Henning Mankell: "Die flüsternden Seelen"
In
der Vorbemerkung gibt der Autor seinen Lesern bekannt, dass er
insgesamt 25 Jahre an diesem Buch geschrieben habe. Der Aufbau der
Geschichte verdeutlicht schließlich die ins Land gezogene
Zeit.
Es beginnt mit ein paar Rückblicken zu den ersten Kontakten
mit dem afrikanischen Kontinent. Hierbei wird eine klare Parallele zu
den bislang persönlichsten Aufzeichnungen von Henning Mankell,
dem Bericht "Ich
sterbe, aber die Erinnerung lebt", ersichtlich. Die ersten
Kapitel sind ein wenig mühsam zu lesen, da der Kolonialismus
allzu stark in den Kontext einbezogen wird. Die Geschichte eines
Missionars, der ob seines "Eifers" dem Wahnsinn verfällt, und
die Idee einer diametralen Gegensätzlichkeit, wie sie nie
verwirklicht wurde - was wäre gewesen, wenn die christlichen
Eiferer von den Naturvölkern hätten lernen wollen und
nicht umgekehrt? - ist zu moralisierend, zu sachlich aufbereitet. Das
Gewicht des Kolonialismus ist über viele Seiten tonnenschwer,
ehe jene magischen und erstaunlichen Komponenten eingeflochten werden,
welche dem vorliegenden Buch die Qualität verleihen, auf der
sich eine positive Kritik aufbauen lässt.
Märchen
afrikanischen Zuschnitts wechseln sich mit mystischen
Erfahrungen ab, und der ausufernde Kapitalismus bekommt doch noch sein
Fett ab. Die Hauptthemen beschäftigen sich mit dem Tod und
Träumen aller Art. Eine junge Frau tritt auf eine
Anti-Personen-Mine, ein 17-jähriges Mädchen stirbt in
einem Krankenhaus, weil keine sterilen Instrumente für sie
vorhanden sind, die tote Samima ist nicht nur Todesengel, sondern
bewegt sich gleichermaßen mitten unter den Lebenden. Die
vielleicht am kunstvollsten dargestellte Geschichte dreht sich rund um
einen jungen Mann, der seine Seele als Pfand für wenig Geld
einsetzt. Er wird vom Pfandleiher schwer betrogen, da dieser seinen Ruf
nachhaltig schädigt, und setzt nach einer langen Leidenszeit
seinem Leben ein Ende. Zurück bleibt seine Frau, deren Ziel es
ist, dem Teufel nicht nur ins Antlitz zu schauen, sondern zudem jene
Pfeilspitze vom Schmid abzuverlangen, die dem Pfandleiher die einzig
gerechte Strafe zufügen kann. Die Odyssee eines Mannes, dessen
einziger Wunsch es ist, seiner Frau eine wohlklingende Trommel zu
schenken, und der dafür bereit ist, seine Seele dem Teufel zu
verpfänden, demonstriert auf erstaunliche Weise die seelische
Zerrüttung, die der "weiße Mann" den
Völkern auf dem afrikanischen Kontinent beigebracht hat. Es
ist, wie der Buchtitel suggeriert, ein Flüstern der Seelen,
das sich bei den ausgebeuteten, zu Hunderttausenden grausam ermordeten
Menschen afrikanischer Herkunft bemerkbar macht.
Berührend ist die Geschichte einer von Geburt an
missgebildeten Frau, die dazu verurteilt ist, ohne Beine leben zu
müssen. Spät in ihrem Leben beschließt sie,
ihren Traum erfüllen zu wollen. Sie möchte einmal das
Meer
sehen und ist bereit, hierfür einen langen, beschwerlichen Weg
zu beschreiten. Auf ihrem Hintern rutschend bewegt sie sich Tag
für Tag ein Stückchen vorwärts, bis sie
endlich am Strand ist und den Wellen lauschen kann. Hier im Meer
lässt sie sich von den Wellen umspülen und
fühlt sich endlich frei und geborgen. Als sie wieder in ihr
Heimatdorf zurückkehrt, ist sie ein anderer Mensch geworden.
Die Bewahrung der Kultur seines Volkes liegt einem Mann am Herzen, der
von einem möglichen Kreditgeber nur den Geldwert von ein paar
Schuhen verlangt, wo er den weiten Weg durch sein Heimatland gehen
will, um die Märchen, Mythen und somit die kulturellen Wurzeln
zu bewahren. Als ihm kein Kredit gewährt wird, lässt
er sich nicht von seinem Weg und seinem Auftrag abhalten, sondern
läuft barfuss durch die Lande und kehrt erst vier Jahre
später wieder zu seiner Frau zurück.
Ein Buch erzählt von den Eigenarten jener Menschen, die zu den
Ärmsten der Armen zählen. Sie haben den
äußeren Umständen zum Trotz immer ein
Lächeln auf den Lippen und sind stets bereit, das
Äußerste zu wagen, wenn es darum geht, ihren
Familien etwas Gutes zu tun. Im Kontrast dazu steht die ausufernde
Ausbeutung des afrikanischen Kontinents, die an der Geschichte zweier
Europäer sichtbar wird, welche beruflich auf dem afrikanischen
Kontinent tätig sind. Der Eine sieht sich als
Entwicklungshelfer und ist bemüht, einen sinnvollen Beitrag
zur Verbesserung der schrecklichen Existenznot der Afrikaner zu
leisten. Der Andere predigt nur von Demut, ohne ein Priester zu sein,
und macht sich die Not der Menschen zunutze, indem er sich als
Herrenmensch primitivster Ausprägung darstellt.
Es ist von keinem speziellen afrikanischen Land die Rede. Freilich gibt
es Andeutungen, die Rückschlüsse darauf zulassen,
welche speziellen Systeme zur Beschreibung gelangen. Doch Mankell liegt
viel daran, die Besonderheiten der Menschen ein wenig zu beleuchten,
die den afrikanischen Kontinent so
farbenprächtig, so herrlich
machen. Die Kolonisten und Zerstörer afrikanischer
Naturvölker, jene irrsinnigen Ausbeuter und
selbstgefälligen erklärten Nutznießer der
erbärmlichen Situation, wie sie sich heutzutage in Afrika
darstellt, sind ein grauenhaftes Gegenstück zur
Fröhlichkeit, wie sie Menschen afrikanischen Ursprungs
angeboren ist.
Die absurde Vorstellung, wie sie manch gesättigter
Wohlstandsbürger vertritt, "die Afrikaner" seien selbst schuld
an ihrer Lage, sie bräuchten sich ja nur helfen zu lassen und
die "Entwicklungshilfe" anzunehmen, wird hier ad absurdum
geführt. Die Zinsspirale führt dazu, dass der
zweifelsfrei bestehende Reichtum Afrikas (man denke nur an die
Erdölquellen oder immensen Kupfervorräte) einseitig
ausgebeutet wird, ohne die Menschen Afrikas halbwegs akzeptabel an
dieser "Wertsteigerung" zu beteiligen. Im Gegenteil: Die
Globalisierung, die Fressmaschine Neoliberalismus, vernichtet
weitgehend erweiterte Existenzgrundlagen für die
Ärmsten der Armen.
Henning Mankell hat nicht ohne Grund 25 Jahre an diesem Buch
gearbeitet. Es verdeutlicht auf bemerkenswerte Weise, wie intensiv er
sich mit der Geschichte der Menschen auf dem afrikanischen Kontinent
beschäftigt hat. Abseits von Klischees wird deutlich, wie
beeindruckend sich die Kulturen der afrikanischen Völker
bewahrt haben, obzwar sie von den Kolonisatoren und deren Nachfolgern
so unglaublich beschnitten worden sind. Doch die Seelen
flüstern weiter und wissen die fröhlichsten und
traurigsten Dinge über das Leben von Menschen zu
erzählen, die sich in kein Korsett schnüren lassen
wollen.
(Jürgen Heimlich; 02/2007)
Henning
Mankell: "Die flüsternden Seelen"
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Zsolnay, 2007. 256 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Hörbuch:
Lesung mit Axel Milberg.
Der Hörverlag, 2007.
Hörbuch-CDs
bei amazon.de bestellen