Ronit Matalon: "Sara, Sara"

"Ich musterte sie einen Augenblick: den Schmollmund, die Adlernase, die schmale Physiognomie, die sich auf einmal weiter und weiter ausdehnte, bis zu den hinter die Ohren geklemmten Haaren, wobei ihr Teint das geronnene Gelblichweiß von Haut auf der Milch ablegte und den strahlenden, satten Elfenbeinton darunter offenbarte: Zum ersten Mal dachte ich, dass man ihr nichts anhaben konnte."


Rückblickend zwischen den Schauplätzen Plissee-Melville, ein kleiner Ort in der Nähe von Paris, und Tel Aviv pendelnd versucht Ofra ihre Freundschaft mit Sara zu ergründen.

Beide Frauen sind Mitte Dreißig und kennen sich seit ihrer Schulzeit. Sara ergreift Partei für Ofra, die neu in ihre Klasse kommt und als Außenseiterin behandelt wird. Damit beginnt eine Freundschaft zwischen zwei ungleichen Frauen, die trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Charaktere bestehen bleibt, oder - wie Ofra einmal einer Bekannten gegenüber äußert - nur deswegen, weil beide nicht die Kraft haben einen Schlussstrich zu ziehen.

Der Roman handelt von der Identitätssuche der beiden Frauen, die erschwert wird durch die Lebensumstände in einem Land wie Israel, wo Gewalt und Leid zum Alltag gehören.

Ofra, eine eher introvertierte Frau, die im Roman immer im Hintergrund bleibt, konzentriert ihr ganzes Leben auf Sara. Sara ist ein sehr offener Mensch. Sie tritt vehement für die arabischen Bürgerrechte ein, ist als Pressefotografin im Gazastreifen unterwegs und riskiert immer wieder ihr eigenes Leben um speziell das Massaker an arabischen Kindern in der Öffentlichkeit anzuprangern.

Sara erwartet ein Kind und heiratet Udi, den Kindesvater, der sie abgöttisch liebt. Sofort als Ofra von der Schwangerschaft erfährt, ist sie bereit mit Sara und Udi gemeinsam die Verantwortung für Saras Sohn zu übernehmen. Immer wieder während des Lesens hatte ich das Gefühl, Sara wird von einer inneren Kraft getrieben, ist eine sehr starke Persönlichkeit und lässt sich auch durch Kind und Ehemann nicht von ihren Vorhaben abbringen. Für Udi und Ofra, die oft genug dazu verurteilt sind auf Sara zu warten, sich gemeinsam zu sorgen, wird die Situation immer unerträglicher, als Sara sich in einen wesentlich jüngeren Araber verliebt, den sie bei ihrer politischen Arbeit kennenlernt und nicht von ihm loskommt. Da Sara von Lügen und Kompromissen nie viel gehalten hat, wissen sowohl ihr Ehemann und ihre Freundin Ofra über diese Entwicklung Bescheid. Der junge Geliebte ist bei den beiden auch oft zu Gast und sogar der Sohn von Sara und Udi verbringt viel Zeit mit ihm. Sara ist völlig abhängig von ihrem jungen Geliebten und riskiert durch ihr Verhalten in erster Linie ihre Ehe, aber auch die Freundschaft zu Ofra erleidet Schrammen. Die Situation wird immer unerträglicher für alle Beteiligten.

Letztendlich entsteht ein gewisser Bruch in der Beziehung zwischen den Frauen. Über ein Jahr sehen sie sich nicht, nur Ofra zieht es immer wieder zum Kindergarten von Mims, dem Sohn von Sara. Dort beobachtet sie den Jungen und sieht auch immer wieder Sara aus der Entfernung, ist aber sehr bedacht darauf ein Zusammentreffen zu vermeiden.

Als Ofra für längere Zeit zu Verwandten nach Frankreich reist, begleitet Sara sie zum Flughafen und dort wird Ofra die undurchlässige Distanz klar, die zwischen ihnen beiden entstanden ist, die sie trennt wie ein Kündigungsschreiben. Am Flughafen entspinnt sich eine Diskussion über Liebe und Sara fragt Ofra ziemlich provokant: "Wie kannst du das wissen? Hast du mal jemanden geliebt?"

"Ich habe Dich geliebt", sagt Ofra.

Der Roman von Ronit Matalon ermöglicht berührende Einblicke in Höhen und Tiefen einer Freundschaft zwischen zwei ungleichen Frauen. Er macht bewusst, wie schwierig und mit welchen Anstrengungen es verbunden ist, eine Freundschaft am Leben zu erhalten, noch dazu in einem Land, in dem permanent Unruhen stattfinden, wo Hass geschürt wird und wo sich die Bewohner wie überall auf der Welt nach Liebe, Geborgenheit und einem erfüllten Leben sehnen

Die Person von Sara wird in diesem Buch in allen Facetten geschildert, nach dem Lesen hatte ich das Gefühl ich würde von einer Freundin sprechen. Ihre Zerrissenheit, ihr Mut, ihr Wille, ihre Ehrlichkeit, die oft verletzend ist, machen sie zu einer beeindruckenden Frau. Ihre bestimmende Art und ihre Kompromisslosigkeit verletzen aber gerade die Menschen, die ihr wirklich zugetan sind, und fast wie als Ausgleich oder Strafe dafür erwidert der junge Araber, den sie abgöttisch liebt, ihre Gefühle nicht.

Mit dem Roman "Sara, Sara" ist Ronit Matalon eine ergreifende Geschichte gelungen. Die Autorin wurde 1959 in Gane Tikwa bei Tel Aviv geboren. Sie studierte Literatur und Philosophie und unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben an der Filmhochschule Tel Aviv. Seit den achtziger Jahren ist Matalon schriftstellerisch tätig.

(margarete, april 2002)


Ronit Matalon: "Sara, Sara"
Luchterhand, 2002. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama.
Gebundene Ausgabe. 313 Seiten.
ISBN 3-630-87116-X.
ca. EUR 20,50.
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