Henning Mankell: "Butterfly Blues"

Ein Theaterstück

"Wir können diese Leute nicht in unsere Welt, in unser Land lassen. Wir können keine Leute reinlassen, die wir nicht verstehen. Wir können keine blauen Schmetterlinge reinlassen ... Wir können einem blauen Schmetterling kein Asyl gewähren. Hast du jemals einen toten blauen Schmetterling mit Pass gesehen?"

(aus "Butterfly Blues", 5. Szene)


Henning Mankell schuf ein Auftragswerk für "Graz03", die Kulturhauptstadt Europas des Jahres. Dieses Büchlein bildet gewissermaßen die "Rohfassung", aus der später das Stück entstehen sollte. Insbesondere ist keine Mehrsprachigkeit gegeben, die ein entscheidender Faktor der Inszenierung ist. Das Theater lebt von Überraschungsmomenten; der Zuschauer kann ein Teil des Stückes werden, wenn er die Geschehnisse als Zauberformel begreift, hinter der eine Wahrheit verborgen sein kann. Dieser Faktor fällt bei der "Printversion" weg. Es muss der Versuch unternommen werden, die gebrochenen Strukturen wie eine Perlenkette aufzufädeln, um ein bisschen Magie in den kühlen Kopf hinein zu zaubern.

Die Geschichte selbst, die durch das Stück erzählt wird, besteht aus 21 Szenen, welche sehr adäquat miteinander verbunden sind. Das Besondere an der Inszenierung ist die Tatsache, dass nur vier Schauspieler insgesamt 22 Rollen verkörpern. Dies mag eine bewusste Annäherung an die Metamorphosen sein, die Flüchtlinge zu vollziehen gezwungen sind, wenn sie zumindest für eine gewisse Zeit in einem Land aufgenommen werden wollen. Der Flüchtling wird meist nicht für voll genommen, und es ist auch sein Bestreben, nicht für voll genommen zu werden. Wenn er sich nämlich offenbart, könnte das Kartenhaus einstürzen, das er konstruiert hat, um - aus welchen Gründen auch immer - in eine bessere Welt einzukehren. Das Fundament dieses Kartenhauses zu verschweigen ist Grundvoraussetzung. Namenlosigkeit und verschwiegene Herkunft bilden eine Dualität, die das Fundament stärken können.

Die Hauptfigur des Stückes nennt sich einmal "Tea-Bag". Henning Mankell lässt diese Frau ihre Geschichte auf behutsame und eindrucksvolle Weise in einem Roman erzählen. Überhaupt gibt es viele Elemente, die den Roman und das Stück miteinander verbinden. Durch die Konzentration auf kleinstem Raum, mit dem das Stück arbeitet, gelingt es, ein Panoptikum von Lebenswelten darzustellen, die alle in Bezug auf die Probleme von Flüchtlingen gesetzt sind. Mädchenhandel, Vergewaltigung, Diffamierung und Rassismus bilden den grausamen Grundstock, mit dem viele Flüchtlinge konfrontiert sind. Besonders beeindruckend ist die Stelle, wo Sara (die Hauptfigur) davon spricht, dass es Menschen gibt, die von der Angst der Flüchtlinge leben. Dies ist wohl die bitterste Wahrheit, die aus dem Stück spricht. Schlepper, Menschenhändler und sonstige involvierte Personen "verdienen" eine Menge Geld mit der Angst, die Menschen überall auf der Welt haben. Henning Mankell sagte in einem Interview,  es könne einfach nicht sein, dass Menschen in Containern ersticken oder im Meer ertrinken. Letzteres passiert den beiden Frauen nicht, die aus einem Land kommen, in dem die Hoffnungen längst gestorben sind. Ganz egal, was auch immer dieses Land sein mag:

"Ka Mensch geht freiwüllich so afoch furt, von dort, wo seine Wurzeln san;  
ka Mensch wü sterben an an fremden Ort, verkauft, verraten und allan ..."   
(Georg Danzer im Gedenken an Marcus Omofuma. )  

Die beiden Frauen überleben, und viele Menschen, die das "heilige" Land erreichen wollten, sterben, und das Meer ist ihr Grab. "Butterfly Blues" rüttelt auf. Es erzählt Schicksale, die tief ins Herz greifen. Die Schreie vieler Menschen sind an den unmöglichsten Orten nie gehört worden. Auf der Bühne machen sie sich Platz und erreichen den Zuschauer.  

(Jürgen Heimlich; 01/2003)


Henning Mankell: "Butterfly Blues"
Zsolnay, 2003. 64 Seiten. 
ISBN 3-552-05231-3.
ca. EUR 7,90.
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