Horst-Eberhard Richter: "Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft"
Als
der Rezensent zufällig auf die Ankündigung eines
neuen Buchs von Horst-Eberhard Richter unter dem Titel "Die Krise der
Männlichkeit" stieß, waren seine Erwartungen
groß, durfte man doch eine für Richter gewohnte,
psychoanalytisch und sozialpsychologisch fundierte,
ausführliche Auseinandersetzung mit dem
Feminismus aus seiner
Sicht, eine Analyse des Seelenlebens der modernen Männer in
unserer Gesellschaft und vielleicht einige Hinweise,
Vorschläge und Perspektiven für eine seiner Meinung
nach dringend notwendige Männerbefreiung, also die Entwicklung
hin zu einem eigenen, den Frauen ebenbürtigen
Männerbild und auch einer entsprechenden gesellschaftlichen
Praxis, erwarten. Ebenso erwartete der Rezensent eine
Auseinandersetzung mit der Renaissance eines Männerbildes in
Deutschland sowie auch in anderen Teile West- und Osteuropas, das nicht
unwesentlich geprägt wird von der islamischen Kultur, dem ihr
innewohnenden Machismus und dem Frauenbild, das sie transportiert und
generiert. Besonders in Westeuropa hat man den Eindruck, dass, bedingt
durch starke Migration aus Ländern des islamischen
Kulturkreises nach Europa, in bestimmten Schichten und von dort
ausgehend auch in den Grundschulen und erst recht in den
weiterführenden Schulen ein Männlichkeitskult
fröhliche Urständ feiert, demgegenüber der
Wilhelminismus ein braves Waisenkind war.
Geschichten männlicher Gewalt in Familien mit sogenanntem
Migrationshintergrund, Berichte aus Grundschulen (!), wo Lehrerinnen
bei entsprechenden Schülern nichts mehr zu sagen haben, von
ihnen beschimpft und gar bedroht und von ihren damit konfrontierten
Eltern dabei auch noch unterstützt werden, erschrecken nicht
nur den Rezensenten in zunehmendem Maß, besonders wenn er
daran denkt, dass sich sein eigener Sohn in einigen Jahren mit dieser
brutalen und rückständigen Form der Männlichkeit auseinandersetzen
muss.
Was an Bildern und Verhaltensmustern von Männlichkeit aus Osteuropa und
den ehemaligen Ländern der Sowjetunion hauptsächlich
durch Migration nach Deutschland kommt, oft mafiös
verschachtelt, ist auch nicht ermutigender.
Während man hier jedoch vielleicht noch auf entsprechende
Integrations- und Bildungsmaßnahmen setzen könnte
(allein mir fehlt der Glaube an solches Gelingen), bin ich auf einem
ganz anderen Feld ratlos und hatte mir von dem vielversprechenden
Buchtitel Richters Einsichten und Analysen erhofft. Ich spreche von
einer Form der unerwachsenen Männlichkeit, die ich in
meinem Lebens- und Bekanntenumfeld immer stärker
wahrnehme. Junge Männer, gebildet und in ihrem Beruf durchaus
erfolgreich, trauen sich nicht mehr in ihre(r) Rolle. Wenn sie in
Partnerschaften leben, übernehmen sie nur selten oder nicht
genug wirkliche - männliche - Verantwortung
für sie; sie haben Angst, eine Familie zu gründen und
eine noch größere vor der Vaterschaft. Es sind alles
liebe Kerle, aber keine wirklichen Männer. Sie sind so weich
geworden, dass sich die Frauen an ihnen die Zähne
ausbeißen.
Erleichtert über Männer, die auf den ersten Blick so
anders sind als ihre Väter und Großväter,
stellen immer mehr Frauen aber fest, dass sie lebendige Phantome zum
Partner haben. Männer, die sich entziehen - sowohl der Frau
als auch der Verantwortung für die Partnerschaft;
Männer, die lieb, aber nicht mehr leidenschaftlich sind.
In Frankreich macht gerade ein Roman Furore, der genau dieses traurige
Thema genial beschreibt: "J’étais
derrière toi" von Nicolas Fargues (dt. "Nicht so schlimm",
Rowohlt).
Dabei wäre doch eine entsprechende Befreiungsbewegung auf
Männerseite so vonnöten, eine Bewegung, die nicht nur
anpasserisch dem Feminismus und der Entwicklung der Frauen
hinterherkriecht, sondern aufrecht und selbstbewusst
Männerinteressen vertritt und gegenüber manchem
Auswuchs der Vergangenheit eine Partnerschaft der Geschlechter auf
Augenhöhe fordert und bereit ist, dafür auch zu
kämpfen und sich angreifen zu lassen.
Ich hatte von Richter weiters Einblicke und Einsichten darüber
erwartet, wie eine Sozialisation unserer männlichen Kinder
sich auswirkt, in der manche Jungen erst im Gymnasium ihre erste
männliche Bezugsperson erleben, die aber oft schon so alt ist,
dass die typische und für eine männliche Reifung und
Identitätsbildung so nötige
Vater-Sohn-Dynamik gar
nicht mehr greifen kann.
Was werden aus unseren Jungen für Männer, wenn keine
Männer mehr an ihrer Erziehung und der Ausbildung einer neuen
Kultur der Männlichkeit beteiligt sind? Einer Kultur
wohlbemerkt, die sich mit der modernen Frauenkultur auseinandersetzt,
die fähig macht zu wirklichen, eben auch leidenschaftlichen
Partnerschaften, und die somit Kinder hervorbringt, die wirklich
erwachsen werden können und nicht ein halbes Leben lang am
Rockzipfel bzw. am Geldbeutel der Mutter oder - wenn vorhanden - des
Vaters hängen.
All diese unsere Gesellschaft mehr und mehr prägenden
Krisenphänomene der Männlichkeit in einer
unerwachsenen Gesellschaft behandelt das gegenständlich
besprochene Buch von Horst-Eberhard Richter leider nicht.
Doch wie das manchmal so ist mit den enttäuschten Erwartungen:
Sie machen Platz für neue Einsichten und Informationen.
Richters Buch hat einen ganz anderen Focus, der Autor argumentiert
weltumspannend und geschichtsphilosophisch, auch wenn er dabei auf die
christlich-abendländische und danach die westlich-industrielle
Entwicklung fixiert bleibt.
"Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft"
basiert auf Vorlesungen, die Richter auf Einladung seines mittlerweile
verstorbenen Freundes
Sir
Peter Ustinov in Wien hielt. Er setzt mit diesem Buch fort,
was er im "Gotteskomplex", einem seiner Hauptwerke, Anfang der 1980er
Jahre begonnen hat.
In einem ersten Teil mit dem Titel "Die Illusion des
Stärkekultes" verfolgt Richter anhand der Lebensgeschichten
von Wissenschaftlern und Politikern, wie es einigen gelungen ist
(Weizenbaum, Chargaff, Born, Sacharow u.a., aber auch dem Hl.
Franziskus), gegen den Gotteskomplex aufzutreten und eine Alternative
anzubieten.
Beschränkt sich Richter im ersten Teil im Wesentlichen auf die
Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, zeigt er im zweiten Teil des
Buches "Szenen aus der Entwicklung des Gotteskomplexes" auf, wie sich
seit der Antike eine Entwicklung durchsetzt, die das Grundvertrauen,
das noch einen Platon erfüllte, ersetzt durch Selbsthass, ein
hurenhaftes Frauenbild, mit der Folge der Installation eines totalen
Überwachungs- und Verfolgungssystems in der Inquisition. Er
beschreibt die nachlassende Glaubensgewissheit der Menschen (auch und
gerade in der Kirche!) und ihre kompensatorische Bewältigung
durch einen magischen Allmachtsdrang und die Projektion von
Strafängsten (Hexenverfolgung).
Später wird die Wissenschaft zum Herrschaftsinstrument, und
nicht verstandene Sexualängste wachsen sich, am Beispiel
Freuds und
Nietzsches gezeigt, zu einer kulturellen Krise nach
pubertärem Muster aus.
Eine Analyse neuzeitlicher Strömungen und eine Lobeshymne auf
die globalisierungskritische Bewegung beenden das Buch. Dabei fallen
für meinen Geschmack die Schilderung dieser Bewegung und die
Hoffnungen, die Richter auf dieses neue Subjekt der sozialen und
gesellschaftlichen Veränderung setzt, zu positiv aus. Zu
heterogen, zu - in manchen Teile jedenfalls - antisemitisch, zu
teilweise undemokratisch geben und verhalten sich ihre Vertreter, als
dass ich sie als legitime Vertreter meiner Zukunftsinteressen annehmen
könnte.
Gegen Ende des Buchs zeigt Richter mit folgendem Zitat, in welche
Richtung die Entwicklung gehen muss:
"Aber das Siegen-Müssen entspringt ja eben nicht
erwachsener Männlichkeit, vielmehr der
Überkompensation verdrängter Ohnmachts- und
Entmännlichungsangst. Und die Frauen? Der Zustand der Welt
erlaubt ihnen nicht länger, sich um die Energien der
Männer für deren Bemächtigungsehrgeiz zu
sorgen, anstatt die eigene große Power entschieden
für eine Kultur fortschreitender Humanisierung einzusetzen,
dabei gleichzeitig die Verantwortung der Männer vermehrt auf
dieses Ziel umzulenken. Allmählich wird deutlich, dass Freuds
Ratschlag von 1930, wonach sich die Männer zugunsten ihrer
Kulturarbeit vor Energieausbeutung durch die Frauen schützen
sollten, einer regelrechten Umkehr bedarf. Nachdem die Frauen
inzwischen alle angeblich männlicher Sublimierung
vorbehaltenen Fähigkeiten in Ämtern mit hoher
Verantwortung glänzend belegt haben, ist es jetzt an ihnen,
die eigene Energie nicht länger in der demütigen
Aufopferung für männliche Machtziele zu vergeuden.
Erfolgreich im Kampf gegen rechtliche Benachteiligung,
Karrierehindernisse und Unterbezahlung steht es ihnen nun zu, mit
Selbstbewusstsein den Männern mehr Einsatz für das
gemeinsame Kulturziel einer friedlicheren und sozialeren Welt
abzufordern - dabei auch mehr politische Standfestigkeit. Waren es doch
die Männer, die zu Millionen den Urhordenvätern des
20. Jahrhunderts hinterhergelaufen und dadurch an den Verbrechen der
schlimmsten Art mitschuldig geworden sind."
Es sind meiner Meinung nach aber nicht nur die Frauen, die von den
Männern etwas fordern müssen, auch an sich selbst
müssen die Männer Anforderungen stellen. Dann werden
sie den "neuen Frauen" ebenbürtig, verlieren ihren
Mutterkomplex und werden reif für echte, erwachsene
Partnerschaften, welche die absolut notwendigen Keimzellen für
eine neue, sozialere und friedlichere Welt darstellen.
Aber ein Buch über dieses Thema muss erst noch geschrieben
werden, mir ist bislang noch keines untergekommen. Richters "Die Krise
der Männlichkeit
in der unerwachsenen Gesellschaft" jedenfalls
ist eine lehrreiche und notwendige Rückerinnerung an eine
Entwicklung, die wir, Frauen und Männer gemeinsam, unbedingt
umkehren müssen, sollen wir, unsere Kinder und Kindeskinder
sowie unsere gesamte Welt noch eine irgendwie geartete zivilisierte
Zukunft haben.
(Winfried Stanzick; 01/2007)
Horst-Eberhard
Richter: "Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen
Gesellschaft"
Psychosozial-Verlag, 2006. 283 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen