Petros Markaris: "Live!"
Ein Fall für Kostas Charitos
Kommissar
Kostas Charitos sitzt mit seiner Frau Adriani auf dem Sofa. Die beiden
sehen sich das Aquarium an, im Fernsehen. Es handelt sich nicht um eine
Videokassette, die umherschwimmende Fische zeigt, sondern um die
Plaudersendung von Aspasia Komi, einer blonden Griechin in den
mittleren Jahren. Die Griechinnen im Fernsehen sind meistens blond, so
wie die in Italien. Blond gefärbt natürlich.
Aspasia Komi lädt sich immer Politiker und
Geschäftsleute in die Sendung ein, hin und wieder auch einen
Sportler. Sie deckt in ihrer Sendung Skandale auf, bringt ihre
Gäste zum Überkochen. Am Schluss aber sind sie alle
wieder ein Herz und eine Seele. Früher hatte Kostas Charitos
diese Sendungen verabscheut und den Platz vorm Fernseher
geräumt. Er verabscheut sie immer noch, aber er bleibt sitzen,
so wie neun von zehn Griechen sitzen bleiben. Kostas Charitos ist ein
Anderer geworden. Es ist noch nicht so lange her, dass er einer Frau
das Leben rettete, die beinahe von ihrem Schwiegersohn erschossen
worden wäre. Er hatte sich dazwischen geworfen und die Frau
mit seinem Körper geschützt. Dabei aber hat er die
Kugel abbekommen, und er wäre fast daran gestorben. Er hat
lange in der Intensivstation gelegen, aber er hat es überlebt.
Danach musste er noch viele Monate im Krankenhaus verbringen.
Fanis, der Freund seiner Tochter, war dort Arzt. Er hatte ihn gepflegt,
und mit der Zeit ging es Kostas Charitos besser. Aber es war ein langer
Weg bis zur völligen Genesung. Als er nach Hause kam, hat
seine Frau Adriani die Pflege und somit das Regiment im Haus
übernommen. Sie kümmerte sich um ihn, wie sie es noch
nie konnte, und sie war die wichtigste Person, die Person, die Kostas
sagte, was er tun solle. Und Kostas hörte auf sie. Er war
nicht mehr der Alte. Er war willenlos und ohne Elan geworden. Er
schleppte sich durch den Tag, er verzweifelte in der Nacht, in der er
nicht schlafen konnte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, je wieder
seine Arbeit als Polizist aufzunehmen.
Das Leben war schal geworden. Und er sah sich jetzt Sendungen an, die
sich neun von zehn Griechen ansahen. Er verabscheute sie zwar immer
noch, aber er blieb sitzen. An diesem Abend hat die Moderatorin Komi
den Bauunternehmer Jason Favieros zu Gast. Dieser hatte sich ein
riesiges Bauimperium in Griechenland und auf dem Balkan aufgebaut. Er
hatte auch einen großen Teil der Bauarbeiten für die
bevorstehende Olympiade übernommen. Natürlich
konfrontiert die Komi ihn mit dem Vorwurf, die Arbeiten würden
bis zum Beginn der Spiele nicht fertig werden. Aber dadurch
lässt sich Favieros nicht aus der Ruhe bringen. Sie
würden schon fertig werden, sogar noch lange vor den Spielen,
meint er. Damit habe er sich festgelegt, kontert die Komi, und mit
einem vielsagenden Lächeln meint sie in die Kamera, sie
würden sich wieder sprechen, wenn sie sich vor den
Gästen aus aller Welt gründlich blamiert
hätten. Aber die Komi hat noch nicht genug. Sie spricht
Favieros Beziehungen zu den Politikern an und wirft ihm
Vetternwirtschaft vor. Nachdem Favieros auf die Kontakte zu den
Politikern aus der Zeit der Junta, der griechischen
Militärdiktatur Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre,
angesprochen wird, passiert etwas Unerwartetes. Favieros zieht einen
Revolver. Kurze Zeit glauben die Zuschauer, er werde die Komi
erschießen. Aber dann richtet er den Revolver auf sich,
steckt ihn in den Mund und drückt ab. Ein Selbstmord vor
laufender Kamera. Die griechischen Zuschauer sind erschüttert.
Erschüttert ist auch Kostas Charitos. Aber mehr noch ist er
aufgerüttelt. Er kommt wieder zu sich, findet wieder zu dem
alten Kostas Charitos zurück, der er einmal war. Denn er
stellt sich die Frage, warum es zu diesem Selbstmord gekommen ist. Ein
Unternehmer, der keine finanziellen Sorgen, der keine
familiären Probleme hat. Es fehlt das Motiv. So beginnt Kostas
Charitos, der immer noch im Genesungsurlaub ist, inoffizielle
Nachforschungen anzustellen. Und dann passiert es wieder, es bleibt
nicht bei dem Bauunternehmer Favieros. Das Spiel geht weiter.
Der griechische Autor Petros Markaris nimmt für diesen Fall
seines Protagonisten, des Polizeikommissars Kostas Charitos, die
Bauunternehmen mit dem Hintergrund der olympischen Spiele aufs Korn.
Markaris lebt in Athen und ist tagtäglich mit den Problemen
dieser Großstadt konfrontiert. Der dichte Verkehr dieser
Millionenstadt, die Staus, die durch die Bauarbeiten zur Olympiade ins
Unerträgliche wachsen, die unerträgliche Hitze im
Sommer, der Smog, der einen nicht mehr atmen lässt. Mit
teilweise recht bissigem Humor, der den Griechen eigen ist, macht er
sich über seine Landsleute lustig.
Als ein Bekennerschreiben auftaucht, wird dieses von einer Moderatorin
vorgelesen, gleichzeitig läuft der Text über die
andere Bildhälfte. Dadurch werden die Zuschauer in zwei
Kategorien geteilt: in Taubstumme und Analfabeten. Für den,
der die Griechen kennt, ist es auch glaubwürdig, wenn Markaris
vom griechischen Masochismus spricht, der einen stets dorthin ziehe, wo
man sich gehörig aufregen müsse, um
anschließend sein Schicksal zu verfluchen.
Doch auch der Aberglaube kommt nicht zu kurz. Wenn er Adriani
über ihren Mann schimpfen lässt, dass ihre Mutter
schon recht gehabt hätte: schwere Augenlider deuteten auf
einen Dickschädel hin. Und so könne man von
Schlitzaugen auf ein stilles Wasser, von einer großen spitzen
Nase auf einen Pfennigfuchser, von einer Hakennase auf einen
unersättlichen Sinnenmenschen schließen.
Teilweise jedoch bemerkt man die Schwächen des Buches durch
die Übersetzung. So kommt der Gegensatz zwischen dem
traditionellen griechischen Kafenion, in dem die Männer den
typischen
griechischen Kaffee tranken, über Politik
diskutierten und mit dem Komboloi, einer Art Perlenkettchen, spielten,
nicht so gut zur Geltung, wenn von einem Kaffeehaus im Gegensatz zu dem
modernen Café gesprochen wird. Ebenso werden Wörter
einfach nicht übersetzt, und man kann aus dem Textzusammenhang
nur erahnen, worum es sich handelt. Dabei geht es um Worte wie "Lemma"
und "Stremma", die sich im
Fremdwörterbuch
finden.
Auffällig für den Stil Markaris' ist die Verwendung
der vielen exakten Straßenbezeichnungen. Mit einem Stadtplan
wird es somit möglich, die täglichen Routen des
Kommissars genau zu verfolgen. Und wer weiß, vielleicht
findet man auch das alte italienische Auto des Kommissars, den
"Mirafiori", irgendwo geparkt.
Sicherlich ist dieser Roman ein größerer Genuss
für Menschen, die Athen kennen, aber er ist auch einer
für jene, die Athen gerne kennenlernen würden. Nicht
das Athen der Antike, sondern das Athen von heute, in dem etwa die
Hälfte der Griechen lebt.
(Hans-Peter Oberdorfer; 05/2004)
Petros
Markaris: "Live! Ein Fall für Kostas Charitos"
(Originaltitel "O tse aftoktonise")
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes.
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Petros
Markaris, geboren 1937 in Istanbul, studierte Volkswirtschaft, bevor er
zu schreiben begann. Er ist Verfasser von Theaterstücken,
Schöpfer einer beliebten griechischen Fernsehserie,
Übersetzer von
Brecht
und vielen anderen deutschen Dramatikern, und er war Co-Autor des
Filmemachers Theo Angelopoulos.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Finstere Zeiten. Zur Krise in Griechenland"
Er hat die Krise kommen sehen. Schon vor den Olympischen Spielen in
Athen 2004, als die Baubranche Hochkonjunktur hatte, stellte Petros
Markaris in seinem Roman "Live!" die Frage: Und wer soll das alles
bezahlen? In seinen Artikeln für deutschsprachige Medien
dokumentiert und analysiert er seit 2009 jede einzelne Phase des
schmerzlichen Niedergangs bis zum Ruin und
Chaos von
heute. Er erzählt von der großen Politik
und den kleinen Leuten, von Privilegierten und Empörten, von
Tätern und Opfern, von Brüssel, Berlin und Athen.
(Diogenes)
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"Quer durch Athen. Eine Reise von Piräus nach Kifisia"
Petros Markaris nimmt den Leser mit auf eine Reise quer durch Athen. Seit Jahrzehnten
in der Hauptstadt von Griechenland sesshaft, hat er eine exzellente Ortskenntnis
und ist ein hervorragender Führer durch die Stadt und ihre Geschichte. Mit der
alten Stadtbahn, liebevoll "die Elektrische" genannt, geht es von der
Hafenstadt Piräus bis nach Kifisia, wo einst das Königshaus seine
Sommerresidenz hatte. Er erzählt, wie die Bauphase mit Schulden und Korruption
einherging, und er weiß, wo man die letzten antiquarischen Bücher in deutscher
Sprache findet, wo die letzten Garküchen liegen und warum zum Kaffee in Athen
ein "Unterseeboot" gehört. (Hanser)
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"Nachtfalter"
Erdbeben auf einer Kykladen-Insel: Einige Bewohner werden unter Trümmern begraben. Ein längst begrabener, mysteriöser Toter jedoch kommt durch die Erschütterungen wieder ans Tageslicht. Für Kommissar Kostas Charitos Grund genug, seine Ferien in der Ägäis abzubrechen und mit der Leiche auf dem Buckel in sein geliebtes Athen zurückzukehren. Dort wartet bereits ein weiterer Fall auf ihn, der Mord am allseits gefürchteten Rotlichtbaron Koustas. Charitos stürzt sich in die Arbeit, doch bald schon rächt sich, dass er sich nicht richtig erholt hat: Er bekommt Herzrasen und muss ins Krankenhaus. Einziger Trost: Seine Tochter Katerina kommt extra für ihn aus Thessaloniki angereist. Auch sie hat Herzprobleme - anderer Art. Aus dem Krankenhaus entlassen, fragt sich Charitos vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben nach dem Sinn seiner Arbeit: Da sind ein stadtbekannter und ein unbekannter Toter. Beide werden offensichtlich von niemandem betrauert. Warum sollte er also den Mörder der beiden suchen? Doch je mehr er bohrt, um so deutlicher wird, dass hinter den beiden Fällen schmutzige Machenschaften höchster Chargen aus Politik und
Wirtschaft stehen. Charitos wagt sich weit vor. Bis das Schlimmste eintritt, was einem Gesetzeshüter aus Leidenschaft passieren kann: Er wird vom Dienst suspendiert ... (Diogenes)
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"Hellas Channel"
Er hatte Janna Karajorgi, Reporterin für "Hellas Channel", noch nie ausstehen können - sie war überheblich und machte sich bei jeder Pressekonferenz über ihn lustig. Doch nun ist sie tot, ermordet, und er, Kostas Charitos von der Athener Polizei, soll den Fall übernehmen. Notgedrungen begibt er sich in die Höhle des Löwen und legt sich mit seinen ärgsten Feinden an: den Journalisten. Das
Fernsehen ist ein rotes Tuch für Charitos, denn seit seine Tochter ausgezogen ist, sitzt seine Frau täglich stundenlang vor der Mattscheibe und ist vor lauter Soap-operas, Fernsehkrimis und Nachrichten unansprechbar geworden. In einem Griechenland, das Schlauheit mit Bildung verwechselt und Schundromane mit Literatur gleichsetzt, da werden Skandalmeldungen nicht in Frage gestellt. Janna Karajorgi war berüchtigt für ihre Skandalreportagen. Wer hatte Angst vor ihren Enthüllungen? Die Albaner, deren obskuren Machenschaften sie auf der Spur war? Der Kinderschänder, den sie an den Pranger gestellt hatte? Die Kollegen, denen Karajorgis Erfolg und Eigenständigkeit zu weit gingen? Der Kommissar führt die Ermittlungen nicht allein, denn auch die Presse will ihn finden: den Mörder der Karajorgi, die nächste quotensichere Sensation. (Diogenes)
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"Die Kinderfrau"
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Rezension ...
"Abrechnung. Ein Fall für Kostas Charitos"
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"Zahltag. Ein Fall
für Kostas Charitos"
Im krisengeschüttelten Athen geht alles drunter und
drüber, nur bei der Mordkommission herrscht Flaute. Kein Mord
weit und breit, nur langweilige Büroarbeit. Als auf dem
antiken Kerameikos-Friedhof eine Leiche gefunden wird, ist Kommissar
Charitos beinah erleichtert. Aber nur beinah. Denn er steht unter
Druck. Sein Chef hat ihm eine Beförderung in Aussicht gestellt
- da darf er jetzt niemandem auf die Füße treten.
Charitos kommt jedoch um unbequeme Fragen nicht herum. Der Tote war ein
renommierter Chirurg, der von der Misswirtschaft im Gesundheitswesen
profitierte. Das wusste jeder. Auch jener anonyme Steuereintreiber, der
seit neuestem Steuersünder erpresst - und notfalls auf
Mordmethoden aus der Antike zurückgreift. (Diogenes)
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