Edda Fuhrich, Ulrike Dembski (Hrsg.): "Ambivalenzen. Max Reinhardt und Österreich"


Es ist eine alte, öfter bestätigte als widerlegte Wahrheit, dass ein österreichischer Künstler, ehe er daheim volle Anerkennung genießen darf, zuerst im Ausland Erfolg haben muss. Wie es sich diesbezüglich mit Max Reinhardt verhielt, wie sich das ambivalente Verhältnis zwischen dem Meisterregisseur und seinem Herkunftsland in aller Vielschichtigkeit entwickelte, gehen die Herausgeberinnen in dem vorliegenden Buch nach und haben dafür zahlreiche Dokumente, Briefausschnitte, Fotografien, Erinnerungen und vor allem Theaterkritiken der Zeit zusammengetragen.

Begonnen hat es mit Liebe auf den ersten Blick, mit Burgtheateraufführungen, von denen sich der am 9. September 1873 in Baden bei Wien geborene Sohn eines jüdischen Kaufmanns und zunächst noch wie dieser Goldmann heißende Max dermaßen verzaubern und zum eigenen Träumen anregen ließ (tat er doch nach eigener Aussage in seinem Leben nichts anderes, als seine Träume zu verwirklichen), dass er kurzerhand eine Lehre abbrach, Schauspielunterricht nahm und sich hinfort, bis zu seinem Tod (1943 in New York) ausschließlich dem Theater widmete. So stand denn Max Reinhardt, wie der angenommene Künstlername lautete, schon als Siebzehnjähriger auf der Bühne, erst der Elevenbühne in Matzleinsdorf, dann dem Volkstheater Rudolfsheim, wo er er übrigens gemeinsam mit dem jungen Karl Kraus an einer Aufführung von Schillers "Die Räuber" mitwirkte, bei welcher Reinhardt mit seiner Darstellung des Spiegelberg überzeugte, während die mögliche Schauspielerkarriere des Karl Kraus (" ... ein Herr Kraus mauschelte in beängstigender Weise den Franz Moor und quälte damit das Publikum und den guten Geschmack ...") von der Kritik im Keim erstickt wurde. Ob dieser ungünstige Vergleich den Verrissenen zu einem Gegner des immer erfolgreicheren Reinhardt werden ließ, geht aus den Dokumenten nicht hervor, die fundamentalistische Entrüstung, mit der Kraus Jahrzehnte später über die Einbeziehung des Salzburger Doms in Reinhardts meilensteingewordene Jedermann-Inszenierung reagierte, fällt durchaus nicht aus dem Rahmen Krausens sonstiger Ansichten.

Die nächsten Stationen in Max Reinhardts Karriere waren Pressburg und Salzburg, und überall erntete er für seine charaktervolle, intelligente Darstellung von Nebenrollen (besonders alter Männer) viel Lob ("... ein Schauspieler, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigt ..."), dies blieb auch dem Ausland nicht verborgen, und so kam es, dass Max Reinhardt im Jahre 1894 ans Deutsche Theater von Otto Brahm, die in Aufführungen moderner Stücke führende Bühne Berlins, engagiert wurde. An diesem naturalistisch gestimmtem Theater und damit fernab der Heimat vollzog sich in der Folge sein Heranreifen zum führenden deutschsprachigen Theaterregisseur. Als Schauspieler durfte man Reinhardt in Wien hie und da, bei den Gastspielen des Deutschen Theaters in den Jahren 1899-1902, weiterhin bewundern, und man tat`s. Wie einige Kritiken belegen, avancierte Reinhardt zum Publikumsliebling, wurde seine Darstellungskunst jedenfalls deutlich besser beurteilt ( "... ein Künstler, den wir einmal aus Berlin zurückholen werden ...") als die Qualität der Aufführungen insgesamt, wobei Töne der Abneigung gegen den ungewohnten Theaterrealismus mit seiner natürlichen Art des Sprechens (an der Burg wurden gleichsam Spracharien zelebriert), einheimischer Ressentiments gegen das norddeutsche Element und eines leicht blasierten Wohlwollens dem Gastensemble gegenüber nicht zu überhören sind. Reinhardt gegenüber weiterhin sehr positiv, das heißt von offener Begeisterung über achselzuckende Zurkenntnisnahme von offensichtlichem Genie bis hin zu relativ krampfigen Versuchen, ein zwei Haare in der Fünfsternesuppe zu finden, verhielt sich das Wiener Publikum in den Folgejahren, als Reinhardt schon mit eigener Truppe und eigenen Inszenierungen die Aufwartung machte. Echter Widerstand formierte sich erst ab dem Zeitpunkt, da Reinhardt als führender, international etablierter Theatermacher seine Fühler nach einer fixen Wiener Bude auszustrecken begann. Vor allem ein möglicher Sprung Reinhardts auf den Direktorensessel des Burgtheaters wurde mancherorts wie die Pest gefürchtet und jedenfalls erfolgreich verhindert, teilweise wohl von den selben Leuten, die in dem Moment, als Reinhardt mit dem Theater in der Josefstadt von 1924 bis 1935 endlich seine eigene Wiener Bühne besaß, plötzlich die häufige Abwesenheit des Direktors, der ungeacht der Josefstadt bis 1933 hauptsächlich in Berlin residierte, im übrigen viel auf Tournee und überhaupt praktizierender Kosmopolit war, zum Stein des Anstoßes nahmen. Zur letzten Reinhardt-Inszenierung auf österreichischem Boden kam es übrigens am 5. Oktober 1937 im Theater in der Josefstadt, mit der Uraufführung von Franz Werfels "In einer Nacht", noch im selben Jahr zog Max Reinhardt sich, nachdem er schon 1933 ein Angebot von Goebbels, ihn zum Ehrenarier zu ernennen, zurückgewiesen hatte, vor der kunst- und judenfeindlichen Flutwelle des Nationalsozialismus nach Amerika zurück.
Zwei Beiträge, von Peter Roessler und Achim Benning, handeln davon, wie es der von ihm gegründeten Schauspielschule, dem sogenannten Max-Reinhardt-Seminar, in der darauffolgenden Zeit des Umbruchs und der Verfolgung erging.

Anders, unkomplizierter und weniger intrigant, gestaltete sich Max Reinhardts Verhältnis zu Salzburg, wo er mit der Gemeinde an einem Strang zog (und dabei auch mit dem Erzbischof in gutem Einvernehmen stand), als er nach dem Krieg wesentlicher Anreger und Mitbegründer der Salzburger Festspiele, im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens wahrscheinlich ihr wichtigster künstlerischer Nährer wurde. Neben seiner organisatorischen Tätigkeit sind vor allem seine zukunftsweisenden Inszenierungen von Hofmannsthals "Jedermann" und desselben "Das Salzburger große Welttheater" sowie Goethes "Faust, der Tragödie Erster Teil" zu nennen, bei denen stimmungsgeladene Schauplätze der Stadt (Domplatz, Felsenreitschule, Kollegienkirche) zur Bühne wurden, Stadtarchitektur und Inhalt der Stücke zu einer imposanten Einheit verschmolzen.
Wenn die Reinhardtsche Ästhehtik auch nicht das eigentliche Thema ist, wird sie doch indirekt in dem Buch laufend durch die vielen Stellungnahmen und Kritiken beleuchtet. So erhält man neben einem Spiegel der Zeit und dem Portrait eines großzügigen, genussvoll schweifenden Geistes im Dienste der Schönheit auch einen guten Eindruck von der künstlerischen Pioniertätigkeit des Mannes, seiner Konzeption des theatralischen Gesamtkunstwerks von Sprache, Raum, Rhythmus und Bühnenbild, Hervorhebung der Masse als wesentlichem Element des Geschehens, Werktreue mit den Mitteln der Gegenwart, und nicht zuletzt der Überfülle seiner Regieeinfälle im Kleinen wie im Großen.

(fritz; 07/2004)


 

Edda Fuhrich, Ulrike Dembski (Hrsg.): 
"Ambivalenzen - Max Reinhardt und Österreich"
Christian Brandstätter, 2004. 160 Seiten mit ca. 150 Abbildungen.
ISBN 3-85498-323-9.
ca. EUR 39,90.

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