Gudrun Perko (Hrsg.): "Mahlzeit.
Frauen zwischen Siebzig und Hundert erzählen aus ihren Erinnerungen"

Geschichten aus einer Zeit ohne Light-Produkte

"Nach dem zweiten Krieg starb in Schönbrunn ein Elefant namens Bubi, dessen Fleisch wurde in Wien zum Verzehr verkauft."


Mit diesem Buch wird das interessante Experiment unternommen, Zeitgenossinnen weltbewegender Ereignisse selbst über Teilaspekte ihrer persönlichen Schicksale in niedergeschriebenen Einzel- und Gruppengesprächen, die in den ersten Monaten des Jahres 2000 stattfanden, zu Wort kommen zu lassen. Dies schafft einen Ausgleich zur von männlichen Sichtweisen und Erlebnissen dominierten Geschichtsschreibung.

Was an diesem Buch in erster Linie auffällt, ist die Schriftgröße, die auch Leser, die nicht über "Adleraugen" verfügen, in die Lage versetzt, eine Zeitreise ins Wien der ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts zu unternehmen. Es ist eine Reise in kleinem, familiären Rahmen: Zehn Bewohnerinnen des Wiener Pensionistenwohnhauses Maria Hilf erzählen, von der Frage "Woran erinnern Sie sich in bezug auf das Essen bis zu Ihrem 40. Lebensjahr?" ausgehend aus ihren Lebensläufen. Die zeitliche Distanz zu den beschwerlichen Jahren lässt die Frauen mit Gelassenenheit und völlig unspektakulär über Zustände und Vorgänge berichten, die für nachfolgende Generationen weitgehend unvorstellbar sind.

Aus heutiger Sicht nimmt man mit einer gewissen Befriedigung zur Kenntnis, dass Fett und Zucker vor gar nicht so langer Zeit keineswegs mit dem Ausdruck "Sünde" in Verbindung gebracht, sondern als kostbare Bereicherung des kargen Nahrungsangebotes angesehen wurden. "Für eine Einbrenn haben wir das Mehl ohne Fett geröstet und dann mit Wasser aufgegossen." Palatschinken wurden aus Ei- und Milchpulver mit Wasser zubereitet, die Fülle war aus russischen Erbsen, (die, den Aussagen der Frauen zufolge, zumeist wurmig waren), mit Bröseln und Zucker. Viele Menschen ernährten sich davon, was der Wienerwald bot: Bärlauch, Schwammerln und Beeren. Fleisch gab es, wenn überhaupt nur höchst selten. Am Wiedner Gürtel wurden in Gärten Erdäpfel und Karotten angebaut, in den Höfen pflanzte man Tomaten.

Bemerkenswert sind auch jene Geschichten die aufzeigen, dass anfangs des vorigen Jahrhunderts keineswegs jede Frau mit Leib und Seele im Haushalt tätig war.
Zum Buchtitel passend, wurden die Erzählerinnen beim Essen fotografiert, sodass sehr lebendige Porträts entstanden sind, die den Band illustrieren.

Die Herausgeberin Gudrun Perko sieht diese Publikation als "Lektüre für ältere Menschen, die sich nochmals erinnern wollen und für Jüngere, die teilhaben möchten an vergangenen Zeiten - aus den spezifischen Sichtweisen und Wahrnehmungen der Frauen, deren Erinnerungen jedenfalls subjektiv wirklich sind".

Auf alle Fälle empfehlenswerter Lesestoff; auch eine nette Geschenksidee!

(kre)


Gudrun Perko (Hrsg.): "Mahlzeit.
Frauen zwischen Siebzig und Hundert erzählen aus ihren Erinnerungen"
Milena Verlag. 507 Seiten.
ISBN 3-85286-082-2.
ca. EUR 19,90.
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