann veröffentlicht mit Hilfe seines Freundes Martin
Stransky, Herausgeber einer Zeitschrift, Zolis Gedichte und
verrät damit die Frau, die er doch zu lieben vorgab, indem er
sich als Entdecker von Zolis Lyrik feiern lässt. Und dann
kommt es doppelt schlimm für Zoli: Als die Stalinisierung der
Parteikader voranschreitet, beginnt Ende der 1950er Jahre eine
Kampagne, welche die Roma zur Sesshaftigkeit zwingen will und
schreckliches Elend unter diesem geschundenen Volk hervorruft. Sie
werden in neu errichtete Wohnblöcke gepfercht; gleichzeitig
nutzen die Machthaber Zolis Gedichtband zu Propagandazwecken schamlos
aus.
Und dann wird Zoli Novotna von der kumpanija
verstoßen. Dieses Urteil, der kris,
ist für sie schlimmer, als wenn man sie zum Tod
verurteilt hätte. Vollkommen wurzellos und ohne finanzielle
Mittel, nur ihren alten Parteiausweis hat sie noch dabei, denn
natürlich hatte man sie genötigt, in die KP
einzutreten, macht sie sich auf die lange Reise nach Paris, jene Stadt,
von der sie schon seit Jahren träumt. Sie weiß, dass
sie nach Westen gehen muss.
Nun schildert Colum McCann in bewegenden Worten eine abenteuerliche
Flucht Zolis durch den Eisernen Vorhang. Eine unglaubliche seelische
Kraft treibt sie voran, und dann weiß sie bestimmte
Situationen gut zu nutzen und befindet sich irgendwann auf der
österreichischen Seite. Ihr KP-Ausweis bringt sie unter
Spionageverdacht, doch sie steht auch den monatelangen Aufenthalt in
einem Internierungslager und die Verhöre durch die
Geheimpolizei durch. Endlich findet sie sich in Südtirol
wieder und beginnt ein zweites Leben. Ihr altes, erstes Leben kann sie
dennoch nicht vergessen. Ihre Lieder, ihre Gedichte, sie kann sie nicht
aus ihrem Herzen löschen.
Sodann gibt Colum McCann der Geschichte eine wunderbare Wendung, indem
er schildert, dass es nie zu spät ist, die wichtigen Dinge im
Leben zu tun. Dieses Ereignis gegen Ende des langen Lebens der
Protagonistin ist so ergreifend wie der ganze Roman.
McCann hat es gewagt, sich in
eine Kultur und eine Lebenswelt
hineinzuschreiben, die er selbst nicht kennt. Neben ausgedehnten
Recherchen, auch vor Ort in der Slowakei, ist ihm sein
außerordentlicher Schreibstil zu Hilfe gekommen; eine leichte
Sprache spricht er, die das Buch zu einem wahrhaften Leseerlebnis macht.
Ein großartiges Buch, wie es nur ganz wenige in diesem
Frühjahr zu feiern gibt.
(Winfried Stanzick; 02/2007)
Colum
McCann: "Zoli"
(Originaltitel "Zoli")
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
Rowohlt Reinbek, 2007. 383 Seiten.
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