Henning Mankell: "Wallanders erster Fall"
... und andere Erzählungen
Nun ist er also da. Der ultimativ letzte Band mit dem schrulligen Kommissar Wallander.
Der Autor hat der großen Leserschar nachgegeben und einige Geschichten über die
Anfänge des beruflich erfolgreichen und schwierigen Privatmenschen Kurt Wallander
geschrieben.
Zwei
sehr kurze Storys waren interneterprobten Krimifetischisten ja bereits bekannt.
"Der Mann am Strand" und "Der Mann mit der Maske". Herzstück des
Buches ist freilich der erste Fall des blutjungen Wallander. Anfang 20 und noch
grün hinter den Ohren spinnt sich eine Geschichte zu, der er nur schwer gewachsen
ist. Sein Wohnungsnachbar erschießt sich, und daraufhin beschließt Kurt junior
einen Alleingang, der ihm einige Rügen seines Vorgesetzten einbringt. Immer wieder
wird er ermahnt, sich mit mindestens einem Kollegen kurzzuschließen, wenn er Ermittlungsarbeit
bewältigen wolle. Wie vom späteren Szenario als abgebrühter Polizist bekannt, schert
sich Kurt nur wenig um mahnende Worte, was ihn jedoch fast das Leben kostet. Die
Beziehung zu seiner Jugendliebe und späteren geschiedenen Frau Mona bleibt geheimnisvoll.
Er ist gerade auf dem Sprung, sich intensiver mit ihrer Lebenswelt zu konfrontieren,
wenn da nicht dauernd die Arbeit rufen würde ...
Irgendwann
stirbt eine Frau, die offensichtlich ermordet wurde. Die inneren Ansichten eines
Artgenossen namens Wallander lassen nichts zu wünschen übrig. Er steigt oft in
ein Fettnäpfchen, wird am Ende doch befördert, und der harmlose Streifendienst
wird zu einer notwendig gewesenen Vergangenheit.
Die
Geschichte "Der Tod des Fotografen" zeigt Wallander von einer gänzlich
unbekannten Seite. Er erweist sich als schwacher Sportler, der sich nicht mal
mit einem Pfarrer in einem Wettlauf als Sieger eintragen kann. Die schlechten
Gewohnheiten haben sich bereits in ihm eingenistet. Als Jüngling war von Übergewicht,
schlechten Cholesterinwerten, unmöglichen Schlafgewohnheiten usw. nicht die
Rede. Höhepunkt war da die Konfrontation mit dem Vater, der dem Sohn in Sachen
Polizist-Sein die Leviten las und selbst als ewiggleicher Maler einer malerischen
Landschaft mit oder ohne Auerhahn nicht unbedingt Glanz in die Augen des männlichen
Nachkommens zu bringen vermochte. "Der Tod des Fotografen" ist ungleich
spannender als der erste Fall des Jünglings. Der Fotograf wird introspektiv
als Mordopfer geschildert, und die Ermittlungen nehmen bald schon den aus den
anderen Romanen bekannten Verlauf. Wallander findet ein seltsames Fotoalbum
des Verblichenen, worin verzerrte Gesichter von Politikern, Schauspielern und
erstaunlicherweise eines Kriminalkommissars Wallander zu sehen sind. Der Fotograf
hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehrere Stunden die Woche mit der fotografischen
Verunstaltung von Gesichtern zweifelhafter Personen zu verbringen. Verwunderlich
einzig die Verunstaltung des Kommissars, die sich in den Reigen der Schmierenkomödianten
nicht einordnen lässt. Hier wird besonders gut deutlich, dass dieser Fall schon
mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Heutzutage dauert es nur wenige Sekunden,
um mittels morphing am Computer verzerrte Gesichter zu gestalten. Die mühsame
Kleinarbeit des Fotografen wäre somit in gegenwärtigen Zeiten nicht mehr notwendig.
Warum der Fotograf sein Leben lassen musste, wird auf zwar unspektakuläre, jedoch
fein durchgearbeitete Weise erzählt. Es gibt immer wieder Überraschungsmomente.
Eine Spur führt übrigens nach
Österreich. Selbstverständlich ist die Liebe in
diesem Zusammenhang von außerordentlicher Bedeutung. Die berühmten Sitzungen
mit den Kollegen sind weniger bedeutungsvoll als in den ausschweifenderen Fällen.
Gerade durch die Kürze des Falls, der auf nur etwa 90 Seiten erzählt wird, ergibt
sich eine Dynamik, an der das unbestrittene Potenzial des Autors abgelesen werden
kann. Die Dinge reihen sich nicht nur nacheinander, sondern ebenso nebeneinander;
ergeben ein Geflecht von Strukturen, die in sich am Ende einen geschlossenen
Kreis erzeugen. Dieses typische Merkmal weist der Kurzroman "Die Pyramide"
nur in Ansätzen auf. Wallanders Vater glaubt sich dem Paradies oder der Hölle
nahe, je nachdem, wie er sich selbst einschätzen mag, und erzählt seinem Sohn
davon, in seinem Leben noch zwei besondere Reisen unternehmen zu wollen. Er
will noch die Pyramiden in Ägypten und das schöne Italien sehen, ehe er das
Zeitliche segnet. Die Rom-Reise ist ja in einem anderen Roman ("Die fünfte
Frau") detailreich geschildert; die
Ägypten-Expedition
bildet eine eher kleine Episode, die in die Geschichte eingearbeitet ist. Der
Vater will die Spitze einer Pyramide erklettern, wird daraufhin verhaftet, und
der Kommissar muss nach Ägypten fahren, um seinen Erzeuger freizukaufen. Im
übrigen geht es darum, dass ein Flugzeug abstürzte, und zwei ältere Damen durch
Genickschuss getötet wurden. Die Hintergründe werden bald klar, und einer erfolgreichen
Auflösung des Falls seitens des unbezwingbaren Kommissars steht nichts im Wege.
Gerade die zwei längeren Fälle ("Wallanders erster Fall" und "Die Pyramide")
bieten nur wenig Spannung, da die private Seite des Kommissars zu sehr in den
Vordergrund gespielt wird. Zum Unterschied etwa zu den großartigen Romanen "Die
fünfte Frau",
"Die falsche Fährte",
"Mittsommermord"
und "Die
Brandmauer", wo die Innenschau des Kommissars äußerst gelungen
in Kontrast zu den äußeren Begebenheiten tritt, denen er sich zu stellen hat,
sind die persönlichen Komponenten des Kurzschläfers Wallander zu plakativ. Es
kristallisiert sich keine individuelle Person heraus, sondern vielmehr ein Abziehbild
eines persönlich gescheiterten Karrieristen. Dies ist dem Gerüst der Geschichten
nicht dienlich. Für den geübten Leser von Wallander-Romanen mögen diese beiden
kleinen Romane also nicht die letzte Offenbarung sein. Die drei kürzeren Geschichten
hingegen sind teilweise beklemmend dokumentiert und erweisen sich als Glückstreffer.
"Der Tod des Fotografen" ist, wie nunmehr nicht schwer zu erraten ist,
die nach der subjektiven Anschauung des Rezensenten mit Abstand beste Erzählung
des Bandes. Die Geschichte hat alles, was ein guter Krimi braucht, und das Ende
überzeugt zum Unterschied zu den Halbromanen. Hier ist die Handschrift des wunderbaren
Krimiautors Henning Mankell besonders eindrucksvoll lesbar.
Nach neun Bänden mit dem Kommissar Wallander ist definitiv Schluss mit dem schusseligen
Schweden. Er wird noch einige Male als Nebenfigur in den Fällen seiner Tochter
Linda agieren, und dann endgültig seine Pension genießen. Vielleicht wird er dann
mehr Zeit haben, um seinem Privatleben zu frönen. Die eingeschobene Episode in
"Die Pyramide", wo er sich nicht entschließen kann, eine uninteressante
Beziehung zu beenden, und lieber an eine jüngere Frau denkt, die sich für ihn
ganz sicher nicht interessiert, ist nicht nur lieblos, sondern gleichermaßen leblos,
als wäre fleischlose Nahrung einem saftigen Steak vorzuziehen. Wallander wirkt
wie ein Vegetarier wider Willen. So einen letzten Auftritt hat er sich nicht verdient,
oder? Er wird in den Köpfen seiner Leser nicht als abgestumpfter Kommissar, sondern
vom Leben aus guten Gründen überforderter Mensch mit Herz und Verstand zurückbleiben.
Dafür bietet "Der Tod des Fotografen" gutes Anschauungsmaterial.
(Jürgen Heimlich; 05/2002)
Henning Mankell: "Wallanders erster Fall"
Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Gebundene Ausgabe:
Zsolnay, 2002. 477 Seiten
ISBN
3-552-05187-2
ca. EUR 24,90. Buch bestellen
Taschenbuch:
dtv, 2004. 464 Seiten.
ISBN 3-423-207000-0.
ca. EUR 10,-. Buch bestellen
Lien: die äußerst ausführliche deutsche Kommissar-Wallander-Fanseite