Joachim Radkau: "Max Weber"

Die Leidenschaft des Denkens


Das Entstauben einer Ikone

Joachim Radkau ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bielefeld. Er bewirtschaftet die Themen Technik-, Umwelt- und Medizingeschichte.

Max Weber war ein typischer Vertreter eines in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründenden großbürgerlichen Gelehrten. 1864 in Erfurt geboren, studierte Max Weber Jura, Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte und wurde 1889 in Jura promoviert. Später lehrte er im Wesentlichen auch Nationalökonomie, sofern er lehrte. Denn bereits ab 1897 ließ er seine Lehrtätigkeit für mehr als 20 Jahre ruhen. Doch bekannt geworden ist er als einer der Heroen der Soziologie, der sich insbesondere in seiner Protestantischen Ethik über die Verbindung des Titel gebenden Protestantismus mit dem Kapitalismus ausließ.

Es stellt sich nun die spannende Frage, welcher Disziplin wohl der ideale Autor einer Biografie Max Webers angehören sollte? Der Autor Joachim Radkau ist ausgewiesener Medizinhistoriker, der sich unter Anderem mit dem Zeitalter der Nervosität auseinandersetzte. In dem gleichnamigen Buch lernt man eine Menge über deutsche Befindlichkeiten in der Zeit des späten 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. So kann man auch erwarten, dass der nervöse und auch lange Zeit nicht belastbare Max Weber als Patient (oder Opfer?) der neurasthenischen Epoche ein Aspekt dieser Biografie sein wird.

Nun kommen wir zu dem großen Kritikpunkt dieses doch grundsätzlich sehr fundierten und überaus gründlich recherchierten Buches: Die sexualpsychologischen Leiden Webers nehmen auf den ersten 310 Seiten einen so breiten Raum ein, dass sich der Rezensent zum Weiterlesen zwingen musste - hätte er nicht rezensiert, hätte er nicht weiter gelesen!

Auf den ersten 80 Seiten stehen Webers Mutter Helene, seine Ehefrau Marianne sowie deren Querelen oft im Fokus des Autors, sogar stärker als Max Weber selbst. Und die Sexualität dieser drei Menschen im Lichte der allgemeinen Nervosität erinnert doch zu sehr an eine Fortsetzung von "Zeitalter der Nervosität" des Autors aus dem Jahre 1998. Ab Seite 250 erwarten den Leser 60 Seiten einer Sexualkrankengeschichte Max Webers, in der seine Probleme in einer Art breitgetreten werden, dass man Mitleid mit ihm bekommt. Diese beschreibt der Autor in einer Weise, die man in einer medizinischen Publikation ansiedeln könnte, aber nicht in einer Biografie, die den Menschen verlangt und nicht so sehr seine Psychopathologie.

Hat man diesen Teil des Buches überwunden, so gelangt man aber zu der dichten Schilderung Max Webers, seiner Zeitgenossen und somit auch der Zeit. Und wenn man begonnen hat, Geschichte in ihrem jeweiligen zeitlichen Kontext der Gesellschaft zu begreifen, dann sind solche dem Grunde nach recht isolierten, aber ebenfalls dem Grunde nach sehr dichten und aufschlussreichen Biografien ein Schlüssel zur Geschichte einer Epoche. Und genau da liegt der ungemeine Gewinn dieses Buches, der auch die partiellen Strapazen der ersten 310 Seiten rechtfertigt.

Max Weber selbst
Max Weber umrankt ein Mythos, der nicht in seiner Rolle als einer der Stammväter der Soziologie zu suchen ist, da er sich doch kurz nach dem Start seiner Professorentätigkeit schon wieder aus dem Kathederleben zurückzog. Sein Ruf gründet wohl zu Lebzeiten mehr in seinen Heidelberger Salons, seinem gelehrten Eranos-Kreis und seinen sonntäglichen jours fixes. Dort brillierte der hoch Gebildete in der Fallenstein-Villa am Neckarufer und trug so maßgeblich zu dem Nimbus Heidelbergs in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bei. Nach seinem universitären Rückzug verblieb ihm einzig das "Archiv für Sozialwissenschaften" als wissenschaftliches Ventil. Der Anonymität der Geschichte ist Max Weber erstens deshalb entkommen, weil seine Frau Marianne posthum seine Werke herausgab. Und zweitens gründet seine relative Bekanntheit darin, dass sein Werk in der unsäglichen Nazizeit in den USA überlebte und von dort in den 1950er-Jahren in Wissenschaftskreisen quasi reimportiert wurde und in den 1960er-Jahren eine Art Renaissance erlebte. Und auch Ferdl Weiß trug dazu bei ...

Weiter oben war davon die Rede, dass Geschichte über den zeitlichen Kontext der Gesellschaft begriffen werden kann. Doch da muss man die Einschränkung machen, dass dieses Relativieren nicht für die Personen gelten darf, die aufgrund ihrer Bildung in der Lage gewesen wären, ihre Zeit absolut zu bewerten. Und dazu gehört Max Weber sicherlich. Aber er wird diesem Anspruch wirklich nicht gerecht.

In seiner Antrittsrede in Freiburg 1895 verstieg er sich in teils rassistische Ausbrüche in Richtung der polnischen Bauern. Da diese zeugungskräftiger seien als die deutschen Bauern, stellen sie eine Gefahr für die Nation dar: "Der polnische Kleinbauer gewinnt an Boden, weil er gewissermaßen das Gras vom Boden frißt, nicht trotz, sondern wegen seiner tiefstehenden physischen und geistigen Lebensgewohnheiten."

Max Weber stimmte im Oktober 1918 noch für die Fortführung eines Krieges, der täglich knapp zehntausend Menschenleben einforderte. Zu der Zeit warnte er "die deutsche Sozialdemokratie", "dass [...] jetzt, wo ein Heer von Negern, Ghurkos und allen barbarischen Lumpengesindel der Welt an unseren Grenzen steht" .... Und so meint er auch: "Ein Herrenvolk und nur dieses kann und darf Weltpolitik betreiben." Weber zeigte auch Verständnis für den Mörder Kurt Eisners, dessen "nationale Sündenbekenntnisse" ihn aufregten. Und: "Liebknecht gehört ins Irrenhaus und Rosa Luxemburg in den zoologischen Garten."

Ein Auszug aus einer Rede Johannes Raus aus dem Jahre 2001 hilft bei der Einordnung des Begriffes Nationalismus: "Ein Patriot ist jemand, der sein eigenes Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet." Max Weber präsentiert sich insgesamt bifrontal wie der römische Janus: ein Kopf mit zwei Gesichtern. Eines gehört dem humanistisch ausgebildeten und sehr belesenen Analytiker der Gesellschaft und der Welt. Doch hinter dem zweiten steckt ein Nationalist, der sogar den Krieg zu legitimieren vermag. Ein Soziologe muss viel Verstand haben (wenn er Erfolg haben will), ein Kriegsbefürworter zeigt aber ganz klar, dass er entweder die Welt eben nicht verstanden hat oder dass sie ihm egal ist.

Er hielt die Aktionen an der Westfront und insbesondere in Belgien für falsch, doch nicht weil er Mitleid mit den betroffenen belgischen Biografien hatte, sondern weil er Angst hatte, dass dies zum Einzug der Briten in den Krieg führen würde und der Deutschen Nation nicht gut täte. Der Krieg im Osten wiederum hatte seinen Segen.

Ein grenzenloser Zyniker ist also die einzige Ausprägung, die einen martialischen Soziologen erlaubt; andernfalls handelt es sich um eine contradictio in adiecto. Hinsichtlich des Nationalismus hält es der Rezensent mit Hermann Hesse: "Zwei Geisteskrankheiten sind es, denen wir den Zustand der Menschheit verdanken: der Größenwahnsinn der Technik und der Größenwahnsinn des Nationalismus."

Noch an einer weiteren Stelle möchte ich am Sockel kratzen. Ein Satz wie "Wie dem konsequenten Jesuiten, so verleiht dem gläubigen Marxisten sein Dogma jenes Hochgefühl [...]" (I/10, 171 f) mit dem kategorisierenden Singular kennzeichnet üblicherweise Menschen, die (noch) nicht von der Individualität der Menschen durchdrungen sind. So sprachen zum Beispiel die Nationalsozialisten von dem Franzosen und von dem Juden. Doch seit der Renaissance ist die europäische Geisteswelt von der Idee des Individuums durchdrungen, was solche Formulierungen im frühen 20. Jahrhundert als bedenklich erscheinen lässt. Neben der fehlenden begrifflichen Reife ist auch oft Oberflächlichkeit der Antrieb solch einer selbst heute noch anzutreffenden Diktion, die aber in aller Regel auf einen unausgereiften Geist schließen lässt. Geisteswissenschaftlern muss man aber unterstellen dürfen, dass sie die Sprache beherrschen und jedes Wort exakt so meinen wie sie es ausdrücken.

Was bleibt übrig von Max Weber? Die Ideen der protestantischen Ethik sind nicht so außergewöhnlich, dass ihr Verfasser die Halle der Geistesgeschichte strahlend hell erleuchtete. Erich Fromms "Furcht vor der Freiheit" ist mindestens ebenbürtig.

Posthum schrieb der Rechtswissenschaftler Hermann Kantorowicz über Max Weber: "Nie war in neuerer Zeit in einem Kopfe so vieles und so verschiedenartiges Wissen gesammelt, nirgends in so stahlharter Begriffsprache dargelegt. [...] Aber am Schluß erhebt sich doch der bis zur Verzweiflung gesteigerte Zweifel des 'Wozu dies alles?'."

Zum Schluss ...
Wenn zwei Menschen zusammen in einem Altenheim leben, so wohnen sie nicht in dem gleichen, sondern in demselben Altenheim (S. 792). Darf man als Rezensent so pingelig sein? Ja, man muss, sonst wird man den allerdings seltener gewordenen Büchern nicht gerecht, die ein perfektes Lektorat und Korrektorat durchliefen. Und das ist ja der Standard im Hause Hanser.

Fachbegriffe ergeben dann Sinn, wenn ihnen eine Bedeutung zukommt, die nur diesem Begriff zugeordnet werden kann; die Umkehrung gar davon kann man in dem folgenden Begriff beobachten: perhorreszieren: in Grosses vollständiges Universal-Lexikon von Johann Heinrich Zedler aus dem Jahre 1754: sich für etwas einsetzen. Vermutlich meinte der Autor damit jedoch verabscheuen. Wenn aber ein solcher Begriff wie perhorreszieren ohne Not mitten in einem Satz steht und den Leser zwingt, sich auf die Suche nach einer Bedeutung zu machen, so ist das pure Eitelkeit.

Befremdlich wirkt dieser Satz auf Seite 152: "Viele glaubten, der Idealismus zeichne die Deutschen vor den Juden aus [...]." Es handelt sich um kein Zitat, sondern um eine Formulierung des Autors. Der Rezensent stellte sich intensiv die Frage, ob es zu kritisch ist, diesen Vergleich als methodisch falsch zu deklarieren und zu fragen, welche Nationalität denn diese Juden haben, die er mit den Deutschen vergleicht?

Im Jahre 2014 wird zum 150. Geburtstag Max Webers vielleicht eine Biografie aus der Feder Dirk Kaeslers erscheinen - angekündigt ist sie bereits. Sie wird dann den frühen Soziologen zum Gegenstand haben, aber die BIO-Grafie Max Webers ist geschrieben, verfasst von Joachim Radkau, wenngleich sie ein paar Mängel aufweist.

(Klaus Prinz; 11/2005)


Joachim Radkau: "Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens"
Hanser, 2005. 1008 Seiten.
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Zwei weitere Bücher des Autors:

"Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler"

In einer nationalistischen Propagandaschrift wird kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Befindlichkeit der deutschen Gesellschaft mit den Worten "Überall Unsicherheit, überall Schwäche, überall Angst, Angst, Angst" beschrieben. Ausgehend von dieser zeitgenössischen Wahrnehmung untersucht der Historiker Joachim Radkau die spannende Frage, wie die wilhelminische Gesellschaft Nervosität als charakteristisches Leiden ihrer Zeit inszenierte. Anhand einer Fülle von Einzelbeobachtungen gelingt es ihm, die Nervosität als eine Wechselbeziehung zwischen kulturellem Konstrukt und echter Leidenserfahrung zu analysieren.
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"Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte"
zur Rezension ...

Weitere Buchtipps:

Jürgen Kaube: "Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen"

Bereits als Dreizehnjähriger studiert er die Werke Machiavellis und Luthers, mit neunundzwanzig wird er Professor, er ist zeitweise glühender Nationalist und sieht sich als Gesellschaftstourist dennoch gern die us-amerikanische Lebensart an: Max Weber (1864-1920) gehört nicht nur zu den einflussreichsten Denkern der Moderne, sondern ist zugleich eine der schillerndsten, widersprüchlichsten Persönlichkeiten des deutschen Geisteslebens im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Er leidet an der zeittypischen "Nervenkrankheit", arbeitet wie besessen und vollendet dennoch kaum ein Buch; selbst sein Hauptwerk "Wirtschaft und Gesellschaft" erscheint erst posthum. Webers Bedeutung als Soziologe und Volkswirt, Historiker und Jurist ist unumstritten - seine Aufsätze haben Generationen von Akademikern und Politikern beeinflusst, weltweit -, aber was prägte ihn selbst, was trieb ihn an? Als Mensch ist Max Weber bis heute ein Geheimnis geblieben.
Jürgen Kaube, einer der renommiertesten deutschen Wissenschaftsjournalisten, versucht in seiner mitreißend geschriebenen, anlässlich des 150. Geburtstags von Max Weber erscheinenden Biografie, dieses rastlose, stets am Rande der Erschöpfung geführte Leben zu ergründen - und entwirft zugleich ein faszinierendes Zeitbild der ersten großen Phase der Moderne. (Rowohlt Berlin)
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Dirk Kaesler: "Max Weber. Eine Biografie"
Max Weber ist einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts, doch er war nicht unser Zeitgenosse. Dirk Kaesler zeigt in seiner lang erwarteten, glänzend erzählten Biografie Max Weber im Koordinatensystem seiner eigenen Epoche - zwischen der Gründung des Deutschen Kaiserreichs und seinem Untergang.
Nur wenige Denker werden so häufig als Interpret unserer Gegenwart in Anspruch genommen wie Max Weber. Etwa, wenn es um die Frage geht, ob Politiker "Charisma" haben oder nicht, wenn behauptet wird, dass Politik das "Bohren harter Bretter" sei oder wenn erörtert wird, ob der Protestantismus "Schuld" am Kapitalismus trage. Doch es war nicht unsere Welt, die Weber zu seinen Theorien inspirierte.
Dirk Kaesler rekonstruiert die Entstehung von Webers Werk im Kontext der damaligen Ideen und Kontroversen, zeichnet seine wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten nach und entschlüsselt eindrucksvoll den Menschen Max Weber. Dabei wird deutlich, wie sehr sowohl das wissenschaftliche Werk als auch das lebenslange politische Engagement dieses Mannes untrennbar mit seinen diversen Familiensystemen verbunden waren und nur aus diesen verstanden werden können. Leben wie Werk Max Webers sind vorgeprägt von Vorfahren, Großeltern, Eltern und Geschwistern, deutschen Städten und ihren Bürgern. Seine bedeutenden wissenschaftlichen Leistungen sind zugleich das Werk seines eigenen Lebens wie auch das jener vielen Menschen, die dieses Leben begleitet und mitbestimmt haben. (C.H. Beck)
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Leseprobe:

Blutsbande und Wahlverwandtschaft

(...) Selbst Max Webers Verliebtheiten hielten sich im Kreis der Familie. Seine erste Jugendliebe war "Klärchen", seine Schwester Klara, deren Schwäche für ihren ältesten Bruder, der sie manchmal zärtlich "Kätzchen" nannte und auf den Mund küßte, von der Mutter Helene auf Max Webers Hochzeit ungerührt mit einem Sketch verulkt wurde, wo Klara mit gespielter Verzweiflung singt: "Verlassen, verlassen, verlassen bin i - das sollt mein Leid wohl sein als 'erste Frau', die ich gewesen ..." Eine gewisse brutale Offenheit gehörte in der Familie Weber zum Stil. Max Webers erste Quasi-Verlobte, Emmy ("Emmerling") Baumgarten, war seine Cousine, Marianne seine Nichte zweiten Grades. Ja, selbst Else Jaffé war, als Weber sich in sie verliebte, schon Familie im weiteren Sinne, als langjährige enge Freundin Mariannes und Lebensgefährtin Alfred Webers - was die Situation nicht gerade erleichterte. Und auch Mina Tobler ging im Hause Weber längst ein und aus, als sie und Max Weber sich körperlich näherkamen; in Mariannes Briefen ist sie das "Tobelkind". Zur Liebe gehörte für Max Weber familiäre Vertrautheit; der erotische Reiz des Exotischen spiegelt sich allenfalls in seinen Schriften über die östlichen Religionen. Für die These Freuds, daß die Libido ursprünglich inzestuös sei, bietet er das beste Beispiel.

Optionen für Webers Familiäres Geschichtsbewußtsein. Wie nahm Weber seine familiären Wurzeln wahr? Die Masse der Familienerinnerungen bot mehrere Möglichkeiten. Da war der Großvater mütterlicherseits, Georg Friedrich Fallenstein (1790-1853), mit dem Marianne ihr Lebensbild beginnt: ein reizbarer Stimmungsmensch, der in den Freiheitskriegen bei "Lützows wilder, verwegener Jagd" dabei war, und den seine Bewunderer zum altdeutschen Rekken stilisierten. Da gab es über dessen zweite Frau, Emilie Souchay (1805-1881), aber auch die Verbindung zu einer reich gewordenen Hugenottendynastie französischen Ursprungs und über diese wiederum familiäre Beziehungen nach England. Die Souchays waren geradezu eine Welt-Familie, deren Verwandtschaftsnetze bis Kanada, Südafrika und Indonesien reichten.

War Max Weber durch solche Konnexionen ein geborener Weltbürger? Gewiß war er gegen einen bildungsbürgerlichen Englandhaß gefeit; die Frontstellung "deutscher Idealismus gegen englischen Materialismus" war für ihn, der die Macht der puritanisch-religiösen Tradition bei den Angelsachsen entdeckte, einfach ignorant. Aber darum war er noch kein Kosmopolit. Die "Weltwirtschaft", ähnlich wie "Weltverkehr" und andere damals beliebte "Welt"-Komposita - schon jene Zeit schwelgte auf ihre Art in Globalisierungsrhetorik - kommt bei Weber nur sporadisch vor; nicht sie, sondern die nationale Wirtschaft war der Bezugsrahmen seines ökonomischen Denkens. Seine englischen Verwandten spielten für ihn keine Rolle; sogar auf seiner Englandreise von 1895 ist von einem Besuch bei ihnen keine Rede (R 557). In den USA besuchen die Webers zwar 1904 dortige Verwandte; diese entpuppen sich jedoch vor Ort als gescheiterte Existenzen, die - "ohne das Erbe des Yankeegeistes" - mühsam ein kümmerliches Dasein fristen (L 309f.). Eher schon kokettierte Max Weber gelegentlich, um sich von völkischer Engstirnigkeit zu distanzieren, mit seinen französischen Vorfahren, deren hugenottisches Erbe in seiner Protestantischen Ethik einen neuen Sinn bekam.

Verbindung von Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Marianne Weber, die Idealistin, machte aus ihrem Mann mit Vorliebe einen Sproß des deutschen Bildungsbürgertums. Neben Georg Friedrich Fallenstein, dem mit Gervinus befreundeten Patrioten, bleibt die Erinnerung an den anderen Großvater, den Bielefelder Leinenhändler Karl August Weber, ganz blaß, obwohl er der gemeinsame Ahnherr der Eheleute Weber war. In Wahrheit war Max Weber jedoch mindestens so sehr ein Abkömmling des Wirtschaftsbürgertums; und auch diese Herkunft prägte sein Bewußtsein. Gegen das Beamtentum entwickelte er eine förmliche Aversion; und stets blieb er sich dessen bewußt, daß die materielle Basis die längste Zeit seines Erwachsenenlebens in keinem staatlichen Beamtengehalt, sondern in Kapitalrenditen bestand. Die Professuren, die er bekleidete, waren stets solche der Nationalökonomie; und er spielte in Fragen der Wirtschaft gerne sein familiäres Insiderwissen aus. Wie Marianne hervorhebt, ließ er nie einen Zweifel daran, "daß er die Qualitäten des erfolgreichen Unternehmers und Kaufmanns ebenso hoch schätzt wie die des Gelehrten und Literaten". "Literat" wurde ihm zum Schimpfwort. Er demonstrierte gerne, daß er von Gebildeten-Vorurteilen gegenüber den Wirtschaftsleuten frei war.

Ein charakteristischer Zug der Familie Webers bestand eben darin, daß sich hier bildungs- und wirtschaftsbürgerliche Elemente mischten. Schon der Großvater Fallenstein, dessen Biographie sein Freund Gervinus schrieb - einer jener 1837 wegen ihres verfassungsliberalen Bekennermutes aus der Professur entlassenen "Göttinger Sieben" -, hatte sich durch die Heirat mit der reichen Erbin Emilie Souchay finanziell saniert und, gestützt auf den neuen Wohlstand, jene geräumige Villa am Neckar mit schönstem Blick auf die Heidelberger Schloßruine erbaut, die ab 1910 der Wohnsitz von Max und Marianne Weber wurde und damals voller Erinnerungen an die Familiengeschichte war. Das elterliche Vermögen stammte, wie Max Weber wußte, "zu neun Zehnteln von Mamas Seite". (...)

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