Henning Mankell: "Die Rückkehr des Tanzlehrers"


Für den eifrigen Leser der Wallander-Romane war es sicher gewöhnungsbedürftig, einem anderen Kommissar namens Stefan Lindman bei dessen Ermittlungen über die Schulter zu schauen. Interessant diesbezüglich ist, dass dieser Krimi von Henning Mankell von Anspielungen auf Wallander und dessen Fälle strotzt. Einmal wird ganz konkret auf den etwas zu dicken, neurotischen und oft überforderten Polizisten in Ystad verwiesen. Die Arbeitsweise des 37-jährigen Mannes entspricht haarklein jener, die in "Wallanders erster Fall" betrieben wird. Eigentlich gerät Lindman nur zufällig in die Situation, mit dem schrecklichen Mord an Herbert Molin konfrontiert zu werden. Er ist nicht direkt in die Aufklärungsarbeit involviert, sondern agiert ebenso auf eigene Faust wie der junge Wallander.

Der Bruder des ermordeten Justizministers Wetterstedt bildet einen Querverweis zum Fall "Die falsche Fährte", wo ein junger Mörder Wallander an den Rand des Wahnsinns trieb.
Die dritte äquivalente Komponente ist die Darstellung der Gefahr, die aus dem Internet drohen mag. Waren es in "Die Brandmauer" konfuse Menschen, die durch schwer zugängliche Passwörter eine ökonomische Weltverschwörung schützen wollten, auf dass endlich eine wirtschaftliche Ethik geschaffen werde, sind es in "Die Rückkehr des Tanzlehrers" die neonazistischen Organisationen, die sich auf spezifischen, codierten Internet-Seiten kurzschließen, um der "Herrenrasse" einen Raum zu geben, wo Komplotte und Übergriffe auf "Untermenschen" sowie "Aufklärungsarbeit" geschmiedet, besprochen und vorangetrieben werden sollen. Die Parallelitäten sind also da, und diese Vertrautheit ermöglicht es dem Leser auch, in aller Ruhe den Roman sich entfalten zu lassen. Die Spannung entsteht durch das immer dichter geschilderte Netz, in dem die Täter sich verfangen sollen.

Wenn man sich auf bekanntem Boden aufhält, besteht die Gefahr, in eine eigene Geschichte abzudriften, die mit der eigentlichen Handlung nichts mehr zu tun hat. Die Gemeinsamkeiten der Kommissare Lindman und Wallander sind frappierend. Beide Herren neigen dazu, in ihre Liebesbeziehungen erstaunlich wenig zu investieren und damit Gewissenskonflikte heraufzubeschwören. Die ungestüme Art, einen Mord aufklären zu wollen und dabei voraussehbare Risiken einzugehen, macht sie zu Brüdern im Geiste. Das Privatleben hintanzustellen und den Beruf als non plus ultra zu definieren, erscheint somit als logisch und konsequent. Der wesentliche Unterschied aber ist der eigentliche Grund, warum Lindman mit einer solchen Energie den scheinbar sinnlosen Mord an seinem ehemaligen Kollegen aufklären möchte. Noch recht jung, hat der Kommissar Zungenkrebs und muss sich eingestehen, vielleicht bald nicht mehr am Leben zu sein. Er erfährt am gleichen Tag von seiner Krankheit, an dem er in der Zeitung liest, dass Molin auf bestialische Art und Weise ermordet worden ist. Die Strahlenbehandlung soll in wenigen Wochen beginnen, und Lindman fährt an den Ort des Verbrechens, um sich von seiner möglicherweise tödlichen Krankheit ablenken zu können. Freilich spielt es eine Rolle, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen und eventuelle Geheimnisse mit aufdecken zu helfen. Doch in erster Linie ist es eine Flucht vor sich selbst, die ihn in einen Fall treibt, der eine schwere zusätzliche Belastung für seine Psyche darstellt. Anfangs ist alles unklar: Der Mord sinnlos, ein Motiv liegt im Dunkeln. Natürlich ist es Lindman, der unterstützt von einem gewissen Guiseppe die Oberfläche durchbricht und in den Untiefen der Lebensgeschichte von Molin dessen Nazi-Vergangenheit entdeckt. Ein Tagebuch, das er im Haus des Mannes findet, zeigt auf erschreckende Weise, wie dieser Mann als junger Bursche in den Krieg zog, um gegen den Bolschewismus und für den "Herrenmenschen" zu kämpfen. Bald schon werden Linien zu der Nachbarin des Ermordeten, Elsa Berggren, gezogen. Diese Frau ist wie Molin Mitglied eines Netzwerks von Nazis, die überall auf der Welt ihre dreckigen Spuren verwischen wollen, sodass die "Ausmerzung von minderwertigem Menschenmaterial" als oberstes Ziel irgendwann einmal vollzogen werden mag. Es sind Gedanken, die erschreckend und gleichzeitig ein Indiz für grausame Taten der Gegenwart und mögliche noch schrecklichere Taten in der Zukunft sind. Lindman trifft einige alte Nazis, die ihre Ansichten nach wie vor verteidigen und den Hitlergruß durch lächerliche Skinheads verunglimpft sehen.

Bald ist klar, dass der Mord an Herbert Molin mit seiner Vergangenheit zu tun haben muss. Die merkwürdige Beziehung von Lindman zur Tochter des Ermordeten und seine Erinnerungen an die Kindheit bestimmen weitestgehend das private Feld des mit Wallander-Konturen versetzten Ermittlers. Der Mord am Nachbarn des Nazis lässt nur anfangs an den gleichen Täter denken. Der Leser ist Lindman stets voraus und weiß bald, dass Molin den Vater des introspektiv geschilderten Mörders im Krieg getötet hat. Es handelte sich also um die Rache für einen über 50 Jahre zurückliegenden Mord, der den in Argentinien lebenden, mit Alkoholproblemen kämpfenden, Mann in den Sechzigern dazu veranlasste, Molin mit Peitschenhieben zu malträtieren und damit zu Tode zu foltern. Die Geschichte nähert sich erstaunlich hurtig dem Showdown, der letztlich keine überraschende Quintessenz zu Tage fördert. Eines sei diesbezüglich verraten: Stefan Lindman freut sich darüber, dass der Mörder von Molin die Flucht zurück nach Argentinien ergreifen kann und nicht in einem schwedischen Gefängnis bis zu seinem Lebensende einsitzen muss. Obzwar der Mann namens Silberstein, (der jedoch auch Decknamen benutzt), Lindman zweimal attackierte und einmal in Fesseln legte, ihm seine Lebensbeichte ablegt, empfindet der Kommissar Sympathie für den Menschen, der ein Leben lang die Szene vor sich sah, als Molin aus dem Zimmer eilte, wo er stets Tanzunterricht von seinem Opfer erteilt bekam und im Zimmer der mit seinem eigenen Gürtel erdrosselte Vater lag. Silbersteins Vater war buchstäblich hingerichtet worden, und so ließ der Sohn Molin für dessen Untat büßen. Es mag ein wenig Pathos aus dem Buch heraus zu lesen sein; aber wer kann wirklich einen Mann an den Pranger stellen wollen, der seinen Vater verlor, weil ein Nazi diesen brutal ermordete?

Henning Mankell hat mit diesem Roman zum wiederholten Male bewiesen, dass er einer der besten Krimiautoren der Gegenwart ist. Wenngleich die Geschichte einige Längen hat und die Ermittlungsarbeit auf Lindman und den Kommissar Guiseppe beschränkt ist, wird eine düstere Vision beschrieben, die tief in das festverschnürte Korsett einer enttarnten Gesellschaftsstruktur eingepasst ist und dem Leser einiges zu denken aufträgt. Die unvorstellbarste Utopie kann den Menschen einholen, wenn er die Arme verschränkt und vor dem Grauen die Augen verschließt. Der Rechtsruck in Europa liegt diesem Roman zu Grunde, und die Andeutungen in Bezug auf die "Minderwertigkeit der Afrikaner", die als "lebensunwert untergehen sollen" aus dem Munde einer Frau im besten Alter machen deutlich, dass der Ball bei den Menschen liegt, die diesem Wahnsinn Toleranz, Offenheit und innige Anteilnahme an Schicksalen anderer Menschen entgegen setzen mögen. Das ist ganz im Sinne des bisweilen in Mocambique lebenden Autors Henning Mankell.

(Jürgen Heimlich; 11/2002)


Henning Mankell: "Die Rückkehr des Tanzlehrers"
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Gebundene Ausgabe:
Zsolnay, 2002. 512 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2009.
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